SBB: Schwarze Zahlen, aber nicht nur eitel Sonnenschein
Die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind 2006 mit viel Schwung in die Gewinnzone zurückgefahren. Mit 260 Millionen Franken resultierte der bisher zweithöchste Gewinn. Doch nicht alle sind glücklich.
swissinfo wollte hinter die Zahlen schauen und hat bei einigen SBB-Angestellten den Puls gefühlt. 2006 war das Arbeitsumfeld bei den SBB von starken sozialen Spannungen gekennzeichnet.
Ende letztes Jahr hatten sich die Sozialpartner, die SBB und die Gewerkschaften, auf einen Gesamtarbeitsvertrag geeinigt, der alle Parteien zufrieden stellte – zumindest gemäss offiziellen Stellungnahmen.
Sind die Spannungen inzwischen überwunden? swissinfo hat einige SBB-Angestellte auf der Fahrt zwischen Bern und Chiasso befragt.
«Wagen voller Chefs»
«Ich will mich zu dieser Sache lieber nicht äussern», sagt anfänglich ein Zugführer, mit dem wir den Bahnhof von Bern verlassen. «Dieser Wagen ist voller Chefs», flüstert er, «reden wir lieber später…».
Es ist ein wunderschöner Tag; der Himmel auf der Fahrt durch das frühlingshafte Emmental tiefblau. Doch der SBB-Mikrokosmos scheint nicht ganz so idyllisch zu sein.
«Viele Kollegen sind unzufrieden: Der Stress nimmt ständig zu,» sagt ein Zugskontrolleur nach der Ankunft in Luzern. «Ich selber arbeite seit fünf Jahren bei den SBB und es geht mir gut. Aber die Bedingungen verschlechtern sich.»
Ein Büro wie im Film
Im Bahnhof von Luzern müssen wir umsteigen. Wir treffen einen Arbeiter, der ganz allein auf einem Gepäckwagen sitzt und die Zeitung liest.
«Ich arbeite seit fast 20 Jahren für die SBB, aber noch nie ist es so schlecht gegangen wie heute», vertraut er uns an.
«In unserem Team gibt es ein ernsthaftes Management-Problem. Die Arbeitsbelastung nimmt ständig zu und häufig arbeiten wir mehr als acht Stunden am Stück. Der einzige Trost ist der recht gute Lohn.»
Die Reise geht weiter in Richtung Süden. Einige Kilometer können wir in der Kabine eines Lokführers mitfahren. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen liebe er seine Arbeit immer noch, erzählt er uns.
Wir gleiten durch ein traumhaftes Panorama: Verschneite Gipfel, Dörfer und Seen. «Schauen Sie nur mal um sich: Das ist mein Büro seit 28 Jahren. Heute fahre ich bis Locarno. Es ist wie Ferien», schwärmt der 54-jährige Lokführer.
In den stockfinsteren Tunnels leuchten nur ab und an rote und grüne Lichtzeichen. Immer wieder trifft man auf Gruppen von Bahnarbeitern. Sie grüssen mit einem kurzen Handzeichen.
«Diese menschlichen Kontakte sind sehr angenehm. Doch es ist sehr traurig, durch all diese verlassenen Bahnhöfe zu fahren. Die meisten Bahnhöfe auf der Gotthard-Route sind mittlerweile automatisiert», sagt unser Gesprächspartner.
Produktivität und Flexibilität
Im Leventina-Tal im Kanton Tessin kreisen wir durch die Kehrtunnels. Die grosse Alpenkette des Gotthards befindet sich bereits hinter uns. Es geht vorbei an der Baustelle für die Neue Alpentransversale (NEAT). In weniger als 10 Jahren werden hier die Hochgeschwindigkeits-Züge durchbrausen.
Ein neuer Zugskontrolleur, ein Tessiner, setzt sich mit uns in den Panoramawagen. Er ist vollkommen entspannt: Der Zug ist halbleer. Wir reden über alles Mögliche: Italienische Schriftsteller, Reisen nach Südamerika und die Macht der Medien.
Erst am Ende des Gespräch kommen wir auf das Thema SBB. «Ja, in den letzten 15 Jahren hat sich schon viel geändert. Für viele war die Anpassung alles andere als einfach», sagt er.
«In der Zentrale von Bellinzona arbeiteten vor 20 Jahren 160 Personen. Heute sind wir noch 45, und die Arbeit ist nicht weniger geworden.»
Wettbewerb, Produktivität, Flexibilität: Diese Qualitäten seien heute gefragt. Und nicht nur bei den SBB, fügt der 46-Jährige an. «Deshalb sollten wir das Gute schätzen, das uns bleibt.»
swissinfo, Marzio Pescia, Bern-Lugano
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Geschäftsergebnis SBB 2006:
Konzerngewinn: 259,4 Mio. Fr. (+425 Mio. Fr. gegenüber 2005 mit -166,3 Mio. Fr.)
Der Gewinnbeitrag des Personenverkehrs hat sich mehr als verdoppelt, von 78,6 auf 193,7 Mio. Fr.
Auch die Passagiere nahmen um 3,3% auf 9,2 Millionen zu.
In den roten Zahlen bleibt der Güterverkehr: Der Verlust reduzierte sich von 165,7 auf 37,3 Mio. Fr.
Das gute Resultat ist auch der Auflösung von nicht mehr begründeten Rückstellungen zu verdanken.
Stark belastet wurde das Ergebnis 2006 erneut durch die Deckungslücke bei der Pensionskasse. Das Eigenkapital der SBB sank im Zuge der Sanierung um rund 3 Mrd. Fr.
Seit 1. Januar 1999 sind die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) eine Aktiengesellschaft, die zu 100% der Eidgenossenschaft gehört. Zuvor waren sie ein Staatsbetrieb.
Alle vier Jahre legt der Bund die Ziele für die SBB fest. Der Verwaltungsrat definiert die Strategie und die Direktion setzt diese um.
Im März 2006 haben die SBB den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) auf Ende Jahr aufgekündigt, um den Vertrag vollkommen neu auszuhandeln.
Über Monate kam es zu Protesten und Demonstrationen der Angestellten. Doch im Dezember 2006 wurde der neue Vertrag unterzeichnet.
Dieser sieht unter anderem eine Erhöhung der Arbeitszeit, mehr Flexibilität, aber auch einen Vaterschaftsurlaub für die SBB-Angestellten vor.
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