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Regierung stimmt OECD-Urteil zu

Für Jean-Daniel Gerber haben es Reformen in der Schweiz schwer. Keystone

Die Schweiz müsse die OECD-Vorschläge umsetzen, um ökonomische Reformen zu beschleunigen, bestätigt ein hoher Regierungs-Beamter gegenüber swissinfo.

Der am Freitag publizierte OECD-Bericht zur Schweiz sagt, die Reformen in den Bereichen Wohlfahrt, Wettbewerb, Bildung und Steuern gingen zu wenig weit oder seien zu langsam.

Jean-Daniel Gerber, Chef des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco), geht mit der OECD einig, dass die Schweiz ihr Wachstumspotenzial erhöhen und die öffentlichen Ausgaben unter Kontrolle bringen müsse.

Es sei jedoch nicht einfach, der Schweizer Bevölkerung solche Reformen schmackhaft zu machen.

swissinfo: Sind Sie der Ansicht, dass der OECD-Bericht über die Schweiz zu pessimistisch ausgefallen ist?

Jean-Daniel Gerber: Der Bericht wurde nicht verfasst, um zu zeigen wie nett und schön die Schweiz ist. Er soll vielmehr die Schwächen der Schweiz aufzeigen. Deshalb spricht er nicht über die positiven Seiten wie unsere beständige Währung, exzellente Arbeitsressourcen, die tiefe Inflation und die ausgezeichneten Transportbedingungen.

swissinfo: Der Bericht sagt, die Reformen in der Schweiz seien gestoppt worden. Teilen sie diese Ansicht?

J-D.G.: Abgesehen von einigen kleinen Ausnahmen bin ich mit den Schlussfolgerungen komplett einverstanden. Die Frage ist jedoch, ob es möglich ist, Reformen durchzuführen.

swissinfo: Glauben Sie denn, dass die nötigen Reformen durchführbar sind?

J-D.G.: Die Schweiz ist mehr Marktwirtschaft als Markt-Demokratie. Die Regierung muss nicht nur das Parlament von ihren Reformen überzeugen, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger, die dann darüber abstimmen.

Allgemein macht die Schweiz zwei Schritte vorwärts und einen zurück. Die Richtung aber ist klar und gegeben.

Letztes Jahr haben Regierung und Parlament das so genannte Wachstums-Paket verabschiedet, insbesondere eine Binnenmarkt-Gesetzgebung. Das Stimmvolk hat auch den freien Personenverkehr auf alle 25 EU-Staaten ausgedehnt.

Diese Fortschritte stimmen mich zuversichtlich, dass wir die von der OECD vorgeschlagenen Reformen umsetzen können. Dazu braucht es aber mehr Zeit als in anderen Ländern.

swissinfo: Der Bericht befasst sich speziell mit der Überalterung der Schweizer Bevölkerung und den hohen Sozialausgaben. Wie will die Schweiz diese Probleme angehen?

J-D.G: Wir möchten ältere Menschen so lange wie möglich auf dem Arbeitsmarkt belassen. Ein Weg dazu wäre, die Rentenzahlungen an jene älteren Menschen zu erhöhen, die noch im Arbeitsprozess stehen.

Die erhöhten Rentenkosten könnten durch die Steuern wettgemacht werden, welche die älteren, nun noch arbeitenden Menschen bezahlen müssten.

swissinfo: Weshalb sind Ihre Wachstumsschätzungen für die Schweizer Wirtschaft optimistischer als jene für das letzte Jahr?

J-D.G.: Dies beruht auf verschiedenen Faktoren: Die Exporte haben substantiell zugenommen und die Weltwirtschaft ist sehr lebhaft. Der US-Markt ist der zweitgrösste Importmarkt für Schweizer Exporte und, wenn er ein wenig zurückgehen sollte, wäre das nicht sehr schlimm.

Weiter sind die Konsumenten und Unternehmer in der Schweiz optimistischer, auch weil die Arbeitslosenrate eine Tendenz zur Senkung zeigt, trotz einer saisonalen Erhöhung im Dezember.

Aber diese Faktoren sind relativ, weil wir nicht wissen, was mit dem Ölpreis geschieht, der US-Wirtschaft oder in unseren Hauptexport-Märkten Deutschland, Frankreich und Italien.

swissinfo: Ihre Voraussagen über das Wirtschaftswachstum für das Jahr 2005 haben stark geschwankt. Weshalb?

J-D.G.: Wenn Sie zurückschauen, kamen alle internationalen Institutionen zu den selben Schlüssen. Vergleichen Sie unsere Prognosen mit den anderen, befinden wir uns im oberen Drittel, was die Genauigkeit anberifft.

Anfang des letzten Jahres waren wir pessimistischer als drei Monate zuvor. Also korrigierten wir unsere Wachstums-Prognose von 1,7% auf ein tieferes Niveau (1,5% im Januar, 0,9% im Juli, 1,3% im Oktober, 1,8% im Dezember).

Hätten wir unsere erste Prognose beibehalten, wären wir wahrscheinlich genau richtig gelegen. Aber niemand konnte voraussehen, dass die Schweizer Wachstumsrate im dritten Quartal so hoch sein würde.

swissinfo-Interview: Matthew Allen
(Übertragen aus dem Englischen: Etienne Strebel)

Das seco hat für das Brutto-Inland-Produkt (BIP) für 2006 ein Wachstum von 1,8% prognostiziert, 0,1% mehr als bei der letzten Prognose.

Die Arbeitslosenrate in der Schweiz ist im Dezember 2005 von 3,7 auf 3,8% geklettert.

Gemäss seco sollte die Arbeitslosenrate später in diesem Jahr auf 3,5% sinken.

Der OECD-Bericht sagt, dass die Ausgaben der Schweizerischen Öffentlichkeit die Staatsschulden in den letzten 15 Jahren um 25% des BIP (Brutto-Inland-Produktes), Steuern um 4% des BIP und die obligatorischen Versicherungen um 2% des BIP erhöht haben.

Der Bericht tadelt die Alters-, Invaliden und Krankenversicherungen für ihre stark gestiegenen Kosten und verlangt eine Reform des öffentlichen Gesundheitssystems.

Schweizer Konsumierende bezahlen für Waren bis 40% mehr als im EU-Durchschnitt. Gründe: Konkurrenzmangel in abgeschotteten Märkten, Verzögerungen bei der Liberalisierung der Energie-Märkte.

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