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Projekt für Atommüll-Endlager im Ausland

Wie hier im AKW Benznau fallen in der Schweiz grosse Mengen an radioaktivem Abfall an. Keystone

Eine private Organisation mit Schweizer Sitz beteiligt sich an einem europäischen Forschungs-Programm rund um ein Endlager für mittel- und hoch- radioaktive Nuklearabfälle im Ausland.

Die Schweizer Behörden sind skeptisch und bevorzugen eine nationale Lösung.

Seit Jahrzehnten suchen die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke ein sicheres «Endlager» für ihren Atommüll. Bis 2019 sollte die Frage geklärt sein, denn dann werden die ältesten Schweizer Reaktoren abgestellt.

Damit verbunden ist auch der Abbau der Anlagen. Es werden dann grosse Mengen von mittel- bis stark radioaktiven Materialien zu entsorgen sein.

Das ist bereits heute der Fall. Wie alle andern Staaten der Welt hat auch die WSchweiz bis zur Stunde kein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll. «Es gibt auf der ganzen Welt noch kein Land, das ein solches Lager hat», sagt Anton Treier, der Sprecher der Hauptabteilung für Sicherheit der Kernanlagen (HSK) in Würenlingen gegenüber swissinfo.

«Das erste Land, das den Bau eines solchen Lagers beschlossen hat, ist Finnland», sagt Treier. Doch auch dort werde es noch viele Jahre dauern, bis es in Betrieb genommen werden könne.

Seit Jahrzehnten wird gesucht

In der Schweiz war es bislang nicht möglich, einen Standort für diese Nuklear-Abfälle zu finden, die ja mehrere hunderttausend Jahre weiterstrahlen.

Das Problem mit dem Atommüll ist in der Schweiz Sache der Nagra (Nationale Gesellschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle). Sie sucht seit Jahrzehnten Standorte für ein Endlager.

Zur Zeit stapeln sich die Schweizer Nuklearabfälle in Würenlingen im zentralen Zwischenlager (Zwilag) der Kernenergie-Wirtschaft. Dabei handelt es sich um die hoch radioaktiven ausgebrannten Brennstäbe der Schweizer Kernkraftwerke, die verglast aus den Wiederaufbereitungs-Anlagen im Ausland zurückgenommen werden müssen.

Aber auch schwach- und mittelaktiver Abfall lagert dort. Er kommt aus den verstrahlten Einrichtungen der Kernkraftwerke und aus der Medizin.

Etwa auf das Jahr 2020 hin suchte und sucht die Nagra einen Standort für die weniger aktiven Abfälle, der nicht für stark aktive Abfälle ausgelegt ist.

Inland oder Ausland?

Am Wellenberg im Kanton Nidwalden glaubte man, einen solchen Standort gefunden zu haben. Die Gemeinde stimmte dem Projekt zu. Doch der Kanton sagte zweimal nein. Das erste Mal knapp, das zweite Mal – vor etwa zwei Jahren – deutlich. Heute gilt der Wellenberg als politisch gescheitert.

Nach der Erfahrung mit «dem Wellenberg» wurde die Schweizer Gesetzgebung geändert, so dass Kantone und Gemeinden bei unterirdischen Anlagen nur noch mitreden, aber nicht mehr definitiv entscheiden können.

Hans Issler, der Präsident der Nagra, hat schon bei früheren Gelegenheiten gesagt, dass ein Endlager für stark aktive Abfälle in der Schweiz bis 2040 stehen müsse. Issler sagt gegenüber swissinfo: «Erste Priorität hat eine nationale Lösung.» Doch sei die internationale Lösung eine zweite Option, die möglich sei und auch geprüft werde.

Doch Issler ist skeptisch. «Ein Endlager im Ausland muss die gleichen Sicherheitsstandards aufweisen, wie sie die Schweiz verlangt.» Dazu müsse das Standortland über grosse politische und rechtliche Stabilität verfügen.

Europäische Lösung angestrebt

An der «ausländischen Lösung» arbeitet man seit Anfang des Jahres in einem EU-Forschungsprojekt für ein multinationales Atommüll-Endlager.

