Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Schengen beginnt in Przemysl

Offiziere der Grenzpolizei posieren stolz vor den beschlagnahmten Gütern, die im Zollgebäude lagern, bevor sie verbrannt werden. swissinfo.ch

Südöstlich von Polen, in der Ukraine, sind die Löhne tief und die Produkte billig. Schmuggel in Richtung Schengenraum ist die Folge: Zigaretten, Drogen, Raubkopien, Menschen. Die Schweiz möchte die mobile Grenzpolizei in Polen mit dem Erweiterungsbeitrag (Kohäsionsmilliarde) unterstützen.

Przemysl ist die letzte grössere Stadt im Südosten Polens vor der Grenze zur Ukraine. Entlang der Hauptstrasse folgt ein malerisches Kleinstädten dem andern, provinzielle Haus- und Gartenidylle, ordentlich gekleidete Kinder: Aus westlicher Sicht ein bescheidener Wohlstand – in den Augen der benachbarten Ukraine aber ein grosser Luxus.

Bei dem Wohlstandsgefälle drängt sich der illegale Grenzhandel förmlich auf: „Der Verkauf von zehn erfolgreich geschmuggelten Zigarettenpäckchen in Polen entspricht für einen Ukrainer bereits einem normalen Tagesverdienst“, sagt Grenzpolizist Mariusz Fedyk. Viele Leute würden sogar davon leben.

Hinter dem Zollamt im Einsatz

Wie anderswo im Schengenraum sind auch hier mobile Grenzpolizisten im Auto unterwegs. Sie sind weit hinter dem eigentlichen Zollamt im Einsatz.

Davon zeugen an den Strassenrand geleitete ukrainische Fahrzeuge mit offenen Motorhauben und Gepäckraumtüren, Drogenhunde, die über Autositze klettern und alles beschnuppern, Uniformierte in Schwarz mit gelben Gilets, beschriftet mit «Sluzba celna» (Grenzdienst).

«Hätten wir Fahrzeuge, die so ausgerüstet sind, dass man alle unmittelbar aufgenommenen Daten vom nahen Grenzübergang erhält, müssten wir nicht mehr nach Gutdünken Stichproben machen, sondern erhielten gezielt die Nummern verdächtiger Fahrzeuge übermittelt», sagt Woyciech Socha, verantwortlich für die mobile Grenzpolizei der Region.

Unbescholtene kontrollieren statt Schmuggler

«Teilweise werden jetzt unbescholtene Personen nach dem Grenzübergang ein zweites Mal untersucht, während die Schmuggler unbehelligt vorbeifahren.» Für die Modernisierung und Effizienzsteigerung ihres mobilen Grenzdienstes kann Polen auf Unterstützung aus der Schweiz rechnen.

Das Schweizer Büro in Warschau, das für die Vergabe des Schweizer Erweiterungs-Beitrags zuständig ist, plant nämlich, dafür eine Summe von knapp 3 Mio. Franken zur Verfügung zu stellen. Den sogenannten Erweiterungsbeitrag zur Finanzierung von Infrastruktur-Projekten in den neuen EU-Ländern – in der Öffentlichkeit Kohäsionsmilliarde genannt – hatte das Schweizer Stimmvolk 2006 gutgeheissen.

«Um die mobilen Grenzpolizisten allgemein effizienter zu machen, reichte die polnische Regierung den Schweizer Behörden einen Projektvorschlag von knapp 3 Mio. Franken ein, welches auf Schweizer Seite von verschiedenen Stellen geprüft wurde.

«Mit diesem Projekt», so Dominique Favre, stellvertretender Verantwortlicher des Büros für den Erweiterungsbeitrag in Warschau, «werden mit einem Teil des Geldes geeignete Fahrzeuge und Ausstattung eingekauft. Aber ein Viertel der Summe geht ins Training und die Zusammenarbeit der polnischen mit den Schweizer Zöllnern.»

Socha war probehalber bereits einmal in Basel bei den Schweizer Kollegen.

Über 1000 km Schengengrenze

Polens Land-Schengengrenze misst 1155 Kilometer: Im Norden liegt Russlands Enklave Königsberg-Kaliningrad, im Osten Weissrussland, im Südosten die Ukraine.

Während die Grenze zu Weissrussland wegen der politischen Situation kaum grossen Schmuggel zulässt, sind die illegalen Aktivitäten an der Grenze zur Ukraine viel häufiger.

Von den insgesamt 16 Regionen Polens (Wojwodschaften) befinden sich vier an der Schengen-Aussengrenze. Diese würden aus dem Schweizer Erweiterungs-Projekt Nutzen ziehen.

«Aber auch die Schweiz selbst profitiert davon», sagt Jadwiga Zenowicz, stellvertretende Direktorin der Zollbehörde in Przemysl. Die Schweizer Markenprodukte, das heisst deren Rechte und Geistiges Eigentum, werden bereits hier im fernen Südosten Polens geschützt, indem Fakes und Raubkopien abgefangen und illegal hergestellte Güter nicht als billige Schwarzware bis in den Schengenraum respektive auch in die Schweizer Märkte gelangen.

Bei der Zollbehörde in Przemysl arbeiten rund 1200 Mitarbeitende, rund 10% davon bei der mobilen Grenzpolizei. Auch für den Staat Polen ist die Zollkontrolle sehr wichtig. «Die Einnahmen aus Zöllen machen rund einen Drittel der Einkünfte des polnischen Staates aus», so Zenowicz.

