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Presse unterstützt Bundesrat im Steuerstreit mit der EU

Die Presse steht für einmal geschlossen hinter Finanzminster Merz. swissinfo.ch

Der Streit zwischen der EU und der Schweiz um die kantonale Hoheit bei der Unternehmensbesteuerung dominiert am Mittwoch die Schlagzeilen der Schweizer Zeitungen.

Weitaus die meisten Pressekommentare wehren sich gegen den Druck aus Brüssel und unterstützen die Haltung der Regierung.

Die Schweizer Presse lehnt wie die Schweizer Regierung Eingeständnisse im Steuerstreit mit der EU ab. «Dem Druck widerstehen», schreibt der Tages-Anzeiger. «Schlechter Stil», kommentiert die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), «Es geht um Geld, nicht ‹Moral'», so Der Bund, und «Brüssel droht, die Schweiz fühlt sich provoziert», titelt die Westschweizer Zeitung Le Temps.

Die grossen Zeitungen stellen sich hinter den Bundesrat: Der «kühne Versuch der EU-Kommission, sich in die Steuerhoheit des Drittlandes Schweiz einzumischen, zeugt von schlechtem Stil und wenig Respekt gegenüber der Eidgenossenschaft», schreibt die NZZ.

Überraschend sei diese Eskalation nicht gekommen, so die NZZ. Seit dem Brief der EU-Kommission vom 26. September 2005, der Auskunft über kantonale Regime in der Besteuerung forderte, habe es eine Art «Dialog zwischen Taubstummen» gegeben.

Guter Zeitpunkt für Provokation

Der Tages-Anzeiger verweist auf den «angenehmen Zeitpunkt» der Provokation aus Brüssel: Der Schweiz gehe es gut, der Zuzug tüchtiger Ausländer sei gross, und die Europa-Politik der Regierung sei demokratisch legitimiert. In kaum einem anderen Land Europas hätten sich die Bürger derart direkt mit Europapolitik und Integration auseinander gesetzt wie in der Schweiz.

Deshalb hätten Politiker und Diplomaten dem Druck aus Brüssel so lange wie möglich standzuhalten.

Der Bundesrat könne «unmöglich Hand zu formellen Verhandlungen bieten», so Der Bund, «denn das Streitobjekt ist Kantonssache». Der Bund befürchtet zwar keine Wirtschaftssanktionen, aber Nadelstiche und Erschwerungen in den Dossiers der bilateralen Beziehungen.

«Die EU will der Schweiz einen Standortvorteil wegnehmen, den sie unionsintern abgeschafft hat.»

«Gelassenheit ist angesagt»

«Gelassenheit ist angesagt», findet hingegen die Berner Zeitung (BZ). Sie bringt Verständnis auf für die vitalen Interessen der EU, das Geld in ihren Reihen zu behalten. Es stimme ja, dass viele Betriebe wegen der Steuervorteile in die Schweiz abwanderten.

Dass Brüssel sich wegen der Handelsverzerrung, die Steuervorteile nach sich zögen, Strafzölle gegen die Schweiz vorbehalte, löse in der Schweiz zu Recht Empörung aus, schreibt die Neue Luzerner Zeitung. Es sei «überaus befremdlich», dass die EU-Kommission einem befreundeten Drittstaat wegen vager Vermutungen mit Handelssanktionen drohe.

Doch schliesst die NLZ: «Auf lange Sicht dürfte die Schweiz kaum darum herumkommen, diese alten Steuerpraktiken der Kantone in EU-kompatibler Weise umzubauen.»

«Ende des bilateralen Wegs»?

Noch weiter geht die Südostschweiz: «Dieser Entscheid könnte der Anfang vom Ende des bilateralen Wegs der Schweiz bedeuten.» Sie verweist auf den von allen EU-Staaten unterzeichneten Verhaltenskodex, der solche Steuererleichterungen, wie sie Schweizer Kantone offerieren, verbietet.

