Neues Ungemach rollt auf das Bankgeheimnis zu
Die Schweizer Banken und Versicherungen befürchten, dass die Geldwäscherei-Bekämpfung inskünftig zur Ahndung von Steuerdelikten missbraucht werde. Die Branche fordert daher, dass Verletzungen des Steuerrechts nicht als Vortaten von Geldwäscherei taxiert werden.
Genau dies wird allerdings die Financial Action Task Force (FATF), ein von 34 Ländern, einschliesslich der Schweiz, getragener Arbeitskreis zur Bekämpfung der Geldwäscherei, demnächst beschliessen. Das Gremium hat Verbindungen zur OECD und setzt faktisch die globalen Standards zur Geldwäscherei-Bekämpfung.
Gemäss Botschafter Alexander Karrer, stellvertretender Staatssekretär und Delegierter der Schweiz in der FATF, ist die entsprechende Empfehlung im internationalen Gremium unumstritten.
Beunruhigte Bankenwelt
Dass gewisse Steuerdelikte schon bald als Vortaten zur Geldwäscherei gelten sollen, passt den Schweizer Banken gar nicht. Das war an einem Kongress zu dem Thema, der jüngst in Bern stattfand, deutlich herauszuhören.
Veranstaltet wurde das Treffen vom Forum SRO, einer Interessengemeinschaft aller Selbstregulierungs-Organisationen, in Kooperation mit dem Wirtschaftsdachverband economiesuisse, der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) und dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV).
SBVg-Präsident Patrick Odier strich hervor, dass es nicht Aufgabe der Finanzinstitute sein könne, als Steuerfahnder für andere Staaten tätig zu werden. In der Schweiz dürften deshalb nur sehr schwere Steuerdelikte als Vortaten zur Geldwäscherei qualifiziert werden.
Druck auf die Politik und Behörden
Die Kongress-Organisatoren forderten von Politik und Behörden daher Augenmass bei der Umsetzung der FATF-Empfehlungen. Die Schweiz dürfe sich auf keinen Fall unter Druck setzen lassen und in vorauseilendem Gehorsam vorpreschen: «Keine Hektik als helvetische Musterknaben!», war das Fazit.
Klar erklärtes Ziel des Kongresses war es denn auch, Behörden, Politik und Öffentlichkeit vor Augen zu führen, «dass das gut eingespielte Abwehrdispositiv der Schweiz gegen Geldwäscherei und Terrorismus-Finanzierung zunehmend für ganz andere Zwecke missbraucht wird», wie in den Unterlagen zu lesen war.
Der Druck aus dem Ausland ist für die Banken jedenfalls so gross, «dass es den Gegendruck aus der Schweizer Öffentlichkeit braucht. Der soll mit dem Kongress aufgebaut werden».
Die Schweiz hat Spielraum
Die sozialdemokratische Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer teilt die Aufregung der Finanzbranche angesichts der bevorstehenden neuen FATF-Regulierungswelle nicht.
«Die FATF-Empfehlungen ersetzen nicht nationales Recht, sie setzen nur den groben Rahmen, hier haben wir einen grossen Spielraum», sagt die SP-Parlamentarierin gegenüber swissinfo.ch, die auch Mitglied der Rechts- und der Wirtschaftskommission des Nationalrats ist.
«Bereits heute gibt es eine so genannte Schwellentheorie, wonach in der Schweiz als Vortat zur Geldwäscherei nur solche Verbrechen gelten, die mit einem Strafrahmen von mindestens drei Jahren geahndet werden. Die einzelnen Staaten haben unterschiedliche Umsetzungsvarianten gewählt. Der Spielraum ist gross.»
Dass aber Steuerdelikte als Vortaten der Geldwäscherei gesehen und auch entsprechend gesetzlich festgesetzt werden müssen, ist für Leutenegger Oberholzer eine Tatsache. «Da kommen wir nicht drum herum, das wird nächstes Jahr kommen.»
«Unbeugsame Schweiz»
Unter Beschuss kam an dem Berner Kongress vieles: FATF, OECD, EU, G-20, NGOs (Nichtregierungs-Organisationen) oder auch Länder wie die USA und Deutschland.
