Prognose: China bleibt globaler Wachstumsmotor
Chinas langfristige Wachstumsperspektiven blieben hervorragend, auch wenn es bei der Ankurbelung des heimischen Konsums gewisse Hindernisse gebe, sagten Kenner der chinesischen Wirtschaft am World Economic Forum (WEF) in Davos.
Diese Prognose wird viele Schweizer Exporteure freuen, die ihren Blick von Europa vermehrt auf die dynamischsten Schwellenländer ausrichten.
Rund 300 Schweizer Firmen sind heute in China bereits mit eigenen Niederlassungen vertreten, viele weitere fassen mit ihren Produkten in dem rasch wachsenden Markt Fuss.
Befürchtungen vor einer Überhitzung der chinesischen Wirtschaft (sie wuchs 2011 um 8,9%) wurden am WEF in Davos von Experten zerstreut. Delegierte widersprachen auch Ängsten des Westens, China versuche, die globale Vorherrschaft zu erringen.
«Chinesische Geschäftsleute sind voller Energie und sehr optimistisch, was die Zukunft angeht», erklärt John Quelch, Dekan der China Europa International Business School Shanghai, gegenüber swissinfo.ch. «Sie betrachten die gegenwärtige Situation als einmalige Gelegenheit, sich selber, ihre Familien und ihr Land voranzubringen.»
«Und diese Stimmung wurde durch den Abschwung im Westen noch verstärkt», fügt Quelch hinzu. «Die meisten Chinesen glauben, dass dies eine Gelegenheit ist, den wirtschaftlichen Graben zum Westen zu schliessen.»
Ausländisches Know-how im Visier
Chinas Wirtschaft hat sich von einem Produktionsstandort für billige Konsumartikel zum innovativen Technologie-Hub entwickelt. Eine Umfrage unter ausländischen Firmen in China durch das Schweizer Beratungsunternehmen CH-ina mit Sitz in Shanghai ergab, dass die zweitwichtigste Sorge der Unternehmen heute der lokale Wettbewerb ist.
«Betrachten wir zum Beispiel das Internet: Vor wenigen Jahren noch orientierten sich chinesische Unternehmen an ausländischen Konzepten wie Twitter und Facebook und kopierten diese für den chinesischen Markt», sagt Olivier Schwab, WEF-Exekutivdirektor für China, zu swissinfo.ch.
«Unterdessen wurde einen ganze Reihe von Funktionen und Diensten für die lokalen Marktbedürfnisse entwickelt. Die ‹Weibo› (Mikroblogging-Dienste) gleichen den ursprünglichen Sites, von denen sie inspiriert waren, nicht mehr, manche sind sogar anspruchsvoller.»
Trotz ihren Ängsten erklärten 85% der Schweizer Firmen in China, dass ihre Einkünfte 2011 höher waren als im Jahr zuvor. Ein etwa gleich grosser Anteil der Unternehmen hat auch Pläne, ihre Investitionen in China zu erhöhen.
Auch Schweizer Exporte nach China boomen: Sie stiegen in den ersten neun Monaten 2011 um 18% auf 6 Mrd. Franken. China ist heute nach der Europäischen Union und den USA der drittgrösste Exportmarkt der Schweiz.
Investitionen mit Auflagen
China hat sich auch pro-aktiv um Einsichten in die Geschäftswelt des Westens bemüht. Verhandlungen um gesicherten Marktzugang sind oft mit Auflagen an ausländische Unternehmen verknüpft, in Forschungs- und Entwicklungs-Standorte in China zu investieren, wie John Quelch sagt.
Diesen Monat verpflichtete sich der Schweizer Nahrungsmittel-Multi Nestlé zu Investitionen von 376 Mio. Franken in der Provinz Heilongjiang, nur wenige Wochen, nachdem die chinesischen Behörden grünes Licht für die Übernahme des Süsswarenherstellers Hsu Fu Chi durch Nestlé gegeben hatten.
China steht aber auch vor wichtigen Herausforderungen: Dazu gehört der Übergang von einer exportorientierten Produktions-Wirtschaft hin zu mehr Konsum im Inland. Das grösste Problem sei, Chinas Konsumenten und Konsumentinnen zu überzeugen, mehr auszugeben, sagt Quelch.
«Das grosse Rätsel ist, wie China diesen Sprung vollziehen und die Menschen überzeugen will, für ihr Alter weniger zu sparen, wo es doch kein soziales Netz und so gut wie keine staatliche Vorsorge gibt», sagt Quelch.
