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Pfeile im Köcher für die Kontroverse mit Brüssel

Hans Eichel: "Die Schweiz liegt mitten in Europa." Reuters

Der Steuerstreit zwischen der Schweiz und der EU ist eine politische, keine juristische Knacknuss. Die Positionen der Schweiz und der EU bleiben kontrovers. Das ist das Fazit einer Tagung in St. Gallen.

Auch die Wissenschaft beurteilt die Folgen des Steuerwettbewerbs nicht einheitlich. Die Diskussionen unter Wissenschaftern waren sachlich, jene unter Politikern etwas emotionaler.

Höhepunkt der Tagung war der Schluss. Hans Eichel prognostizierte “die Schweiz wird dieses Prinzip nicht halten können”.

Damit hatte er die Steuerprivilegien der Kantone für ausländische Holdings im Visier.

Der Sozialdemokrat Eichel ist prominenter Kritiker des Schweizer Steuersystems, ehemaliger Finanzminister Deutschlands und Mitglied jenes EU-Ausschusses, der mit der Schweiz im Steuerstreit verhandeln wird.

“Ich habe schon noch einige Pfeile im Köcher”, konterte der Freisinnige Schweizer Finanzminister Hans Rudolf Merz und deutete an, dass die Pfeile auf die steuerlichen Ungleichheiten innerhalb der EU zielen werden.

“Die Kantone sind bei den Kantonssteuern souverän. Das Völkerrechts-Subjekt der EU sind nicht die Kantone, sondern die Schweiz.” Diese behandle in- und ausländische Unternehmen steuerlich gleich.

Es gebe keine völkerrechtlichen Prinzipien, die den Steuerwettbewerb in Frage stellten. Verhandlungen seien deshalb kein Thema, betonte Merz. “Als souveräner Staat setzen wir uns dagegen zur Wehr.”

Damit bestätigte der Finanzminister die Haltung, welche die Landesregierung im Steuerstreit seit Beginn einnimmt.

Vorwurf

“Die Schweiz sucht sich sorgfältig aus, wo sie Mitglied sein will. Vielleicht wird sich die EU demnächst auch sorgfältig überlegen, wo sie mit der Schweiz Verträge abschliessen will. Das kann wehtun”, mahnte Eichel, der die Schweiz mehrmals einlud, der EU beizutreten.

Gerold Bührer, Präsident des Wirtschafts-Dachverbandes economiesuisse wehrte sich vehement gegen den Vorwurf der “Rosinenpickerei”. Die Schweiz sei nicht EU-Mitglied und deshalb seien deren Normen “für uns keine völkerrechtlich bindende Rechtsakte”.

In seinem Referat lobte Bührer den Steuerwettbewerb und Steuersenkungen. “England hat die Steuern gesenkt, die Steuereinnahmen verdoppelt und die Arbeitslosigkeit gesenkt. Eine niedrige Steuerquote bringt mehr Wohlstand.”

Auch Finanzminister Merz plädierte für den Steuerwettbewerb und erinnerte daran, dass der Gewinnsteuersatz für Unternehmen in Irland lediglich 12,5% betrage, währenddem er in der Schweiz bei über 21% liege.

Auch wissenschaftlich umstritten

Merz wehrte sich gegen die Kritik der Linken im Land, der Wettbewerb löse eine ruinöse Steuersenkungsspirale aus. Trotz Wettbewerb und Sparprogrammen verludere nirgends im Land eine öffentliche Aufgabe. “Ganz im Gegenteil. Unsere Infrastrukturen funktionieren.”

Wissenschaftlich sei es umstritten, ob Wettbewerb mehr nütze als schade, sagte Gebhard Kirchgässner, Professor an der Universität St. Gallen.

Der Ökonom wies darauf hin, dass Unternehmen immer weniger dort Steuern bezahlten wo sie produzierten, sondern dort wo der Steuersatz tief sei. “Das ist ökonomisch nicht ganz unproblematisch.”

Politisch könnte der “extreme Steuerwettbewerb zu einer Katastrophe führen”, warnte Kirchgässner. Nämlich dann, wenn es zu einer Volksinitiative käme, die den Wettbewerb verbieten möchte. “Nutzniesser des Wettbewerbs sind relativ wenige. Das dürfte in einer Abstimmung kaum für eine Mehrheit reichen.”

“Steuerwettbewerb führt tendenziell dazu, dass die multinationalen Konzerne und die Topverdiener profitieren”, diagnostizierte Bernd Schips, ehemaliger Leiter der Konjunkturforschungsstelle der ETH.

Kontrahenten müssen Gesicht wahren

Ausgelöst hat den Steuerstreit mit der EU die Steuerpraxis verschiedener Schweizer Kantone. Holdings müssen auf Stufe Kanton keine Gewinnsteuer bezahlen. Die Kapitalsteuer beschränkt sich auf einen symbolischen Steuersatz.

Damit müssen die Holdings auch Geld, welches sie im Ausland verdienen, auf kantonaler Ebene nicht voll besteuern. Auf Stufe Bund werden die Holdings jedoch regulär besteuert.

Die EU-Kommission argumentiert, diese Steuerprivilegien verfälschten den Wettbewerb, seien unerlaubte Beihilfen und würden gegen das Freihandelsabkommen von 1972 verstossen.

Juristisch sei der Fall klar, führte die Europarechtlerin Astrid Epiney an der Tagung aus. Das Freihandelsabkommen werde nicht verletzt.

Der Streit müsse wahrscheinlich politische gelöst werden. “Die Herausforderung wird sein, dass man ihn so löst, dass keiner der beiden Kontrahenten das Gesicht verliert.”

swissinfo, Andreas Keiser, St. Gallen

In der Schweiz sind mehr als 13’000 Holdings niedergelassen.

Die meisten Holdings hat der Kanton Zug (6000), gefolgt von den Kantonen Tessin (2200), Freiburg (2000), Glarus (1000), Genf (675) und Zürich (550).

Auch andere europäische Länder, namentlich Spanien, Luxemburg und England locken so genannte “Briefkastenfirmen” mit Steuerprivilegien an.

Das Steuersubstrat aller Holding-Gesellschaften in der Schweiz beläuft sich auf jährlich (Bund und Kantone) 3 Milliarden Franken.

Im September 2005 beanstandet die EU-Kommission in einem Brief die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz.

Im Juli 2006 verschärft Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Ton.

Im November 2006, nach der Zustimmung des Schweizer Volkes zur Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Staaten, droht der Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EU, die Kommission werde ein Dokument an alle EU-Staaten verschicken, das die Schweiz auffordert, sich den EU-Regeln anzupassen.

Ende April 2007 kündigt Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine Reform der Unternehmensbesteuerung an, mit dem Ziel, die Gewinnsteuern zu senken.

Am 14. Mai 2007 verabschiedet der EU-Ministerrat Verhandlungsmandat.

Am 16. Mai reagiert die Landesregierung auf das inzwischen in Bern eingetroffene Mandat und stellt sich auf die Position: “Verhandlungen Nein, Dialog Ja”.

Dieser “Dialog” soll nach den nationalen Wahlen vom 21. Oktober stattfinden.

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