NGO enttäuscht über WTO-Verhandlungen
Die Doha-Runde der WTO-Verhandlungen hätte zu einer Entwicklungs-Runde werden sollen. Für Schweizer NGO ist sie eine klassische Liberalisierungs-Runde.
Vor der Ministerkonferenz der Welthandels-Organisation in Hongkong sind die NGO der Ansicht, kein Abschluss der Verhandlungen wäre besser als ein schlechter.
Überraschungen ausgeschlossen, dürfte die Ministerkonferenz der Welthandels-Organisation (WTO), die diese Woche in Hongkong stattfindet, höchstens eine Maus gebären. Diese Ansicht eint einen Grossteil der Schweizer Nichtregierungs-Organisationen NGO), welche die laufende Liberalisierungs-Runde im Rahmen der WTO mit einem kritischen Blick betrachten.
Viele der Schweizer Organisationen werden nach Hongkong reisen, rund 30 darunter vertreten durch die «Schweizer Koordination gerechter Welthandel». Auf ihrer Agenda stehen : Lobbying, Seminare und für einige auch Kundgebungen.
«Wir befürchten, dass die Industriestaaten Entwicklung nur auf der Basis von Gegenleistungen der Entwicklungsländer diskutieren werden», erklärt Marianne Hochuli von der Erklärung von Bern (EvB).
Die NGO-Koalition ruft in Erinnerung, dass die Doha-Runde eigentlich auf die Interessen der Entwicklungsländer ausgerichtet sein sollte, um diese näher an die Industriestaaten zu führen. Diese Frage müsse wieder im Zentrum der Verhandlungen stehen.
Die Entwicklung wieder ins Zentrum stellen, bedeute unter anderem, dass die Industriestaaten ihre Forderungen nach weiterer Liberalisierung und Zollsenkungen im Dienstleistungsbereich und bei den Industriegütern im Gegenzug für Konzessionen bei der Landwirtschaft herunterschrauben müssten, so Hochuli weiter. Eine Bemerkung, die sich direkt an die offizielle Schweiz richtet.
Eine oft illusorische Verbindung
Der unterschwellige Diskurs bei der WTO sei, dass die Liberalisierung an sich zu Entwicklung führe, sagt Michel Egger von der Alliance Sud.
Seiner Ansicht nach kann man allerdings nicht einfach auf diese Verknüpfung setzen, ganz im Gegenteil. «Es ist oft sehr illusorisch, zu denken, dass man durch simple Marktöffnung im Süden wirkliche Entwicklungsprozesse in Gang setzt.»
Aus Sicht der NGO hat die Marktöffnung gerade im Bereich der Dienstleistungen zum Beispiel für die Entwicklungsländer teilweise schwer wiegende Konsequenzen wie Verarmung, Rückbau der Industrie, Auflösung existierender Handels- und Austausch-Netze.
Sie verweisen in dem Zusammenhang auch auf unterschiedliche Bedingungen und lokale Gegebenheiten in den Entwicklungsländern. Marktöffnung allein mache noch keine gesunde Wirtschaft.
Für Michael Egger stellen die Regeln der WTO für die Länder eine Art Zwangsjacke dar. «Es kann keine Entwicklung geben, wenn die Länder nicht den politischen Spielraum haben, um selber zu definieren, wie viel Liberalisierung und wie viel Protektionismus sie wollen.»
Die NGO fordern deshalb, dass die Schweizer Regierung ihre grossen Liberalisierungs-Forderungen bei den Industrie- und Dienstleistungs-Märkten aufgeben müsse.
Natürliche Ressourcen
Von der Öffnung der Agrarmärkte profitierten nur wenige grosse Exportländer. Zu den Verlierern gehörten nicht nur die Entwicklungsländer, sondern auch die Schweizer Bauern.
Beim Agrar-Dossier verfolgen die NGO daher ähnliche Positionen wie die offizielle Schweiz. Als Leiterin der G10 der Nettoimporteure von Agrarprodukten tritt die Schweiz für eine gestaffelte und «für den Bauernstand verkraftbare» Marktöffnung ein.
Während die NGO eher auf eine Abschaffung der Export-Subventionen und der internen Markstützungen drängen, fordert der Schweizerische Bauernverband (SBV) die Aufrechterhaltung der Schutzzölle. Die SBV-Verantwortliche für internationale Beziehungen betont, die Schweizer Landwirtschaft könne ohne Schutz an der Grenze nicht überleben.
«Wir sind für eine Weiterführung der Verhandlungen, aber auf einem vernünftigeren Niveau, das die Wirklichkeit der jeweiligen Region berücksichtigt», führt Heidi Bravo aus.
Ein weiteres Thema der NGO ist die Umwelt respektive deren Schutz. Bereits hat die Liberalisierung auf die Wald-Wirtschaft und die Fischerei übergegriffen.
Insbesondere die Tropenwälder sind wegen der ungezügelten Abholzung und die Fischbestände wegen der Überfischung bedroht, wie Sonja Ribi von Pro Natura erklärt. Die Organisation schlage daher vor, dass die natürlichen Ressourcen von den Verhandlungen ausgenommen werden.
Aufruf zum Moratorium
ATTAC Suisse dagegen spricht der Konferenz in Hongkong sogar die Daseinsberechtigung ab.
«Diese Runde wird weder den Armen in Entwicklungsländern nützen, noch den Angestellten und Bauern aus dem Norden, sondern nur einer kleinen Elite», sagt ATTAC-Sprecher Alessandro Pelizzari. Man unterstütze daher den internationalen Aufruf zu einem Moratorium über die Agrar-Verhandlungen der WTO.
swissinfo, Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Englischen: Nicole Aeby)
Die 6. Ministerkonferenz der Welthandels-Organisation (WTO) findet vom 13. bis 18. Dezember in Hongkong statt.
Die Konferenz soll den Weg ebnen zum Abschluss der Verhandlungen der so genannten Doha-Runde, die seit 2001 läuft.
Weil die Verhandlungen so schleppend vorangehen, wurden die Ziele bescheidener.
Delegierte der 149 Mitgliedsländer nehmen an der Konferenz teil.
Wirtschaftsminister Joseph Deiss leitet die Schweizer Delegation.
Die «Schweizer Koordination gerechter Welthandel» ist ein Zusammenschluss von Gewerkschaften, Bauern-, Umwelt-, Entwicklungs- und Konsumenten-Organisationen.
In der Alliance Sud sind die sechs grossen Schweizer Hilfswerke zusammengeschlossen: Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Helvetas, Caritas und HEKS (Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz).
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