Die am raschesten wachsende Wirtschaft der Welt müsse auch die Effizienz ihrer riesigen staatlichen Betriebe verbessern, vor allem im Energie- und im Transport-Sektor.
«Die chinesische Regierung ist klug genug zu erkennen, dass der weitere Erfolg der Wirtschaft davon abhängt, dass die riesigen Staatsunternehmen effizienter betrieben werden», so Quelch weiter. Staatsbetriebe zeigten immer mehr Interesse an den besten MBA-Studenten, um das Kaliber ihrer Manager zu verbessern.
«Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die schlechte Praxis von staatlich betriebenen Unternehmen in Europa auch in China Einzug halten wird», unterstreicht er.
Schlechtes Image
Chinas unbarmherziger wirtschaftlicher Aufstieg (das Land überholte Japan im vergangenen Jahr als zweitgrösste globale Wirtschaft) hat gewisse Kommentatoren im Westen alarmiert.
Ein Teil des Erfolgs Chinas geht auf das autoritäre Regime zurück, das rasch Entscheide fällen und gleichzeitig riesige Ressourcen aufbieten kann – ohne Debatten führen zu müssen. Der Erfolg dieses Modells von Staatskapitalismus ist auch David Rubinstein nicht entgangen, dem Chef der amerikanischen Private Equity Carlyle Group.
«Wir haben im Westen noch etwa drei bis vier Jahre, unser derzeitiges Wirtschaftsmodell zu verbessern. Ich denke, wenn wir das nicht rasch tun, werden wir das Spiel im Wettbewerb gegen den Kapitalismus der Schwellenländer oder den Staatskapitalismus verlieren», sagte Rubinstein im Rahmen einer Debatte am WEF. «Ich denke einfach, dass sie jetzt ein effizienteres Modell haben.»
Pascal Lamy, der Chef der Welthandels-Organisation (WTO), sagte voraus, dass die Ausdehnung des wirtschaftlichen Einflusses von China über die Landesgrenzen hinaus zu «politischen Turbulenzen» führen werde.
Er gab sich gleichzeitig Mühe, die WEF-Delegierten darauf aufmerksam zu machen, dass viele Stereotypen über China im Westen täuschend seien und auf einer «falschen öffentlichen Wahrnehmung» fussten.
Die Schweiz anerkannte die neu gegründete Volksrepublik China am 17. Januar 1950 als einer der ersten westlichen Staaten. Gleichzeitig zog sie die Anerkennung der Republik China (Taiwan) zurück.
Die Kontakte zur Volksrepublik gestalteten sich zunächst nicht sehr intensiv. Grund dafür waren interne Wirren in China und der Kalte Krieg. Mit der Teilnahme des chinesischen Ministerpräsidenten Zhou En Lai an der Indochina-Konferenz in Genf betrat die Volksrepublik 1954 erstmals die internationale Bühne.
Nachdem Deng Xiaoping 1979 seine Politik der Öffnung und der Reformen lancierte, entwickelten sich die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und China kräftig.
Zurzeit leben knapp 3300 Schweizer in China. Etwa 300 Schweizer Firmen sind mit rund 700 Niederlassungen in China aktiv und haben dort etwa 126’000 Angestellte.
Seit 2002 ist China, inklusive Hongkong, der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien.
Die Schweizer Exporte (nach Festlandchina allein) beliefen sich 2010 auf 7,5 Mrd. Franken (27% mehr im Vergleich zum eher enttäuschenden Jahr 2009). Auch in den ersten neun Monaten 2011 stiegen die Exporte weiter an, um 18% auf 6 Mrd. Franken.
Auch die Importe aus China stiegen 2010 erneut, um 27% auf 6,7 Mrd. Franken. In den ersten neun Monaten 2011 hingegen gingen die Importe leicht zurück (-2,6%) auf 4,5 Mrd. Franken.
Die Schweiz ist für China hinter der EU und den USA der drittgrösste Exportmarkt. Und China ist für die Schweiz nach der EU und den USA der drittgrösste Exportmarkt.
Zurzeit steht die Schweiz in Verhandlungen mit China über ein Freihandelsabkommen.
Eine 2010 veröffentlichte Machbarkeitsstudie kam zum Schluss, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz um 0,23% wachsen und Unternehmen pro Jahr rund 290 Mio. Franken einsparen könnten, falls Handelsbarrieren wegfallen würden.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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