Nur wenige Schweizer Firmen sind krisenfest
Strategiefehler, besonders bei Auslandexpansionen, haben vor drei Jahren zum Swissair-Grounding geführt. Auch andere Unternehmen mussten deswegen Restrukturierungen vornehmen.
Laut einer Studie hat nur jedes zehnte Unternehmen in der Schweiz im vergangenen Jahrzehnt eine dauerhafte Rendite erwirtschaftet.
Nach intensiven Verhandlungen mit Wien musste die Swisscom letzten August beim Versuch, Telekom Austria aufzukaufen, den Schiffbruch eingestehen. Vielleicht gereicht der Fehlschlag dem Unternehmen aber zum Segen.
In den letzten Jahren haben zahlreiche Expansions- und Diversifikationsprojekte, die in den 90er-Jahren von grossen Schweizer Unternehmen in Angriff genommen wurden, als Katastrophen geendet. Als schmerzlichstes Beispiel dieser Art gilt das Grounding der Swissair.
Viele Swiss-Unternehmen: Swissair, Swisscom, Swiss Life…
Swisscom hatte in der Operation Debitel drei Milliarden Franken verbraten. Das Unternehmen wurde letzten Frühling mit viel Verlust verkauft. Weitere Hunderte von Millionen wurden in einer Serie von unglaublich falsch aufgezogenen Akquisitionen in Osteuropa und Asien in den Sand gesetzt.
Die Euphorie der letzten Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatte sogar vor Unternehmen nicht Halt gemacht, deren Vergangenheit traditionell von Ernsthaftigkeit und Vorsicht geprägt ist – wie Roche, Credit Suisse, Zurich, Winterthur, Swiss Life.
Sie alle mussten dann während der Krise in den Jahren 2001 und 2002 schwer für die Fehler büssen. Milliarden über Milliarden gingen dabei verloren.
Kreativ bei Expansion, eintönig beim Abbau
Die Abhilfe-Rezeptur ist, im Gegensatz zu den phantasievollen Expansionsplänen, immer dieselbe – und recht eintönig: Restrukturierungen, Ausverkäufe, Verkauf der weniger rentierenden Unternehmensteile und Einschnitte bei den Beständen.
Massnahmen, die die Belegschaft ungerechterweise auslöffeln muss, und die auch den Unternehmensberatern nicht gefallen. Diese werden ohnehin oft erst gerufen, wenn es schon zu spät ist.
«Für uns ist es ebenfalls sehr frustrierend, eingreifen zu müssen, um Restrukturierungs- und Entlassungspläne zu definieren und durchzusetzen», sagt Christoph Winterer, Partner der Beratergesellschaft Bain & Company.
«Anstatt ständig zu diesem Instrumentarium zurückgreifen zu müssen, wenn die Situation einmal ausser Kontrolle geraten ist, sollten die Unternehmen mehr überlegen und ihre Wachstumsstrategien besser planen.»
Doch wie soll man sowohl rentabel als auch dauerhaft wachsen? Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, hat Bain & Company nochmals die Zahlen von rund hundert Schweizer Unternehmen durchleuchtet. Diese sind alle börsenkotiert, und ihr Umsatz übersteigt die 300-Millionen-Marke.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in der Branche
Von diesen Unternehmen haben es nur 10% fertig gebracht, während des letzten Jahrzehnts gewisse von Bain & Company aufgestellte Kriterien zu erfüllen: Ein jährliches Umsatz- und Gewinnwachstum von 5,5% sowie eine Aktienrendite, die die Kapitalkosten (Zinsen) übersteigt.
«Interessant ist festzustellen, dass unter diesen zehn Prozent Unternehmen keine einzelne Wirtschaftsbranche dominiert», sagt Christoph Winterer. «Die Branchenzugehörigkeit an sich ist also noch kein Schlüssel zum Erfolg. Die erfolgreichen Unternehmen befinden sich in unterschiedlichen Sektoren.»
Dazu gehören Firmen aus dem Bereich der neuen Technologien wie Serono, Logitech und Tecan. Es gibt aber auch Unternehmen aus traditionellen Bereichen, wie Lindt & Sprüngli oder Rieter, oder sogar Infrastruktur-Anbieter wie BKW und Aare-Tessin (Atel).
Der wirkliche Schlüssel zum Erfolg liegt im Kernbereich der Firma: 80% der Unternehmen mit einem stabilen Wachstum haben auf eine Diversifikation verzichtet. Sie sind mit anderen Worten ihrer ursprünglichen Aktivität treu geblieben. Auf Business English nennt sich dies: Dem «Core Business» treu bleiben (Kernkompetenz).
«Diese Unternehmen haben all ihre Kräfte auf jenen Sektor konzentriert, den sie erfahrungs- und kompetenzmässig beherrschen, ohne Gefahr zu laufen, ihre Energien zu verzetteln», sagt Winterer.
Expansionen können gefährlich werden
«Lindt & Sprüngli beispielsweise ist der Schokolade immer treu geblieben. Das Unternehmen hat nicht einmal in die naheliegende Sparte Biskuit expandiert», sagt der Berater.
Sogar als das Unternehmen daran ging, im Ausland Fuss zu fassen, habe es das mit der grösstmöglichen Sorgfalt gemacht und nur solche Unternehmen gekauft, mit denen es vorher über längere Zeit zusammengearbeitet hatte.
Laut der Studie gehen 75% der Konkurse von mittleren und grösseren Unternehmen entweder ganz oder teilweise auf glücklose Versuche zurück, im Ausland zu expandieren.
«In den vergangenen 50 Jahren haben es ausser der Schweiz nur wenige Länder fertig gebracht, mit derart viel Erfolg in eine derart breite Palette wirtschaftlicher Sektoren im Ausland zu expandieren», sagt der Berater.
Wobei diese Unternehmen in der Schweiz von einem sehr begrenzten Inlandmarkt ausgehen mussten. Anderseits verfüge die «Marke Schweiz» nur noch in wenigen Wirtschaftssektoren über ein hohes Ansehen.
Die Konkurrenz sei viel stärker geworden. Und besonders die asiatischen Wettbewerber hätten fast überall den Abstand aufgeholt, den sich noch vor wenigen Jahren hatten.
Waaghalsige Expansionen: Nichts neues
Das Phänomen der waaghalsigen Expansionen und Diversifikationen ist nicht ganz neu. «Bereits während der 80er-Jahre befand sich in den Kassen von zahlreichen US- und europäischen Unternehmen zuviel Geld», erinnert sich Ludwig Allgöver. Der Berater beim Management-Zentrum St. Gallen sagt, dass diese Unternehmen schon damals mit Diversifikations-Bemühungen begannen. Sie dachten wohl, damit ihre Unternehmensrisiken besser zu streuen.
«Mit der Folge, dass sich das Management in vielen Unternehmen nicht auf die neuen Märkte vorbereitet hatte», so Allgöver. Anfang der 90er-Jahre hätten sich zahlreiche Firmen wieder auf ihre Kernkompetenzen konzentriert.
Alles nur eine Frage des Zyklus?
Denselben Konzentrations-Prozess habe man in den letzten Jahren nochmals beobachten können, nach den grossen Verlusten in 2001 und 2002. Doch vielleicht sei das einfach nur der Beginn eines neuen Zyklus.
Heute könne man beobachten, dass sich viele Unternehmen nicht mehr so einfach von der Logik kurzfristiger Profite und Shareholder-Value-Interessen verführen liessen.
«Zur Zeit sucht man eher eine Wachstumsstrategie einzuschlagen, die auf ein dauerhaftes Auskommen ausgerichtet ist. Doch niemand weiss, wie lange dies noch dauert», warnt Allgöwer.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
Bain & Company analysierte das Wachstum von Umsätzen und Gewinnen sowie der Aktienrenditen der wichtigsten Schweizer Unternehmen zwischen 1994 und 2003.
Börsenkotierte Unternehmen, die die von Bain & Company aufgestellten Kriterien eines dauerhaften Wachstums erfüllen: Aare Tessin (Atel), BKW FMB Energie, EG Laufenburg, Galenica, Lindt & Sprüngli, Logitech, Rieter Holding, Serono, Tecan.
Laut der Studie «Die Wachstumsformel» von Bain & Company haben nur 10% der grösseren Schweizer Firmen ein nachhaltig dauerhaftes Wachstum der Rendite in den letzten zehn Jahren zustande gebracht.
80% dieser erfolgreichen Firmen halten ihre Aktivitäten auf einen einzigen Bereich konzentriert.
75% der Konkurse bei mittleren und grossen Unternehmen gehen auf misslungene Expansionsversuche im Ausland zurück.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch