Schmerzhafte Reform für Schweizer Bauern
Die Agrarreform bewegt sich an der Grenze zur Sozialverträglichkeit, doch hat sie Arbeitsproduktivität und ökologische Leistungen nachhaltig verbessert.
Dieses Fazit zieht der Agrarbericht 2005, den das Bundesamt für Landwirtschaft am Dienstag vorgestellt hat.
Die Schweizer Landwirtschaft ist auf nachhaltigem Reformkurs. Diesen Schluss zieht das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) in seinem jüngsten Agrarbericht, in dem anhand von elf Indikatoren zum ersten Mal die Nachhaltigkeit des Reformprozesses gemessen wurde.
Wie Amtsdirektor Manfred Bötsch am Dienstag sagte, fielen die Resultate vor allem in den Bereichen Ökonomie und Ökologie positiv aus. So konnte etwa die Arbeitsproduktivität in den letzten 14 Jahren um 1,4 Prozent pro Jahr gesteigert werden.
Die eingesetzte Wirkstoffmenge an Pflanzenschutzmitteln ist zwischen 1990 und 2004 um 38% gesunken, und der Anteil der ökologischen Ausgleichsflächen hat sich deutlich erhöht.
Seit 1993 haben diese Flächen von 20’000 auf 116’000 Hektaren zugenommen, was einem Anteil von heute 11% an der landwirtschaftlichen Nutzfläche entspricht – laut Bötsch ein sehr positives Ergebnis.
Sozial unter Druck
Gemischter fällt die Bilanz jedoch im sozialen Bereich aus. Das Landwirtschaftsjahr 2004 war zwar ein gutes Jahr, in dem die Bauern wieder mehr verdienten und sich in einer Umfrage auch zufriedener zeigten als noch 2001.
Trotzdem ist ihr Einkommen immer noch deutlich geringer als bei der übrigen Bevölkerung. «Die Reform bewegt sich an der Grenze des sozial Verträglichen», sagte Bötsch.
Der Abstand der Landwirtschaft zur übrigen Bevölkerung ist zwischen 1990 und 2004 grösser geworden. Doch nahm der Abstand bereits vor der Agrarreform 1993 deutlich zu und blieb seither relativ konstant. Indessen beurteilen die Bauern ihr Einkommen nach wie vor als zu tief.
Das mittlere Einkommen der Landwirtschaftsbetriebe lag bei 76’115 Franken. Für das Jahr 2005 erwartet das BLW wieder einen deutlichen Einkommensrückgang. Es schätzt das Sektoreinkommen auf 2,776 Milliarden. Das landwirtschaftliche Einkommen dürfte auf den Stand von 2003 zurückfallen.
Energieeffizienz mangelhaft
Als unbefriedigend wird die Energieeffizienz gewertet. Das Verhältnis zwischen Energieverbrauch und produzierter Nahrungsenergie blieb seit 1990 unverändert.
Bei der Energie wurde somit kein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit gemacht. Eine Substitution von fossiler Energie fand laut dem Bericht nicht statt.
Steigende Produktivität
Es wäre falsch zu behaupten, im Ernährungsbereich habe sich auf Grund der Agrarreform nichts bewegt, betonte Bötsch. Neben der steigenden Produktivität in der Landwirtschaft seien auch die Produzentenpreise wettbewerbsfähiger geworden. Nicht gesunken seien allerdings die Endverbraucherpreise.
Neu beurteilt werden müsse die Situation, falls der Abschluss der WTO-Verhandlungen oder ein allfälliges Freihandelsabkommen mit den USA Einbussen für die Landwirtschaft mit sich brächten, schreibt Bötsch in dem über 300-seitigen Grundlagenwerk.
Der Bundesrat, die Landesregierung, werde im Frühjahr 2006 die Botschaft zur Agrarpolitik 2011 dem Parlament zuleiten.
Erst am letzten Donnerstag hatten über zehntausend Bauern in Bern lautstark, aber friedlich gegen die Agrarpolitik der Regierung und den Preiszerfall ihrer Produkte demonstriert.
Mit «Treichle» und Transparenten hatten sich die Kundgebungs-Teilnehmer auf dem Bundesplatz ihrem Unmut über die Agrarpolitik 2011, die WTO-Verhandlungen und ein mögliches Freihandelabkommen mit den USA Luft gemacht.
swissinfo und Agenturen
2005 gab es 65’000 Bauernbetriebe in der Schweiz, 1990 waren es noch 80’000.
Jeden Tag geben fünf Betriebe auf.
4,1% der Bevölkerung war 2004 in der Landwirtschaft tätig.
Das mittlere Einkommen eines Landwirtschafts-Betriebes lag 2004 laut dem BWL-Bericht bei 76’115 Franken.
Der Reformkurs in der Landwirtschaft macht vielen Bauern Mühe. Sie fühlen sich vor allem durch die Agrarpolitik 2011 des Bundes und ein mögliches Freihandelabkommen mit den USA bedroht.
Rund 10’000 Bauern haben daher am 17. November vor dem Bundeshaus in Bern demonstriert, um die politisch Verantwortlichen «aufzurütteln» und auf die Härte ihrer Situation aufmerksam zu machen.
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