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Schweiz zieht weiterhin Multis an

UPS will in Biel 100 Stellen schaffen. Keystone Archive

Mit UPS hat sich ein weiterer multinationaler Konzern vom Standort Schweiz überzeugen lassen. In Biel entsteht das europäische Management-Hauptquartier.

Seit den 1950er-Jahren haben fast 200 Multis entweder ihren Hauptsitz oder wichtige Teile ihres Betriebs in der Schweiz angesiedelt.

Gleichzeitig mit der Ankündigung von UPS, dem weltgrössten Paketverteiler, liegen auch zwei unabhängig voneinander entstandene Einschätzungen vor, die der Frage nachgehen, warum noch immer so viele ausländische Firmen den Standort Schweiz wählen.

Kantone kämpfen um goldene Steuerzahler

Die erste, das «Location Management Forum», das die Organisatoren zu einer regelmässigen Veranstaltung machen möchten, fand Ende letzten Jahres an der Wirtschaftshochschule St. Gallen statt.

Und die «Global Headquarters Benchmarking Study» der Consulting Firma Arthur D. Little (ADL) bestätigt, dass die Schweiz bei multinationalen Konzernen, die einen Standort für ihren europäischen oder internationalen Hauptsitz suchen, nach wie vor die erste Wahl darstellt.

Zu den Referenten an der St. Galler Veranstaltung gehörten Stefan Held, Leiter des deutschen Büros der Consulting Firma KPMG, Eric Scheidegger, Direktor der Standortförderung im Staatssekretariat für Wirtschaft (seco), und Ueli Forster, Präsident des Schweizer Wirtschafts-Verbandes economiesuisse.

In einem im vergangenen Dezember veröffentlichen Bericht warnt economiesuisse, die Schweiz sei im Begriff, ihren Wettbewerbsvorteil auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung – traditionell der wichtigste Faktor bei internationalen Standortentscheiden – zu verlieren.

Auch wenn kaum allzu viele Länder mit den extrem tiefen Steuersätzen eines Kantons Zug gleichziehen werden, ist nicht zu übersehen, dass die Steuerbelastung für Unternehmen fast überall in Europa in den letzten Jahren deutlich gesunken ist. Diese Entwicklung ist seit der EU-Osterweiterung noch beschleunigt worden.

Bauch entscheidet

Dabei dürfe man allerdings nicht vergessen, führte Held vor den Teilnehmern des St. Galler Forums aus , dass Steuersätze bei der Standortwahl «ein wichtiger, aber keineswegs der einzige Faktor» seien.

Viele Wirtschaftsführer würden sich bei solchen Entscheiden letztlich auf ihren Bauch verlassen, sagte Held.

Scheidegger betonte die Wichtigkeit des Föderalismus in der Schweiz, der es den einzelnen Kantonen erlaube, um die Gunst von Unternehmen und Investoren zu wetteifern.

Die Rolle der Bundesbehörden bei der Rekrutierung ausländischer Firmen sei beschränkt, meinte Scheidegger. Allerdings dürfe der interkantonale Wettbewerb nicht soweit gehen, dass das ganze Land darunter leide.

Verschiedene französischsprachige Kantone sind daran, sich bei der Suche nach ausländischen Investoren zusammen zu schliessen. Der Kanton Jura will sich demnächst der aus den Kantonen Waadt, Neuenburg und Wallis bestehenden Gruppe Wirtschaftsförderung West Schweiz (DEWS) anschliessen.

Angestellten-Paradies

Der Bericht von Arthur D. Little stellt fest, dass ein Erlahmen des von Standortwechseln und Reorganisation geprägten Trends bei den international tätigen Unternehmen nicht abzusehen sei – vor allem aus Gründen des anhaltenden Kostendrucks.

«Seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich die Schweiz insgesamt als bevorzugtes Hauptsitzland behauptet», hält Herbert Wanner fest, einer der Autoren des Berichts und stellvertretender Direktor des Zürcher Büros von ADL.

