Schonfrist für die Schweiz
Nach wochenlangem Hickhack hat sich die deutsche Bundesregierung auf ein Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung geeinigt. Mit dem ausgehandelten Kompromiss wird der Druck auf die Schweiz vermindert.
Es war ein zähes Ringen bis zuletzt. Eine Zeitlang sah es sogar so aus, als würde das von der SPD geforderte Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung wieder in der Schublade des Finanzministers verschwinden. Zu sehr blockierte die Union den Gesetzentwurf des Koalitionspartners.
Vergangenes Wochenende haben SPD und Union noch einmal verhandelt, gestritten und taktiert – schliesslich stehen im September Bundeswahlen an. Und tatsächlich: Sozusagen in letzter Minute hat man sich nun zu einem Kompromiss durchringen können, wie Deutschland Geldtransfers in so genannte Steueroasen künftig besser kontrollieren will.
Heute Mittwoch hat das Regierungskabinett von Angela Merkel das Gesetz beschlossen und es damit noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht.
Umfassende Information
Mit der Reform soll es unter anderem Unternehmen und Privatpersonen erschwert werden, Geld am deutschen Fiskus vorbei in Drittstaaten zu schleusen und Kapitaleinkünfte auf Konten im Ausland vor dem Finanzamt zu verstecken.
So sollen Privatpersonen und Unternehmen, die mit unkooperativen Staaten oder intransparenten Finanzzentren Geschäftsbeziehungen haben, die deutschen Behörden künftig umfassend informieren müssen.
Verweigern die Betroffenen die Zusammenarbeit mit der Steuerbehörde, können bestimmte Kosten nicht mehr als Betriebsausgabe von der Steuer abgesetzt werden.
Schweiz gewinnt Zeit
Der ausgehandelte Kompromiss besteht nun darin, dass die strittigsten Punkte aus dem Gesetz herausgelöst wurden. Konkret betrifft das die bereits erwähnte Mitteilungs- und Nachweispflicht für den Geschäftsverkehr mit so genannten Steueroasen. Sie sollen nicht wie ursprünglich vorgesehen sofort in Kraft treten, sondern werden später per Rechtsverordnung für jeweils einzelne Staaten eingeführt, sofern diese Staaten den Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht genügend unterstützen.
Damit erhalten Staaten wie die Schweiz, die derzeit auf der «Grauen Liste» der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stehen, mehr Zeit, die international vereinbarten Standards zur Bekämpfung der Steuerflucht umzusetzen.
Laut der Süddeutschen Zeitung räumte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums jedoch ein, dass die Regierungen beider Länder noch keinerlei Anstalten unternommen hätten, das Doppelbesteuerungs-Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz neu zu verhandeln.
Aus Unionskreisen ist zu hören, dass die Rechtsverordnungen wohl nicht mehr vor den Wahlen im September erlassen werden können. Kommt es zu einem Wahlsieg der Union, könnten CDU und CSU völlig darauf verzichten.
Umstrittenes Gesetz
Dass es dem Kabinett gelingt, sich noch vor den Wahlen auf das umstrittene Gesetz zu einigen, daran hat fast niemand mehr geglaubt. Wochenlang hatten CDU/CSU den Gesetzentwurf erfolgreich blockiert. Denn sowohl Finanzpolitikern der Union als auch Wirtschafts- und Bankenverbänden gingen die Pläne des SPD-Finanzministers Peer Steinbrück viel zu weit.
Die Kritiker monierten vor allem, dass die Regierung mit dem Gesetz praktisch alle international tätigen Unternehmen unter den Generalverdacht der Steuerhinterziehung stelle und die Beweislast umkehre. Dies sei nicht zuletzt verfassungsrechtlich bedenklich.
Auch der Bund der Steuerzahler bemängelte, dass Steuerzahler in Haftung genommen würden, nur weil sie Geschäftsbeziehungen ins Ausland unterhielten und weil andere Staaten nicht genügend kooperierten.
Das Finanzministerium sprach dagegen stets von «normalen Mitwirkungspflichten» der Steuerzahler.
Minister wahren Gesicht
Das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung wird wohl als einer der grössten Streitpunkte der rot-schwarzen Regierungskoalition in die Geschichte eingehen.
Der ausgehandelte Kompromiss ist wohl nicht zuletzt deshalb zustande gekommen, weil er sowohl CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als auch SPD-Finanzminister Steinbrück die Möglichkeit gibt, das Gesicht zu wahren. Mit anderen Worten: Keiner der beiden Koalitionspartner kann behaupten, er habe sich gegen den anderen durchgesetzt – im Vorfeld der Bundestagswahl nicht unwichtig.
Kommt hinzu, dass CDU/CSU es vermeiden wollten, dass die SPD die scheinbar laxe Haltung der Union gegenüber Steuersündern zum Wahlkampfthema machen könnte – so wie es führende SPD-Politiker in den letzten Tagen mehrmals angedeutet haben.
Die Bundeskanzlerin hat sich zudem in letzter Zeit vorhalten lassen müssen, dass sie auf internationaler Ebene Massnahmen gegen die grenzüberschreitende Steuerhinterziehung fordert, denen sie daheim ihre Zustimmung verweigere.
swissinfo, Paola Carega, Berlin
Ende August 2008 lebten über 1,6 Millionen Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz. Das sind über 21% der Bevölkerung.
Gegen 225’000 oder rund 14% davon sind deutsche Staatsangehörige.
Damit sind die Deutschen nach den Italienern die zweitgrösste Ausländergruppe.
Die Schweiz ist in den letzten Jahren zum beliebtesten Auswanderungsziel für Deutsche geworden.
Ein Grossteil der in der Schweiz wohnhaften Deutschen sind gut qualifizerte Arbeitskräfte, viele sind Kaderleute oder Akademiker.
Die Schweiz ist der neuntgrösste Handelspartner Deutschlands, Deutschland der grösste Handelspartner der Schweiz, die Schweiz der sechstgrösste Direktinvestor in Deutschland.
Rund 75’500 Schweizerinnen und Schweizer leben in Deutschland.
Im Juni wollen sich in Berlin die Finanzminister der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein weiteres Mal zum Thema Steueroasen treffen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit nimmt die Schweiz nicht daran teil.
So sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums laut Medienberichten, dass der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück die Schweiz nicht zu dem OECD-Treffen einladen werde. Der Grund ist, dass die Schweiz bereits am ersten Treffen vergangenen Oktober in Paris gefehlt hatte.
In Berlin sollen die Diskussionen nun fortgeführt werden, weshalb nur die Teilnehmer von damals eine Einladung erhalten. Es gehe nicht darum, die Schweiz auszugrenzen, heisst es aus dem Bundesfinanzministerium.
Das letzte Wort scheint allerdings noch nicht gesprochen. Die Schweiz will sich aktiv darum bemühen, doch noch in Berlin dabei zu sein. Wirtschaftsministerin Doris Leuthard sagte gegenüber Schweizer Radio DRS, es sei sinnvoller, wenn sich die Schweiz selber einbringen könne, statt dass sie einfach attackiert werde.
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