Scharf beobachtete Bauernbetriebe
Globaler Markt, Strukturwandel, kritischere Steuerzahler: Die Bauern stehen unter Druck. Direktzahlungen erhält nur, wer Kontrollen besteht.
Diese stellen zwar für die Bauern einen Mehraufwand dar, schaffen aber umgekehrt Vertrauen – ein Augenschein auf einem Bauernhof.
Den Augen von Daniel Flury entgeht nichts: Selber Landwirt, kontrolliert er im Auftrag einer zertifizierten Organisation Bauernbetriebe im Kanton Solothurn. So auch den Hof von Hansueli und Katrin Wyss in Brügglen.
Erste Station: Der Kuhstall. Wie viele Kühe? Krankheiten? Mit welchen Medikamenten behandelt? Wie oft haben sie im Winter Auslauf? Wie oft sind sie im Sommer auf der Weide? Flury notiert die Antworten von Bauer Wyss.
Hindernis Schorgraben
Dann folgt die Probe aufs Exempel: Die 25 Kühe müssen auf die Weide. Zügig verlassen die Tiere den Stall, die Überquerung des Schorgrabens bereitet ihnen keinerlei Probleme. Gelassen verteilen sie sich auf der Weide.
Test bestanden, die Kühe von Hansueli Wyss sind «glückliche» Kühe. Würden sie sich dagegen kaum über das «Hindernis» Schorgraben getrauen und die Weide mit tollen Luftsprüngen in Beschlag nehmen, wüsste Flury, dass die Kühe die Welt ausserhalb des Stalls zu selten sehen.
Ans Lebendige
Dann müsste er Punkte aufschreiben. Und sind es auf einem Hof mehr als zehn Punkte, gehts ans Portemonnaie: Der Bund kürzt dem Bauern die Direktzahlungen. Diese sind an genaue Vorgaben punkto Landschafts- und Gewässerschutz gebunden, den so genannten Ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN).
Dann geht es hinaus auf die Felder. Welche Düngemittel, welche Mittel gegen Schädlinge? In welchen Mengen? Gibt es Boden mit Spuren von Erosion?
Letzte Station: Das Büro von Hansruedi Wyss. Dort vergleicht Flury seine Eindrücke und Wyss› Angaben mit dessen schriftlichen Aufzeichnungen. Stimmt beispielsweise der Herbizid-Vorrat nicht mit dem Journal überein, kommt der Bauer in Erklärungsnotstand. Dies ist bei Wyss nicht der Fall, alles ist in bester Ordnung.
Sinnvoll – sinnlos
Drei Mal bereits hat der Solothurner Bauer dieses Jahr Kontroll-Besuch erhalten: Einmal mit Schwerpunkt Tierschutz und Düngerbilanz, dann wurde die Einhaltung der IP-Standards (IP=Integrierte Produktion)überprüft, und schliesslich nahm der Lebensmittel-Inspektor die Sauberkeit der Melkanlage unter die Lupe.
Diese Kontrollen machen für Wyss auch Sinn. Direktzahlungen soll es nicht ohne Auflagen geben. «Die Aufzeichnungen sind zudem ein Führungsinstrument, aufgrund dessen beispielsweise eine krankheitsanfällige Kuh ausgemerzt werden kann.» Auch könnten «schwarze Schafe» erkannt und bestraft werden, sagt Wyss gegenüber swissinfo.
Daneben gebe es aber auch viel «Sinnloses», wie beispielsweise den monatlichen Eintrag über die Hygienemassnahmen bei der Melkanlage samt Putzmittel-Einsatz aufs Gramm genau. Zur Demonstration hat Wyss den «Papierkrieg» an zwei Pinnwände geheftet, was stolze zwei Laufmeter Formulare ergibt.
Mehr Koordination, weniger Kontrollen
«Ich erwarte vom Bund, dass er den Kantonen vorschreibt, wie und wie oft kontrolliert wird», fordert Wyss. Die Aufzeichnungen seien dabei auf das Wesentlichste zu beschränken. «So wenige Kontrollen wie möglich, so viele wie nötig.»
Christoph Böbner, Vizedirektor im Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), hat für Wyss› Klagen und Anregungen offene Ohren: «Wir hören das Stöhnen, dass die administrative Belastung für die Landwirte zu gross wird.» Die Kontrollen würden deshalb in der neuen Agrarpolitik 2011 koordiniert und optimiert, so Böbner zu swissinfo.
Die Angleichung an europäische Normen, gestiegene Anforderungen an die Lebensmittel-Sicherheit und Transparenz für Steuerzahler und Konsumenten hätten aber zu einer Zunahme an gesetzlichen Bestimmungen in der Landwirtschaft geführt.
Bewährt
«Die Vorschriften werden zwar weitgehend gut eingehalten, Kontrollen sind aber nötig und sinnvoll», bilanziert Böbner. Von den 57’000 Betrieben, die Direktzahlungen erhalten, wurden bei 5600 Mängel festgestellt. Daraus resultierten Kürzungen von fünf Mio. Franken, erklärt er.
Beim einzelnen Bauern geht das schnell ans Lebendige: Viele Betriebe können sich nur noch dank der Direktzahlungen über Wasser halten.
swissinfo, Renat Künzi in Brügglen
Die Oberaufsicht über die Kontrollen in der Landwirtschaft liegt beim Bund.
Der Vollzug ist an die Kantone delegiert.
Im landwirtschaftlichen Bereich delegieren Kantone Kontrollen weiter an akkreditierte Kontrollstellen.
Der Bund setzt auch stark auf die Selbstverantwortung der Bauern.
Kann der Bauer den Ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) nur mangelhaft erbringen, kürzt ihm der Bund die Direktzahlung.
Betriebe, die für ein Label (z. B. Bio) produzieren, werden von eigenen Organisationen kontrolliert.
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