«Wir befinden uns im Jahre 50 vor Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre…»
Ob man es erkannt habe, fragte Josef Bollag vom Forum SRO zu Beginn seines Referates. Tja, Asterix, und etwas abgeändert: «Wir befinden uns im Jahre 2010. Ganz Europa ist von der EU und ihrem Machtapparat besetzt. Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Bürgern bevölkertes Land, die Schweiz, hört nicht auf, auf ihrem demokratischen System zu beharren und Widerstand zu leisten. Und das Leben der EU-Nationen ist nicht leicht, weil doch die Schweizer Demokratie ein Erfolgsrezept ist, und die EU und ihre Mitgliedsländer immer mehr in eine strukturelle und finanzielle Krise geraten…»
Für Bollag geht es bei der ganzen Regulierungsgeschichte gegenüber dem Finanzplatz Schweiz um – wie er es absichtlich etwas überspitzt formulierte – einen «Kampf von extra-legalen Gremien gegen den Rechtsstaat.
Aus der Finanzkrise nichts gelernt?
Die Referate und Diskussionen an dem Berner Kongress lassen Susanne Leutenegger Oberholzer befürchten, dass die Finanzbranche angesichts der neuen FATF-Empfehlungen erneut «mauert», eine Haltung, «die für mich nicht neu ist».
Die Banken hätten zu verhindern versucht, dass sich die Schweiz korrekt verhalte in den Amtshilfeverfahren. «Es dauerte ewig lang, bis man die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug aufgegeben hat, man hat das Bankgeheimnis für Steuerhinterzieher verteidigt, obschon die Schweizer Bevölkerung das überhaupt nicht will, die Schweizer Bevölkerung setzt auf Steuerehrlichkeit.»
Und das Resultat dieses «Mauerns»? Die Schweiz habe auf der ganzen Linie nachgeben müssen. «Beim UBS-Staatsvertrag wurde rückwirkend Recht geändert gegen US-Bürgerinnen und Bürger, in Bezug auf die OECD musste man nachgeben, in Bezug auf Deutschland steht jetzt fest, dass wir zur Steuereinziehungsbehörde werden für den deutschen Staat.»
Langfristig denken
Dass eine Branche ihre kurzfristigen Interessen durchzusetzen versuche und sich gegen Regulierungen wehre, könne sie verstehen. «Aber wichtig ist, dass die Politik davon Abstand nimmt und sich nicht beeinflussen lässt, denn die Politik muss sich an den langfristigen Interessen des Staates orientieren, und die sind hier klar: Die Schweiz muss zu einem korrekten Mitglied der Staatengemeinschaft werden.»
Deshalb ist für die SP-Nationalrätin klar, dass es Regulierungen braucht. «Das haben wir aus der Finanzkrise gelernt. Die Kosten tragen ja die Steuerzahler.»
Der zur Zeit in der Vernehmlassung steckende Vorschlag der Financial Action Task Force (FATF) zur Revision der globalen Standards zur Bekämpfung der Geldwäscherei sieht unter anderem vor, dass gewisse schwere Steuerdelikte («tax crimes») als Vortat zur Geldwäscherei gelten.
Banken, Versicherer und andere Finanzintermediäre müssten damit bei entsprechenden Verdachtsmomenten dies der nationalen Geldwäscherei-Meldestelle mitteilen. Diese müsste dann unter Umständen auch ausländische Meldestellen informieren.
Die FATF-Richtlinien sollen 2011 verabschiedet werden. Die Aussicht auf diese Reform löst in der Schweizer Finanzbranche heftige Kritik aus.
Das Bundesstrafgericht hat zwei ehemalige Banker aus dem Wallis zu Unrecht vom Vorwurf der Geldwäscherei freigesprochen. Das Bundesgericht hat der Bundesanwaltschaft (BA) Recht gegeben und die Sache zur Neubeurteilung nach Bellinzona zurückgeschickt.
Die beiden früheren Angestellten einer Bank in Martigny VS hatten zwischen 2000 und 2003 einen korrupten italienischen Beamten aus dem Aostatal als Kunden betreut. Dieser hatte als Verantwortlicher für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen von Firmen Bestechungsgelder in Höhe von über 440’000 Franken angenommen.
Das Bundesstrafgericht hatte die beiden Bankangestellten im Juli 2009 vom Vorwurf der Geldwäscherei freigesprochen, weil sie nur fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt hätten. Das Bundesgericht hat die dagegen erhobene Beschwerde der BA nun gutgeheissen und die Sache ans Bundesstrafgericht zurückgeschickt.
Laut den Richtern in Lausanne waren sich die beiden Bankmitarbeiter des Risikos bewusst, dass die ihnen anvertrauten Gelder einen kriminellen Ursprung haben könnten. Sie hätten diese Gefahr in Kauf genommen und somit eventualvorsätzlich gehandelt. Das reiche für eine Verurteilung wegen Geldwäscherei aus.
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