Schweiz relativiert «Hungersnot» in Niger
Schweizer Hilfswerke schätzen die Lebensmittel-Knappheit in Niger als weniger dramatisch ein als die UNO, warnen aber vor einer Verschärfung der Krise.
Vorangegangen waren Meinungsverschiedenheiten zwischen dem US-Hilfswerk USAid und der UNO über das Ausmass der drohenden Hungersnot.
Letzte Woche stellte Edward Fox von der amerikanischen Entwicklungsagentur USAid Angaben der UNO in Frage, wonach im Sahelland Niger 3,6 Millionen Menschen auf Nahrungsmittel-Hilfe angewiesen seien.
Er sprach dagegen von rund 800’000 Personen, die direkte Nahrungsmittel-Hilfe benötigten.
Peter Bieler, Chef des Koordinationsbüros der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) für den Niger, sagte gegenüber swissinfo, es sei wohl falsch von einer drohenden Hungersnot zu sprechen.
Krise, nicht Katastrophe
«Kinder sind bis jetzt jedes Jahr gestorben», so Bieler. «Doch letztes Jahr war es schlimmer, weil die Ernte nicht sehr gut war.» Niger befinde sich in einer Nahrungsmittel-Krise, aber nicht in einer Hungersnot oder –katastrophe.
Der Chef des Büros fügt hinzu, die Situation könne sich relativ rasch entspannen, weil wieder eine Ernte erwartet werde.
Lieber auf längere Frist hinaus
Ihm ist daran gelegen, dass die Öffentlichkeit sieht, dass die Probleme sich wahrscheinlich fortsetzen werden.
Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS), das in Tahoua engagiert ist, versucht, die Probleme aus dem richtigen Blickwinkel darzustellen.
«Es scheint verschiedene Ansichten über die Lage in Niger zu geben», sagt HEKS-Sprecherin Seta Thakur. «Wir sprechen nicht von Hungersnot, sondern von einer gravierenden Knappheit an Nahrungsmitteln.»
Vorwürfe seitens des Präsidenten
Am Dienstag wies Nigers Präsident Mamadou Tanja Berichte über eine Hungersnot als politische Propaganda von der Hand. Er warf der UNO vor, «laut aufzuschreien», nur um Geld sammeln zu können.
Laut Bieler vom DEZA-Büro hätte die Regierung in Niger mehr unternehmen können, um die Probleme zu lindern: «Zu Jahresbeginn hatte die Regierung die Steuern auf Lebensmittel erhöht, was zu gewalttätigen Ausschreitungen führte.»
«Jetzt verteilt die Regierung Nahrungsmittel. Doch man schaut nicht über die anstehende Ernte hinaus. Es fehlt an proaktiver Führung, was die Situation hier ganz allgemein charakterisiert.»
Nahrungsmittel: vorhanden, aber zu teuer
Laut Bieler war ursprünglich rund eine Million Menschen von den Ernte-Ausfällen betroffen. Doch seither nahm die Zahl zu, weil die Preise für Lebensmittel gestiegen waren. Sie sind so teuer, dass zahlreiche Leute sie sich nicht mehr leisten können.
Bisher wurden mit den Hilfsprogrammen rund 2,6 Mio. Menschen erreicht. Davon erhalten 1,7 Millionen nächsten Monat weitere Hilfe.
Die DEZA hat bislang für Niger 832’000 Franken zur Verfügung gestellt. Nächstens sollen zwei Logistik-Experten in die Region entsandt werden, um bei der Verteilung der Lebensmittel zu helfen.
Laut UNO-Vertretern ist die Verteilung von Notrationen diese Woche auf breiter Ebene angelaufen – und zwar zum ersten Mal seit dem Hilfsappell im letzten Jahr an die internationale Gemeinschaft.
swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen von Alexander Künzle)
Laut der UNO sind rund 3,6 Millionen Menschen in Niger, also rund 28% der Bevölkerung, von Nahrungsmittel-Knappheit bedroht.
USAid spricht jedoch von weniger als einer Million, die wirklich Hilfe benötigen.
Nigers Präsident Mamadou Tanja schliesslich bezeichnet die Berichte über eine Hungersnot in seinem Land als politische Propaganda.
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