Osthilfe als Investition in die Zukunft
Die Schweizer Gelder, welche in die Kooperations-Programme der Ostzusammenarbeit fliessen, sind laut Hugo Bruggmann auch für das Geberland eine ausgezeichnete Investition.
Der Experte im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) betont auch die positiven Folgen dieser Hilfe für die Demokratisierung und Entwicklung der Ostländer.
Am 26. November äussert sich das Stimmvolk zum Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas («Bundesgesetz Ost»).
Darin geht es auch um die Osthilfe-Milliarde, welche die Schweiz an die zehn neuen Mitglieder der Europäischen Union (EU) zahlt. Sagt das Schweizer Volk Ja dazu, obliegt es dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), neben der bisherigen Osthilfe auch die neuen Programme aus eben dieser Osthilfe-Milliarde zu koordinieren.
Die Schweiz zahlt diesen Beitrag nicht in den Kohäsionsfonds der EU ein, somit kann sie selber bestimmen, welche Projekte sie damit unterstützt. Mit den Geldern aus dem Kohäsionsfonds fördert die EU den Anschluss der rückständigen neuen Mitglieder aus dem Osten an Westeuropa.
Hugo Bruggmann, beim SECO verantwortlich für den Solidaritätsbeitrag, spricht mit swissinfo über die Bedeutung dieser Hilfe.
swissinfo: Seit 1989 sind schon viele Milliarden Franken für Osteuropa gesprochen worden. Allein die Schweiz hat für die Entwicklung der ehemals kommunistisch regierten Ost-Länder 3,5 Milliarden zur Verfügung gestellt. Sind diese Gelder wirkungsvoll eingesetzt worden?
Hugo Bruggmann: Bestimmt hat diese Hilfe dazu beigetragen, den Wechsel in vielen Staaten Osteuropas zu beschleunigen. Diese benötigen grosse Summen, um ihre Institutionen und Volkswirtschaften zu transformieren.
Ich würde sogar sagen, dass – an den erreichten Zielen gemessen – die Kooperation mit den Ostländern exemplarisch verlaufen ist.
Noch 1989 konnten sich nur wenige Leute vorstellen, dass die acht osteuropäischen Länder derart rapide Fortschritte machen würden, dass sie 15 Jahre später bereits EU-Mitglieder würden.
Im historischen Vergleich ist diese Leistung gewiss als grandios einzustufen. Und die Schweiz hat mit ihren Programmen, die von den europäischen Partnern übrigens sehr geschätzt werden, dazu beigetragen.
swissinfo: Wie sind die herausragenden Fortschritte der neuen EU-Mitglieder zu erklären?
H.B.: In diesen Ländern existierten bereits funktionierende Strukturen, obschon sie oft Verbesserungen nötig hatten. Man musste deshalb nicht von vorne beginnen. Ausserdem war das Bildungsniveau hoch, und die Kultur ist ähnlich wie bei uns. Es gab somit keine grossen Verständigungsprobleme.
Wir haben auch äusserst motivierte Leute getroffen. Der Fall der Mauer in Berlin eröffnete ganz neue Perspektiven. Sie legte Energien frei, die lange Zeit verschüttet geblieben waren.
Die Leute haben die Ärmel hochgekrempelt, sie waren hungrig nach einem Wechsel.
swissinfo: In welchen Bereichen haben sich die Programme der Schweiz als am nützlichsten erwiesen?
H.B.: Wir haben bis jetzt wohl an die tausend Projekte unterstützt. Es ist deshalb schwierig, Einzelaspekte in den Vordergrund zu rücken. Sicher wäre die Verbesserung von lebenswichtigen Infrastrukturen zu nennen. Zum Beispiel der Zugang von Millionen von Personen zu sauberen Trinkwasser und Gesundheits-Einrichtungen.
Besonders verweisen möchte ich auf Programme in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und anderen Balkanregionen. Sie trugen sicher zur Wiederannäherung der verschiedenen Ethnien bei, die sich während des Krieges bekämpft hatten.
swissinfo: Hat sich die Demokratisierung der ehemals kommunistisch beherrschten Länder im Osten inzwischen konsolidiert, oder verbleiben noch Risiko- oder Konfliktzonen, welche die Stabilität in Europa bedrohen könnten?
H.B. Insgesamt verlief die politische Transition sehr positiv. Tragische Ausnahmen sind die bewaffneten Konflikte im Balkan, im Kaukasus oder in Zentralasien. Hier ist noch Vorsicht geboten.
In einigen Ländern sind die Reformen noch nicht genügend fortgeschritten, und die politische Situation bleibt fragil. Die Änderungen der vergangenen Jahre verschärften die sozialen Ungleichgewichte und die Minderheiten-Fragen.
Viele der Probleme dort reichen über die nationalen Grenzen hinaus, wie Umweltschäden, Migrationsdruck oder organisierte Kriminalität.
Nur über mehr Entwicklung und bessere Lebenshaltung können sie gelöst werden. Die Zusammenarbeit dient uns deshalb auch als Investition in unsere eigene Zukunft: Wir reduzieren damit die Risiken im uns näher gerückten Osten.
swissinfo: Die neuen EU-Mitglieder im Osten haben die Transitions-Probleme grösstenteils überwunden. Brauchen die unsere Hilfe noch?
H.B. Auch hier, besonders in den jeweiligen Ost-Ländern, verbleiben infrastrukturelle Bedürfnisse. Defizite sind vor allem im Umweltschutz auszumachen. Ausserhalb der grossen Zentren fehlen oft noch Kläranlagen.
Weitere Defizite verbleiben im Energiebereich, im öffentlichen Verkehr und im Gesundheitswesen. Allein im Umweltbereich werden die nötigen Investitionen auf über 100 Mrd. Franken geschätzt.
Über ihren Kohäsions- und ihre Struktur-Fonds gibt sich die EU alle Mühe, die Entwicklung in diesen Ländern zu unterstützen, und damit die Unterschiede zwischen Ost und West zu verkleinern. Das muss unterstrichen werden. Als Vergleich wären die Vereinigten Staaten heranzuziehen, die auf dem amerikanischen Kontinent bisher nichts ähnliches vorzuweisen haben.
swissinfo: Wie können Verbesserungen der Infrastruktur und wirtschaftliche Entwicklung in den neuen EU-Ländern auch die Schweiz befruchten?
H.B. Die Schweiz profitiert vom erreichten Fortschritt, weil dadurch neue Handelspartner und Absatzmärkte entstehen. Das heisst: die Schweizer Firmen schaffen Arbeitsplätze. Seit es diesen Ländern besser geht und dort mehr konsumiert wird, haben die Schweizer Exporte stark zugenommen.
Es genügt ein Blick auf die Schweizer Handelsbilanz: 2005 schloss sie mit einem Überschuss von fast 1,4 Mrd. Franken ab.
swissinfo-Interview, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
Mit dem Anschluss der zehn neuen Länder an die EU im Mai 2004 vergrösserte sich der gemeinsame Markt um 75 auf 475 Mio. Konsumenten.
Dank den bilateralen Verträgen mit Brüssel kann auch die Schweiz von diesem riesigen neuen Markt Nutzen ziehen.
Diese EU-Erweiterung dürfte zu einem Wachstum des Schweizer Bruttosozialprodukts von 0,2 bis 0,5% führen.
Auf die acht neuen EU-Länder entfallen zur Zeit 3% der Schweizer Ausfuhren.
2005 ergab die Handelsbilanz der Schweiz mit diesen Ländern einen Überschuss von beinahe 1,4 Mrd. Franken.
Über die Struktur- und Kohäsions-Fonds wird die EU ab 2007 33 Mrd. Franken jährlich einsetzen, um bei ihren zehn neuen Mitgliedsländern die sozialen Unterschiede zu verringern und das Wachstum zu fördern.
Auf Anfrage der EU sprach der Bundesrat 2004 einen Solidaritäts-Betrag von 1 Mrd. Franken für die EU-Erweiterung.
Im März verabschiedete das Schweizer Parlament das neue Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas. Dieses dient auch als Basis für Zahlungen an neue EU-Mitglieder.
Per Referendum angefochten, wird am 26. November 2006 über dieses «Bundesgesetz Ost» abgestimmt.
Seit 1990 hat der Bund bereits 3,45 Mrd. Franken gutgeheissen, um die Transition der ehemals kommunistisch beherrschten Länder Osteuropas in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft zu unterstützen.
1954 in Rheinfelden, Aargau, geboren. Doktorat in Wirtschafts-Wissenschaften an der Uni St. Gallen.
1983-84: IKRK-Delegierter in Jordanien, Libanon und Irak.
1985 begann er seine Karriere im schweizerischen Volkswirtschafts-Departement (EVD).
1995-1999: Verantwortlicher für die Hilfe für Mittel- und Osteuropa im Sekretariat für Wirtschaft (SECO).
Ab 2004: Leiter Erweiterungs-Beitrag SECO.
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