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«Niemand ändert leichtfertig das Rezept»

Die Rezeptur ist verschieden - doch alle wollen die beste Schoggi machen. www.cafe-kroppenberg.de

Die EU erlaubt neu 5% Fremdfette in der Schokolade. Das gilt in der Schweiz bereits seit 1995. Die Hersteller halten aber an den alten Rezepten fest - aus Image-Gründen.

Den wirklichen Preis zahlen die Länder des Südens, deren Kakao-Exporte weniger wert werden.

Schokolade besteht aus Kakaomasse, Kakaobutter, Zucker und – für helle Schokolade – Milch. So wünschen es die Puristen. Dazu zählen sich die Schweizer Schokoladehersteller.

Ab 3. August 2003 gibt es jedoch eine Änderung: Die EU-Norm 2000/36/EG lässt bis zu 5% pflanzliche Fremdfette in der Schokolade zu. Das erlaubt seit 1995 auch die revidierte Schweizer Lebensmittelverordnung (LMV).

Die Gestelle bleiben herkömmlich gefüllt

Doch weder die LMV noch die künftige EU-Regelung zeitigt Folgen in der Schweiz.

«Unsere Produkte enthalten keine Fremdfette, sondern nur Kakaobutter. Daran werden wir nichts ändern», sagt Ulrich Schoch von der Entwicklungsabteilung von Lindt & Sprüngli.

«Bei uns sind Fremdfette kein Thema», stellt auch Harry Rentsch, Sprecher von Chocolatfrey, fest. Die Migros-Tochter ist mit 37% Marktanteil in der Schweiz Branchenleader im Detailhandel.

EU-Diktat oder eidgenössischer Protektionismus?

Keine Firma mit Reputation ändere leichtfertig ihr Rezept, erklärt Franz Schmid, Direktor von Chocosuisse, dem Verband Schweizer Schokoladeproduzenten. «Die Schweiz hat die LMV damals in vorauseilendem Gehorsam angepasst.»

Davon will Urs Klemm, Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), das die LMV erlässt, nichts wissen: «Wir wollten alles Protektionistische aus der Verordnung eliminieren.»

Industriegeschäft und Nahrungsmultis

Der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern Nestlé hat die 5%-Norm der EU befürwortet. Aber «so lange der Kundengeschmack getroffen» werde, sehe man in Vevey keinen Grund, die Rezepte zu ändern, sagt Nestlé-Sprecher Marcel Rubin.

Anders sieht das in Ländern aus, wo der Schokolade immer schon Fremdfette enthielt, also Grossbritannien, Irland und Dänemark. Ein Nestlé-Riegel aus Grossbritannien könne Kakao-Ersatzfette enthalten, erklärt Nestlé-Sprecher Marcel Rubin, während derselbe Riegel aus einer deutschen Fabrik nur mit Schokolade aus reiner Kakaobutter produziert werde.

Bei Barry-Callebaut, einem der grössten Schokoladehersteller, werden Pflanzenfette an Stelle von Kakao nur in der Industrieproduktion und auf speziellen Kundenwunsch eingesetzt, so eine Sprecherin. In Tafeln – zum Beispiel der Tessiner Tochter «Alprose» – bleibt es hingegen beim Rezept ohne Ersatzfette.

Handfeste wirtschaftliche Interessen

Die Verhandlungen über eine EU-weite Regelung der Schokolade-Bestandteile begannen 1996, als eine EU-Parlaments-Delegation die Richtlinie in Angriff nahm, um den EU-Binnenmarkt der Maastrichter Verträge umzusetzen.

Die langwierigen Diskussionen und Dispute zwischen den Ländervertretern sorgten als «Schokolade-Krieg» insbesondere in Frankreich und Belgien für Schlagzeilen. In diesen Ländern wurde traditionell nur reiner Kakao zu Schokolade, es ging somit um handfeste wirtschaftliche Interessen.

Rohmaterial kostet weniger

Dazu kommt, dass die von der EU definierten tropischen Ersatzfette – Illipe, Palmöl, Sal, Shea, Kokum gurgi, Mangokern und Kokosnussöl – nur rund einen Zehntel des Preises von Kakao kosten. Eine beachtliche Kostenersparnis, könnte man meinen.

«Allein das Kosten-Argument genügt nicht, um die Rezepte zu ändern», relativiert Nestlé-Sprecher Rubin. Bei Barry Callebaut wird darauf verwiesen, dass der Kakao nur 10 bis 15 Prozent der gesamten Produktionskosten betrage.

«Die Preise der zugelassenen Ersatzfette sind Marktschwankungen unterworfen», gibt Schoch von Lindt & Sprüngli zu bedenken. «Im Vergleich zur Kakaobutter sind die Preise volatil.»

Der Kakao-Preis hingegen ist ein Weltmarktpreis wie Kaffee und wird an den beiden Warenterminbörsen in London und New York festgelegt. Gegenwärtig kostet eine Tonne Kakao knapp 1500 Dollar. Doch bei schlechten Kakaoernten muss mit einer Preissteigerung gerechnet werden.

Der Süden bezahlt für den EU-Streit

Mit Abstand grösster Kakao-Produzent ist mit 44% der Welternte die Elfenbeinküste. Bedeutende Menge liefern laut der «International Cocoa Organization» (ICCO) auch Ghana, Nigeria und Kamerun.

Die ICCO schätzt, dass der Kakao-Export in diesen Ländern durch den Einsatz der Ersatzfette um bis zu einem Fünftel zurück gehen könnte.

«Millionen Kleinbauernfamilien in Westafrika bestreiten mit dem Anbau von Kakao ihr Einkommen», protestierte die deutsche Nichtregierungs-Organisation «BUKO Agrar Koordination» schon 1998 gegen die 5%-Norm. «Geringere Verkaufserlöse für Kakao bedeuten für diese Familien eine dramatische Verschlechterung ihrer ohnehin schon miserablen Lebensbedingungen.»

Ähnlich sieht es Peter Niggli von der Arbeitsgemeinschaft Schweizer Hilfswerke Swisscoalition. «Die EU-Richtlinie geht auf Kosten der Kakao-Produzenten.» Dafür gewännen die Palmöl-Produzenten ein bisschen.

Gewinner und Verlierer zusammen genommen, würde teurerer Kakao durch billigere Produkte ersetzt. Insgesamt verschlechterten sich deshalb die Handelsbedingungen, das Verhältnis zwischen Import- und Exportpreisen.

«Das verstärkt den Trend, dass die Exporte weniger Devisen einbringen und die Schulden schwieriger zu bedienen sind. So dreht sich die Schuldenspirale.»

Niggli bestätigt aber auch die Aussagen der Schokoladehersteller: «Bei der Schweizer Schokolade steht der Ruf auf dem Spiel. Sie ist kein Massenprodukt, bei dem nur die Kosten zählen.»

swissinfo, Philippe Kropf

Auszug aus 2000/36/EG vom 23. Juni 2000:

«Neben Kakaobutter dürfen die aufgeführten pflanzlichen Fette den Schokolade-Erzeugnissen zugesetzt werden. Der Anteil darf nach Abzug des Gesamtgewichts der anderen verwendeten Lebensmittel höchstens 5% des Enderzeugnisses betragen.»

«Die Schokolade-Erzeugnisse dürfen in allen Mitgliedstaaten vermarktet werden, sofern die Angaben auf dem Etikett durch den ins Auge fallenden und deutlich lesbaren Hinweis ‹enthält neben Kakaobutter auch andere pflanzliche Fette› ergänzt werden.»

Die Schokolade-Tradition in Ländern wie Frankreich, Belgien und der Schweiz verlangt nach reiner Kakaobutter in der Schokolade. In Grossbritannien, Irland, Dänemark und Skandinavien werden schon lange auch andere Pflanzenfette beigemischt.

Bei der Umsetzung des EU-Binnenmarkts mussten die Rahmenbedingungen für die Schokolade-Rezepte vereinheitlicht werden.

Die hitzigen Debatten, was denn nun «reine Schokolade» sei, sorgten als «Schokolade-Krieg» für Schlagzeilen.

In der Abstimmung unterlagen schliesslich die Traditionalisten, die 5%-Norm wurde angenommen. So darf Schokolade ab Anfang August bis zu 5% genau definierte, tropische Ersatzfette beinhalten.

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