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Presse: uneinig nach Italiens Banken-Attacke

swissinfo.ch

Die Schweizer Zeitungen reagieren ganz unterschiedlich auf die italienischen Razzias gegen 76 Filialen von Schweizer Banken. Während einige den Kopf schütteln und dem Bankenplatz Tipps geben wollen, haben andere Verständnis für Italien.

«Blaulicht statt Fakten», «Und munter brennt es weiter», «Scheinheiligkeit auf allen Seiten» sind nur einige der Titel in der Schweizer Presse.

Vorfälle und zeitliche Abfolge wie auch die Interessen der handelnden Organe würden sich gleichen, heisst es in der Neuen Zürcher Zeitung.

«Nach den USA und Deutschland ist es nun der italienische Fiskus, der in der Not leerer Staatskassen und getrieben durch die Verlockung, mit populären Taten innenpolitischen Druck abzubauen, zum Sturm auf die Schweizer Banken bläst.»

Vor dem Hintergrund der jüngsten Steueramnestie in Italien setze Finanzminister Giulio Tremonti auf die Strategie, «mit medienwirksamen Mitteln den Druck auf den Finanzplatz Tessin und damit auf die Schweiz zu erhöhen».

«Oberstes Ziel ist es dabei nicht etwa, Steuersubstrat zu sichern, sondern den Banken grösstmöglichen Imageschaden zuzufügen und die Kunden so sehr zu verunsichern, dass das Vertrauen in die Sicherheit des Depotstandortes Schweiz nachhaltig erschüttert wird.»

Hilflose Schweiz

Schliesslich gehe es Italien, wie den USA und Deutschland auch, darum, das Bankgeheimnis aufzuweichen. Und die Schweiz reagiere einmal mehr «nach bekanntem Muster: überrascht, befremdet, eher defensiv denn interessenpolitisch – und letztlich einmal mehr hilflos».

«Was also tun?», fragt die NZZ. Und sie liefert auch gleich die Antwort: «Soll der Wohlstand erhalten bleiben, müssen neue Geschäftsfelder gefunden werden. Gefordert ist ein Mehr an Kreativität. Viel Zeit bleibt nicht mehr.»

Scheinheilig

Weniger drastisch schätzt Der Bund aus Bern die Situation ein: «Auch wenn Finanzminister Tremonti bei der Wahl der Worte und der Methoden über das Ziel hinausschiesst: Die helvetische Empörung wirkt in der Tat etwas scheinheilig», heisst es im Kommentar, der auch in anderen regionalen Zeitungen erscheint.

Scheinheilig sei aber auch die «plötzliche italienische Null-Toleranz» gegenüber Steuerbetrügern: «Sie entspringt nicht dem Drang, die Steuergesetze (endlich) durchzusetzen, sondern dient einzig und allein der kurzfristigen Beschaffung von frischen Mitteln für die gähnend leere Staatskasse.»

Die Tessiner Banken könnten sich also bereits wieder auf Geldzuflüsse freuen: «Wenn die aktuelle Amnestie am 15. Dezember beendet wird, werden sich die Konten ihrer italienischen Kunden sehr bald wieder auffüllen.»

Fakten, bitte

Denn die meisten Reichen und Superreichen in Italien würden ihr Geld im Tessin trotz allem immer noch so sicher aufgehoben wähnen, dass die Amnestie ein Flop zu werden drohe, schreibt der Zürhcer Tages Anzeiger. «Das hat wohl auch damit zu tun, dass Recherchen offenbar nicht zu den grossen Stärken von Italiens Steuerbehörden gehören.»

Hinter den Razzien steckten die italienischen Banken, die «sauer» seien, weil nur ein kleiner Teil der legalisierten Vermögen bei ihnen lande, vermutet der Tagi.

«Die Finanzpolizisten und ihre schnellen Alfas sind in die Kasernen zurückgekehrt. War alles nur eine Medienshow? Jetzt muss Italiens Regierung auf den Tisch legen, was sie den Schweizer Banken genau vorwirft. Herr Tremonti, die Fakten, bitte.»

Fehlendes Vertrauen

Man könne sich fragen, ob Roms Polizeirazzien nicht «Ratlosigkeit oder sogar Zweifel der Regierung Berlusconi verraten», schreibt die Westschweizer Zeitung Le Temps.

Noch nie seien die Bedingungen einer Amnestie für Steuerbetrüger so grosszügig gewesen. «Die Karotte ist so süss, doch warum muss Italien mit der Peitsche knallen, um sein Ziel zu erreichen? Der Mangel an Vertrauen der Italiener in ihre Regierung ist keine Legende.»

Verständnis

Tremonti gehe es bei der Aktion darum, zu zeigen, «dass es ihm ernst ist», schreibt der Blick. «Er will den Schwarzgeld-Sündern Angst einjagen und sie zur Selbstanzeige bewegen.»

Der Steuerkrieg mit der Schweiz sei nicht nur italienische Innenpolitik, so der Kommentator. Die Schweiz werde weiterhin «unter extremem Druck» bleiben.

«Seien wir ehrlich. Die Italiener haben recht. Die Schweiz muss alles Verständnis haben für deren Jagd auf die Steuerflüchtlinge – auch wenn es dem Tessin weh tut!»

Christian Raaflaub, swissinfo.ch

Das Verhalten der italienischen Steuerbehörde eckt derweil auch bei den italienischen Emigranten in der Schweiz an.

Ein Rundschreiben der ‹Agenzia entrate› an im Ausland lebende Italiener, ihre Vermögensverhältnisse doch bitte zu deklarieren, hat harsche Reaktionen ausgelöst.

Bei allem Verständnis für die Steueramnestie sorgte insbesondere der Tonfall des Schreibens für Missstimmung, weil praktisch alle Auslanditaliener wie kriminelle Steuerhinterzieher gehandelt werden, hält der Italienische Verband christlicher Arbeiter (ACLI) fest.

In Italien schätzt man, dass dank der dritten Steueramnestie 86 Milliarden Euro repatriiert werden können, 60% davon aus der Schweiz (der Rest aus dem EU-Land Luxemburg).

Diese Annahme machte PricewaterhouseCoopers Advisory am 19.Oktober bei einem Forum der Vereinigung italienischer Privatbankiers.

Die italienische Presse unterstützt grossmehrheitlich den Kurs der Regierung Berlusconi in Bezug auf die Steueramnestie. Der Corriere della Sera spricht von einem «Angriff Tremontis auf das Bollwerk Schweiz».

Der Historiker und Intellektuelle Sergio Romano von einem «rückwärtsgerichteten Kampf der Eidgenossen um das Bankgeheimnis».

Der Tessiner Ständerat Dick Marty (FDP) erklärte, dass die italienische Steueramnestie in ihrer jetzigen Form nicht erfolgen könnte, wenn die Schweiz EU-Mitglied wäre.

Dies zeige das Vorgehen Italiens in Ländern wie Luxemburg und Österreich.

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