Unter dem Titel «SAPIERR» sollen innert zweier Jahre die Grundlagen für ein multinationales Lager für langlebige und hochaktive Abfälle erarbeitet werden. Errechnet wird dabei, wie viel radioaktiver Müll in ganz Europa anfällt.

Es sei logisch, sagt Issler, dass die Schweiz hier mitmache. Denn die Nagra sei verpflichtet, eine Endlager-Lösung zu finden. «Im In- oder Ausland», sagt Issler.

Als Kostenbeitrag hat das Bundesamt für Bildung und Wissenschaft letzten Dezember rund 220’00 Franken gesprochen. Das Geld fliesst im Rahmen des 6. EU-Rahmenprogramms für Forschung und technologische Entwicklung.

Das Ziel des Projektes ist klar, und Charles McCombie vom Büro «Arius» mit Sitz in der Schweiz – es koordiniert das Projekt SAPIERR – äusserte sich im Schweizer Radio DRS so: «Das Ziel ist, die Rahmenbedingungen für ein eventuelles multinationales Endlager innerhalb des vergrösserten Europas irgendwann in Zukunft zu errichten.»

Frage der Akzeptanz

Am neuen Projekt sind neben Belgien, Italien und Österreich vor allem Staaten aus dem früheren Ostblock beteiligt, nicht aber die grossen europäischen Nuklearstaaten Frankreich, England und Deutschland.

Für Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamtes für Energie (BFE), macht die Zusammensetzung Sinn, wie sie gegenüber swissinfo sagt. «Viele sind Staaten aus dem Osten Europas, die ein Interesse an einer gemeinsam Lösung haben.» Dazu kämen mit Italien und Österreich zwei Länder, die gar keine Atomkraftwerke besässen.

Grossbritannien und Deutschland würden nationale Lösungen bevorzugen, und «Frankreich fährt in Nuklearfragen eh immer einen Sonderzug und ist für gemeinsame Arbeiten kaum zu gewinnen», sagt Zünd.

Fragt sich noch, ob es politisch durchsetzbar ist, die Schweizer Atomabfälle ins Ausland, wie offenbar vorgesehen nach Russland, zu exportieren und hier kein Endlager zu bauen.

«Politisch sehe ich weniger Probleme», sagt Zünd, «aber gesellschaftlich». Sie
denke nicht, dass es die Öffentlichkeit zulasse, dass der radioaktive Abfall, den wir produzierten, einfach im Ausland entsorgt werde. «Da werden wir eine nationale Lösung finden müssen.»

Abschieben nicht erwünscht

Dass es in diese Richtung gehen könnte, zeigt die Reaktion der Umweltorganisation Greenpeace Schweiz auf die Pläne, ein Endlager im Ausland zu errichten. Yves Zenger, Sprecher der Organisation, sagte gegenüber swissinfo: «Die Schweiz hat sich per Gesetz verpflichtet, eine inländische Lösung zu finden.»

Man könne das Problem nicht nach dem Motto der Atomindustrie: «Aus den Augen, aus dem Sinn» abschieben. Komme dazu, dass die Bevölkerung in Russland, das keine Umweltstandards kenne, schon jetzt stark unter den Auswirkungen der Atomenergie leide.

Nagra-Präsident Issler allerdings dementiert und sagt, der Standort Russland werde nicht diskutiert. «Das Land erfüllt die Vorgaben nicht und ist bei SAPIERR auch gar nicht mit dabei.»

swissinfo

In der Schweiz gibt es vier AKW mit total fünf Reaktoren.

Das erste AKW wurde 1969 (Beznau) ans Netz geschaltet.

40% der Schweizer Energieproduktion wird durch Nuklearanlagen gedeckt.

Die Schweiz hat noch kein Endlager für radioaktive Abfälle.

Bis 2019 muss eines für schwach- und mittelstarke Abfälle vorhanden sein.

Bis 2040 eines für stark radioaktive Abfälle.

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