«Die Gründe dafür sind vielfältig und einfach: die Schweiz hat tiefe Steuern, ausgezeichnete Kaderleute und bietet Angestellten eine attraktive Wohnumgebung.»

Weitere «Anziehungsfaktoren» sind politische Stabilität, feste Währung, zentrale geografische Lage, gute Transportverbindungen, Nähe zu Technologie- und Forschungszentren, sowie ein starker Finanz- und Dienstleistungssektor.

Auf der negativen Seite erwähnten die Befragten eine Reihe von Bereichen, in denen Verbesserungen durchaus möglich und nötig sind. Zum Beispiel bei Arbeitsbewilligungen, internationalen Flugverbindungen, dem Fehlen internationaler Schulen, der von der europäischen abweichenden Gesetzgebung und den administrativen Arbeitskosten.

Die Liste der US-Unternehmen, die sich bereits in der Schweiz niedergelassen haben, liest sich wie ein Auszug aus den Fortune 500: Philip Morris, Du Pont de Nemours, eBay, Caterpillar, General Motors, Procter & Gamble, Dow Chemical, Oracle und Cisco, um nur einige zu nennen.

Die Schweiz zieht aber auch Konzerne aus europäischen Ländern an: Kühne & Nagel, Liebherr International, Metro Holding, Eurotax, Dynamit/Nobel und SAP.

Gezieltes Herangehen

In vielen Fällen haben Unternehmen einzelne wichtige Funktionen – Marketing, Finanzen, Human Resources – ganz in die Schweiz verlegt.

Caterpillar, Argonaut und Eastman Chemicals haben ihre Marketing-Abteilungen hier angesiedelt, während eBay, Alcoa, Elopak, Omnexus und Baxter mit ihren Finanzfunktionen in die Schweiz umgezogen sind.

«Im Fall der Schweiz könnte die zunehmende Tendenz, nicht den gesamten Hauptsitz, sondern spezifische Funktionen selektiv anzusiedeln und dabei die vorhandenen Qualitäten optimal zu nutzen, zu einer funktionalen Spezialisierung des Landes als Standort für gewisse Schlüsselbereiche führen», ergänzte Wanner.

«Die weitere Entwicklung der Schweiz als Banken- und Finanzzentrum dürfte die Anzahl der Neuzuzüge in Zukunft entscheidend beeinflussen.»

Die internationalen Unternehmen sind übrigens nicht die einzigen, die solche Fragen zunehmend gezielt angehen.

Zielgerichtete Behörden

Auch die mit der schweizerischen Wirtschaftsförderung beauftragten Behörden bevorzugen zunehmend eine gezieltere Marketingstrategie, die nicht einfach darauf abzielt, noch mehr Multis anzuziehen.

Sie betreiben immer mehr eine Art von Mikro-Marketing, das spezifische Sektoren und sogar Personen-Typen anpeilt. Schliesslich haben nicht nur reiche Unternehmen gemerkt, dass sich in der Schweiz gut leben lässt.

Auch zahlreiche bekannte Persönlichkeiten von David Bowie über Tina Turner bis zu Michael Schumacher und Boris Becker konnten den tiefen Steuersätzen sowie den ausgezeichneten und nur eine kurze Autofahrt vom Skigebiet entfernten Finanzzentren nicht widerstehen.

swissinfo, Chris Lewis
(Übertragen aus dem Englischen: Rita Emch)

Die fünf wichtigsten Faktoren für Standortentscheide:
Unternehmenssteuer-Vorteile (88%)
Qualifizierte Kader (72%)
Lebensqualität (69%)
Zentrale Lage (62%)
Kooperative Behörden (55%)

Der Entscheid des Paketriesen UPS, den Hauptsitz des Unternehmens in die Stadt Biel in der Nordwestschweiz zu verlegen, soll 100 neue Arbeitsplätze schaffen und rund 30 Mio. Fr. an Kapitalinvestitionen generieren.

Zwei Organisationen – die Hochschule St. Gallen und die Arthur D Little Consulting – haben versucht herauszufinden, was die Schweiz so attraktiv macht.

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