Juristisch möge die Schweiz unangreifbar sein, so die Südostschweiz weiter. Doch könne sie sich den politischen und wirtschaftlichen Realitäten kaum entziehen. Die EU von 2006 sei nicht mehr die EG von 1972, als der Freihandels-Abkommen unterzeichnet worden war.

«Sollte die Schweiz auf ihren Steuerprivilegien beharren, ist ein Handelskrieg nicht auszuschliessen.» Wenn sich die EU schon mit Russland, China oder Microsoft anlege, werde sie auch vor Auseinandersetzungen mit der kleinen Schweiz nicht zurückschrecken.

Laut dem Blick will die EU-Kommission «einen Steuerkrieg anzetteln». «Doch könnte das Ganze zum Rohrkrepierer werden.»

«Noch Zeit genug»

Es wäre taktisch unklug, so die Basler Zeitung, wenn Finanzminister Merz jetzt schon Entgegenkommen signalisieren würde. «Dazu ist noch Zeit genug.» Die EU sei sich in Steuerfragen noch keineswegs einig.

Den «kriegsheulenden» politischen Parteien rät die Basler Zeitung, die nächsten Monate lieber für eine Debatte über die Steuerforderungen der EU und ihre Motive zu nutzen.

Momentan könne sich nur Merz freuen: Bisher nicht gerade vom Erfolg verwöhnt, finde er sich nun in der Traumrolle eines Fiskal-«Winkelrieds» wieder.

«Eigengoal der EU-Kommission»

Die Westschweizer «24 heures» gratuliert Brüssel. Sie habe es geschafft, (fast) alle Schweizer zu vereinen. Und dazu noch ein «Eigengoal» zu schiessen: Die Anti-Europäer spürten wieder Aufwind. Weshalb diese Einigkeit? Die Schweizer liebten es nicht, Befehle aus Brüssel zu empfangen, besonders wenn sie «juristisch diskutabel» seien.

«24 heures» schliesst Steuerdiskussionen zwischen Bern und Brüssel zwar nicht aus, sieht sie aber sachlich nicht mit dem Freihandel verbunden. Denn auch EU-Länder wie Irland, Zypern, Slowenien oder Luxemburg bevorzugten Unternehmen steuerlich.

Zweitauflage der Bankgeheimnis-Diskussion?

Die Tribune de Genève fragt sich, ob der Schweiz nun eine ähnliche Runde wie beim Bankgeheimnis bevorstehe. «Alles spricht dafür, da Steuerfragen ohnehin in allen Völkern und Nationen für Aufruhr sorgen.»

Die Tribune spürt innerhalb der EU der 27 eine «anspannte, ja nervöse Debatte», die auch der Verhaltenskodex in Sachen Steuern nicht entspanne. Von einer Steuer-Harmonisierung sei man weit entfernt. «Und dann noch dieses Problem mit der Schweiz…»

swissinfo, Alexander Künzle

Artikel 23.iii des Freihandelsabkommens Schweiz-EU von 1972 sagt, «dass jede Hilfestellung der öffentlichen Hand, welche die Konkurrenz unter Unternehmen oder der Produktion von Waren beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, mit dem Geist des Abkommens unvereinbar ist».

Das Abkommen von 1972 regelt ausschliesslich den Handel mit bestimmten Gütern (Industriegütern und Agrarprodukten).

Die Schweiz vertritt die Haltung, dass die Steuervergünstigungen in gewissen Kantonen für Auslandgeschäfte von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischten Gesellschaften nicht unter das Freihandelsabkommen mit der EU fallen.

Die EU-Kommission hat am Dienstag die Steuer-Privilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, als unvereinbar mit dem Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) bezeichnet.

Sie fordert die Schweiz auf, diese Steuer-Praxis zu ändern und dem Abkommen anzupassen. Sie verlangt von ihren Mitgliedstaaten ein Mandat, das ihr erlaubt, Verhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden».

Die europäische Exekutive stört sich an den Steuerprivilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, die bei ihnen den Sitz ihrer Holdings eingerichtet haben, ihre Gewinne jedoch im Ausland realisieren.

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