«Schweiz muss mit Bankgeheimnis kreativer umgehen»
Der UBS-Vergleich zwischen der Schweiz und den USA und die damit verbundene Preisgabe von Kundendaten sei rechtlich korrekt, sagt der Strafrechtsexperte Mark Pieth im swissinfo-Gespräch. Grundsätzlich müsse die Schweiz ihr System aber überdenken.
Im Steuerstreit mit der US-Justiz hat die UBS eine Lösung gefunden. Die UBS zahlt in einem befristeten Vergleich fast eine Milliarde Franken und rückt Daten von US-Kunden heraus.
swissinfo: Ist das der Anfang vom Ende des Bankgeheimnisses?
Mark Pieth: Ich glaube nicht, dass es automatisch auch das Aufgeben des Bankgeheimnisses bedeutet, aber es bedeutet sicher, dass die schweizerischen Behörden sich weiter Gedanken machen müssen, wie sie auf die Forderungen der EU und oder USA reagieren wollen.
Es besteht eindeutig ein Spannungsverhältnis zwischen rechtsstaatlichen Verfahren in der Schweiz und dem Nachgeben gegenüber dem Druck der USA.
Das Department of Justice hat ein Strafverfahren gegen die UBS geführt und offensichtlich haben die Schweizer Behörden das Verfahren als so gravierend eingeschätzt, dass es Auswirkungen auf die Liquidität und den Bestand der UBS hätte haben können.
Unter diesen Umständen hat man zu einer Art ausserordentlichem Recht gegriffen. Es ist kein Notrecht. Dabei hat man Namen von Kunden herausgegeben, obschon das Verfahren nicht abgeschlossen war und vor Bundesverwaltungsgericht aufschiebende Wirkung hatte. Der Druck seitens der USA war sicher sehr gross.
swissinfo: Muss man jetzt davon ausgehen, dass andere Schweizer Banken auch in ähnliche Verfahren verwickelt werden?
M.P.: Das ist sicher nicht auszuschliessen. Das Spezielle am aktuellen Verfahren war, dass mit der UBS das Flaggschiff des Schweizer Finanzplatzes in Frage stand. Vermutlich würde man bei der Credit Suisse ähnlich reagieren. Ob man bei allen andern Banken in derselben Weise verfahren würde, da bin ich mir jedoch nicht sicher.
swissinfo: 66 Milliarden zur Rettung der UBS und jetzt die Auslieferung von Kundendaten an die USA: In beiden Fällen reizte der Bundesrat seine Entscheidungsbefugnis bis an die Grenze aus. Wieso?
M.P.: Ich glaube, die beiden Entscheide haben keinen direkten Zusammenhang. Der Zusammenhang ist indirekt, indem die Regierung sagt, der Weiterbestand der UBS sei systemrelevant. Das ist – glaube ich – der gemeinsame Nenner. Aber es ist nicht so, dass der Bund blosses Ausführungsorgan der UBS ist.
Das Verfahren, das die Behörden gewählt haben ist rechtlich an sich vorgesehen.
swissinfo: Sie haben mehrfach Reformen im schweizerischen Finanzsystem gefordert. Was müsste die Schweiz jetzt tun?
M.P.: Das Thema Rechtsstaatlichkeit und die Frage, wann man nachgibt, das ist eine Seite. Auf der andern Seite muss sich der Staat überlegen, wie das Rechtshilfe- und das Amtshilferecht im Zusammenhang mit dem Bankgeheimnis künftig aussehen sollten.
In dieser Hinsicht müsste die Schweiz wesentlich kreativer sein. Ein gangbarer Weg wäre möglicherweise ein Modell, das es andern Staaten ermöglicht, zu ihrem Steueraufkommen zu gelangen, ohne dass man gleich die Namen der Kunden in der Schweiz bekannt gibt.
Das Modell der Verrechnungssteuer, das wir landesintern kennen, erlaubt es dem Bund, stellvertretend für andere Steuern einzuziehen.
Das Problem ist ja, dass unseren Nachbarn die Mittel entzogen werden, die sie brauchen, um ihren Sozialstaat aufrecht zu erhalten. Das ist der Punkt, den wir verstehen müssen. Ich habe wenig Verständnis für die Argumentation, dass man Steuerflüchtlingen in der Schweiz Asyl gewähren müsse, weil sie von Hochsteuerländern verfolgt würden. Das halte ich für eine sehr zynische Überlegung.
swissinfo: Die EU fordert ja von der Schweiz, dass sie künftig darauf verzichtet zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu unterscheiden und lediglich Steuerbetrug unter Strafe stellt. Muss die Schweiz dieser Forderung nachkommen?
M.P.: Das hängt davon ab, wie wir mit dem Problem umgehen. Eine Möglichkeit wäre, dass wir stellvertretend für die EU Steuern einziehen würden. In diesem Fall würde sich die Frage völlig anders stellen.
Wenn wir hingegen weiterhin auf der Basis von Amts- und Rechtshilfe operieren, dann müsste wahrscheinlich dieser Unterschied aufgehoben werden.
Grundsätzlich habe ich meine Bedenken, ob es ein gutes Geschäftsmodell ist für die Schweizer Institute, ausländische Steuerhinterziehung zu unterstützen.
swissinfo-Interview: Andreas Keiser
Die EU-Kommission fordert nach der Herausgabe von UBS-Bankkundendaten an die USA Gleichbehandlung für die EU-Staaten.
Zwar unterstrich sie, dass es sich dabei um eine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und der Schweiz handle.
«Freilich, wenn eine ähnliche Anfrage von einem EU-Mitgliedstaat gestellt wird, muss sie auf gleiche Art und Weise behandelt werden», fügte die Kommissionssprecherin in Brüssel an.
Im Gegensatz zum Ausland unterscheidet die Schweiz zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung.
Wird Betrug nachgewiesen, wie bei der Geldwäsche, gewährt die Schweiz Amtshilfe.
Wer hingegen Steuern auf legal verdientem Geld nicht zahlt, der hinterzieht – Amtshilfe wird in diesem Fall kaum gewährt.
Gegen diese Unterscheidung laufen sowohl die EU als auch die USA seit Jahren Sturm.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch