«Schweiz soll nicht Hochpreisinsel bleiben»
Nach dem Entscheid des EU-Parlaments, die Tarife für das Roaming zu senken, fordert der Preisüberwacher den Bundesrat auf, sehr bald ein Arrangement mit der EU zu prüfen.
Falls sich die Schweiz diesem Entscheid anschliesst, könnte die Rechung für die Schweizer Mobiltelefonie-Kunden jährlich um bis zu 200 Mio. Franken tiefer ausfallen.
Telefonieren mit dem Mobiltelefon auf einem Fremdnetz im Ausland, so genanntes Roaming, soll im Raum der Europäischen Union (EU) bald preiswerter werden.
Mit grosser Mehrheit stimmten die Abgeordneten am Mittwoch in Strassburg einem mit den EU-Regierungen ausgehandelten Kompromiss zu.
Bevor die Regeln im Sommer in Kraft treten, müssen Anfang Juni noch die EU-Telekommunikationsminister in Luxemburg zustimmen. Dies gilt aber als sicher.
Im besten Fall könnten die Roaming-Kosten damit ab August deutlich sinken, sagte Medien-Kommissarin Viviane Reding am Mittwoch im EU-Parlament. «Ich denke, wir werden jetzt ein Wettrennen um die günstigsten Gebühren erleben», sagte sie.
Voraussichtlich im August sollten sich Konsumenten für den neuen Euro-Tarif entscheiden können. Wenn sie dies nicht tun, telefonieren sie vorerst weiter zu ihren jetzigen, meist teureren Tarifen.
Schweizer Anbieter reagieren
Auch Schweizer Anbieter reagieren auf die Entwicklungen in der Europäischen Union. Die Option für billigere Roaming-Tarife muss aber auch hierzulande explizit gewählt werden.
Normale Schweizer Kunden bezahlen beispielsweise für ein Telefonat aus den Ferien in Italien nach Hause bei Swisscom 1,50 Franken sowie bei Sunrise und Orange 1,70 Franken pro Minute.
Allerdings bietet Swisscom gratis einen «Euro Passport» an, den gemäss eigenen Angaben derzeit rund 360’000 Kundinnen und Kunden nutzen. Damit sind aus Europa, mit Ausnahme von Rumänien und Bulgarien, Telefonate in die Schweiz billiger – allerdings nur, sofern es sich um längere Gespräche handelt. Die erste Minute kostet 1,60 Franken, danach beträgt der Minutentarif 60 Rappen.
Eine gleiche Preisgestaltung bietet Sunrise mit «Sunrise spezial europe». Das Angebot gilt allerdings nur dort, wo Partnernetze bestehen, Kundinnen und Kunden müssen sich vor einer Reise also informieren. Zudem kostet das Angebot einen Franken pro Monat.
Preise sinken
Bei Swisscom geht man allgemein davon aus, dass das Preisniveau auch in der Schweiz weiter sinken wird, wie Swisscom-Chef Carsten Schloter im Radio sagte. «Durch die Marktmechanismen kommen mit der Zeit auch die Schweizer Kunden in den Genuss von günstigen Preisen.»
Diese Einschätzung teilt auch der Internet-Vergleichsdienst comparis.ch, wie er am Mittwoch mitteilte. Er hat errechnet, dass Schweizer Kunden über 200 Mio. Franken pro Jahr an Roaming-Gebühren sparen könnten, wenn die gleiche Regelung wie in der EU auch in der Schweiz eingeführt würde.
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Preisüberwacher
Preisüberwacher für Lösung mit EU
Doch auch wenn die Schweizer Anbieter die Roaming-Tarife teilweise senken, sieht Preisüberwacher Rudolf Strahm Handlungsbedarf bei den Behörden.
«Den Verantwortlichen in der Bundesverwaltung ist klar, dass wir jetzt eine Lösung mit der EU finden müssen. Wir können nicht lange warten und eine Hochpreisinsel auch im Handyverkehr bleiben», sagte er.
Marc Furrer, Präsident der Kommunikations-Kommission (ComCom), befürchtet sogar einen Gebührenanstieg: «Es besteht die Gefahr, dass die Telekom-Operators der EU sich sagen, innerhalb der EU müssen wir uns an die Roaming-Abkommen halten, aber ausserhalb können wir zuschlagen, also in Nordafrika, den USA und eben der Schweiz.»
Furrer will am regelmässigen Treffen der EU-Regulatoren Ende Monat in Oslo das Thema zur Sprache bringen. Die Obergrenzen der Gebühren sollten auch für Handy-Gespräche mit der Schweiz eingehalten werden, und zwar freiwillig. Denn eine rechtliche Handhabe fehle.
swissinfo und Agenturen
Unter Roaming (Engl.: Herumstreifen) versteht man die Möglichkeit, in einem anderen als dem Heimnetzwerk automatisch Anrufe und SMS tätigen oder empfangen zu können.
Roaming kommt dann zum Zug, wenn ein Mobiltelefonie-Abonnent ausserhalb des geographischen Gebietes telefoniert, das durch sein Heimnetzwerk abgedeckt wird.
Dies aber nur, falls sein Anbieter entsprechende Roaming-Verträge mit ausländischen Anbietern abgeschlossen hat.
Der neue EU-Tarif begrenzt die Gebühren für aktive Auslandgespräche auf 49 Euro-Cent (ohne Mehrwertsteuer) pro Minute.
Für eingehende Anrufe auf einem Fremdnetz sollen Kunden nicht mehr als 24 Cent zahlen müssen.
Nach einem weiteren Jahr sollen die Gebühren auf 46 Cent, im dritten Jahr auf 43 Cent sinken, während angenommene Anrufe noch 22, dann 19 Cent kosten sollen.
Laut der Dachorganisation der Mobiltelefonie-Anbieter, welche die neuen Regeln bekämpfen, sind die Tarife in den letzten beiden Jahren bereits um rund 30% gesunken.
Die durchschnittlichen Kosten für Anrufe im Ausland sind von 83 auf 59 Cent pro Minute gesenkt worden. Trotzdem verlangen gewisse Anbieter heute noch bis 3 Euro pro Minute.
Der Schweizer Anbieter Swisscom verrechnet für im Ausland getätigte Anrufe 1,50 Franken (90 Euro-Cent) pro Minute, Sunrise und Orange 1,70 Franken (1 Euro).
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