1,7 Mio. Zigarettenpäckchen

Zur Zeit lagern in den Räumen des Zollamts an der Grenze 1,7 Mio. beschlagnahmte Zigarettenpäckchen, schätzt Fedyk. Periodisch werde alles liquidiert, das heisst verbrannt. Fedyk fügt lachend hinzu, dass dies nur einer einzigen Person aus der Grenzpolizei-Equipe leid täte, dem einzigen Raucher unter ihnen…

Dass Zigaretten zur Zeit das weitaus am meisten geschmuggelte Gut sei, habe nicht nur mit der grossen Profitspanne bei einem erfolgreichen Verkauf im EU-Markt, einem der grössten auf der Welt, zu tun, so Fedyk. Auch die Bussen und Strafen seien geringer als bei Drogen- oder anderen Vergehen.

Gold und Dollar – das war vorgestern

Zu Sowjetzeiten seien viel mehr Alkohol, aber auch Gold, Dollar und Fernsehapparate geschmuggelt worden. An diese vergangenen Zeiten erinnern heute nur noch die in der Schlange vor der Zollabfertigung wartenden Fahrzeuge alter russischer Bauart wie Moskwitschs.

«Diese Privatfahrzeuge werden oft fürs Schmuggeln von billig oder schwarz hergestellten Zigaretten benutzt», so Fredyk. «In den Lastwagen hingegen finden sich regulär hergestellte Zigaretten der bekannten internationalen Marken in grossen Schmuggel-Mengen. Illegal ist dabei ’nur› die Einfuhr.»

Gute Infrastruktur – schnelle Abfertigung

Effiziente Zollinfrastrukturen zahlen sich nicht nur im Kampf gegen illegalen Handel aus, sondern auch bei der normalen Zollabfertigung. Weil die Anlage bei Przemysl im Vergleich zu den benachbarten viel besser ausgebaut sei, zögen es heute noch viele Ukrainer vor, lieber eine Stunde länger zu fahren, um dann hier schneller über die Grenze zu gelangen.

Dies sei gerade im Hinblick auf die Fussball-Europameisterschaften wichtig , die 2012 gemeinsam von Polen und der Ukraine ausgetragen würden.

Alexander Künzle, swissinfo.ch, Przemysl

Die EU-Kohäsionspolitik wurde 1986 festgelegt. Dabei soll zwischen reicheren und ärmeren EU-Regionen eine Umverteilung eingeleitet werden.

Von 1988 bis 2004 wurden dafür rund 500 Mrd. Euro eingesetzt.

Mit der EU-Osterweiterung 2004 kamen zehn neue, vorwiegen mittelosteuropäische EU-Staaten dazu. Seither fliessen die meisten Kohäsionsgelder der EU in diese Länder.

Mit dem Volksentscheid von 2006 zum Osthilfegesetz verpflichtete sich die Schweiz zur Finanzierung von konkreten Projekten in den neuen EU-Ländern.

Der Schweizer Erweiterungsbeitrag fliesst nicht in den EU-Kohäsionsfonds. Die Schweiz entscheidet autonom, welche Projekte sie unterstützt. In Frage kommen Projekte im Bereich Infrastruktur, Umwelt, Sicherheit Stabilität, Bildung und Soziales.

Für jene zehn Länder, die 2004 zur EU stiessen, umfasst der Schweizer Beitrag eine Milliarde Franken. Für die beiden 2007 aufgenommenen Länder Rumänien und Bulgarien, wurden rund 260 Mio. Franken reserviert.

Das erste Mal zahlte die Schweiz einen solchen Beitrag nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Nachher wiederholte sich diese Praxis jeweils bei EU-Erweiterungen.

Weitere Kandidaten sind Island, Kroatien, Mazedonien und die Türkei.

Die EU-Erweiterung bieten der Schweiz Vorteile. Für die Exportwirtschaft wird ein wachsender Markt im Osten zugänglicher.

Von 1990 bis 2006 zahlte die Schweiz 3,45 Mrd. Franken Transitionshilfe, von 2007 bis 2011 weitere 0,73 Milliarden. Als «Erweiterungsbeitrag» sind von 2007 bis 2017 rund 1,3 Milliarden vorgesehen.

Während zehn Jahren der Auszahlungsperiode werden durchschnittlich 100 Mio. Franken ausbezahlt, wobei während der ersten fünf Jahre der so genannten Verpflichtungsperiode Projekte und Programme im Partnerland beantragt werden.

Seit dem UNO-Jahr der Bewahrung des Kulturerbes (2002) hat die Weltzollorganisation (World Customs Organization) Statistiken über den Handel, Durchgangsrouten und Objekte in Europa erstellt (Projekt «Obeliks»).

Europa ist nicht nur Enddestination geschmuggelter Kunstgegenstände aus anderen Kontinenten, sondern auch Transitkontinent. In der Datenbasis von insgesamt 248 beschlagnahmten Objekten (2001 bis 2003) in osteuropäischen Ländern schwingt Polen mit 75 vor Bulgarien mit 50 oben aus.

Aus Polen dürfen wegen der Zerstörungen des Weltkriegs Kunstgegenstände vor der Zeit von 1945 nur mit Bewilligung ausgeführt werden.

Auch bei den Einfuhrländern figuriert Polen mit 34 Objekten an erster Stelle, noch vor Deutschland (33); am Ende der Liste figuriert die Schweiz (1).

Die Kuriere stammen häufig aus der Ukraine, Polen, Weissrussland, Bulgarien und Deutschland. In Polen sind auch am meisten Objekte aufgebracht worden.

Viele Schmuggelrouten führen durch Bulgarien und Polen.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft