Schweizer Energiepolitik unter Strom
Strommarkt-Öffnung, Ersatz für die alten Atomkraftwerke: Auf die Schweizer Strompolitik warten zwei grosse Herausforderungen.
Den einen geht’s zu schnell, den anderen zu langsam, die einen setzen auf neue AKWs, die anderen auf erneuerbare Energien. Eine Standortbestimmung mit Energie-Expertin Dori Schaer.
Die Schweizer Energiepolitik bewegt sich in einem «energetischen Vieleck»: Eckpfeiler darin sind der Bundesgerichts-Entscheid von 2003, der den Schweizer Strommarkt für offen erklärt. Dann das jüngst vom Bundesrat verabschiedete Stromversorgungsgesetz, das diese Öffnung regeln soll.
Weitere Eckpunkte: Der seit vergangenem Sommer geöffnete Strommarkt in Europa und die Schweizer AKW-Betreiber, welche die Karte neue Atomkraftwerke ausspielen. Andererseits drohten der wachsenden Wirtschaft Engpässe, warnten sie.
Eine Rolle spielen auch die nachhaltige Energieproduktion, die in der Bundesverfassung verankert ist sowie die daraus von Bund, Gesetzgeber und Umweltverbänden abgeleitete Forderung nach Verbrauchsreduktion beziehungsweise Förderung erneuerbarer Ressourcen.
Nicht zu vergessen sind auch noch die momentanen Höchststände bei den Rohölpreisen, welche in zahlreichen Branchen für höhere Preise und somit einen Anstieg der Teuerung sorgen.
Eine, die in diesem schwierigen «Energiefeld» den Durchblick hat, ist Dori Schaer. Die ehemalige Berner Regierungsrätin leitete die Expertengruppe des Bundes, welche das neue Stromversorgungsgesetz (StromVG) ausgearbeitet hatte.
swissinfo: Totgesagte leben länger: AKWs hatten in den 80ern und 90ern keine Zukunft mehr, jetzt spielen Stromproduzenten wieder die Karte AKW aus. Wie wurde dieses «Comeback» möglich?
Dori Schaer: Die Frage, wie wir die Stromlücke nach Ablauf der Betriebsdauer der heutigen AKW füllen, wird aus zeitlichen Gründen zunehmend dringlich. Die verlorenen Abstimmungen über die Moratoriums-Initiativen haben den AKW-Befürwortern Auftrieb gegeben. Und AKWs sind im Moment (noch) ein Riesengeschäft.
Es ist zudem Hoffnung vorhanden, neue AKW-Technologien mit wesentlich verbesserter Sicherheit und besserer Ausnutzung des Brennstoffes zu entwickeln. Es ist aber noch völlig unklar, wann diese soweit sein werden.
Der Ausbau erneuerbarer Energien dagegen stösst – zumindest heute noch – an Grenzen. Strom aus Anlagen der ’neuen› erneuerbaren Energien wie Biomasse und Biogas, Wind- und Sonnenergie sowie Geothermie ist mit Preisen von ungefähr 30 Rappen bis 1 Franken pro Kilowatt-Stunde nicht wettbewerbsfähig.
swissinfo: Kommt die AKW-Frage – und damit die Umweltdebatte – in einigen Jahren wieder ganz zuoberst auf die politische Agenda der Schweiz, wie in den 80er- und 90er-Jahren?
D.S.: Ja, aber nicht in einigen Jahren, sondern sehr rasch. Die Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg läuft 2012 aus, es geht also demnächst um die Frage einer Stilllegung oder unbefristeter Bewilligung. Diejenigen anderer AKWs laufen ab 2020 ab, die Beteiligungen an französischen AKWs in den Jahren dazwischen.
Wenn man bedenkt, dass für Bewilligungen und Bau eines Werkes mit mehr als zehn Jahren gerechnet werden muss – wenn ein Bau überhaupt möglich werden sollte – wird die Zeit jetzt schon knapp. Da ist es aus Sicht der AKW-Betreiber logisch, diese Frage der Politik zu stellen.
swissinfo: Das Berner Kantonsparlament hat die Regierung zurückgepfiffen und die Option AKW wieder in die Energiestrategie des Kantons hineingehievt. Hat dies Signalwirkung für andere Kantone?
Ich sehe keine grossen Änderungen: In Bern mit dem AKW Mühleberg hat sich das bürgerlich dominierte Parlament seit je her von der BKW leiten lassen. Im Aargau mit Beznau I und II und Gösgen waren Regierung, Parlament und Bevölkerung traditionell AKW-freundlich. Ein Signal ist da also kaum mehr nötig.
Die beiden Basel hingegen haben den AKW-Verzicht in der Verfassung verankert, auch dort wird es keine Änderung geben.
swissinfo: Die erneuerbaren Energien – Wasserkraft ausgenommen – sind seit Jahren in einem Dauertief, es stand sogar das Aus des Bundes-Programms «Energie-Schweiz» zur Debatte. Sind allein tiefe Ölpreise der Grund?
D.S.: Was die Zukunft von «Energie-Schweiz» betrifft, bin ich optimistisch. Der Antrag des Bundesrates auf Streichung des Programms löste im Parlament bis weit in die bürgerlichen Fraktionen hinein eine breite Gegenreaktion aus, so dass das Programm, wenn auch etwas abgespeckt, weitergeführt werden kann.
Der jüngste Anstieg des Ölpreises und fast noch mehr die Klimaproblematik tragen stark zur Sensibilisierung auf das Thema bei. Den Menschen ist heute bewusst, dass die Ölvorräte endlich sind, auch wenn über den Zeitpunkt noch keine Einigkeit besteht. Zudem ist Öl zu kostbar, um einfach verbrannt zu werden.
swissinfo: Der Bund kommt mit einem neuen Energieversorgungsgesetz, das eine Strommarkt-Öffnung in zwei Schritten will: bis 2007 für Grosskunden und KMU, bis 2012 für Privatkunden. Ist das nur zwei Jahre nach dem Volksnein zum EMG realistisch?
D.S.: Das Tempo ist sehr ungewöhnlich, denn die Expertengruppe hat bereits fünf Monate nach der EMG-Abstimmung die Arbeit an einer neuen Gesetzesvorlage aufgenommen. Dies aus drei Gründen: Unser Auftraggeber, der Bundesrat, wusste erstens, was in der EU lief, zweitens bestätigte das Bundesgericht, dass wir einen juristisch offenen Strommarkt haben. Drittens war der Druck der Wirtschaft da, die konkurrenzfähige Strompreise wollte.
Ich bin optimistisch, denn in der Diskussion höre ich ein zunehmendes Verständnis für den Kompromiss des StromVG heraus. Darin werden die kleinen Konsumenten noch geschont, und ab 2012 erhalten sie die Wahl, ob sie sich am freien Markt beteiligen wollen oder nicht. Im zweiten Fall merken sie nichts Neues.
swissinfo: Der offene Strommarkt wird im Juli 2007 in Europa Realität. Was bedeutet das für die Schweiz?
D.S.: Dazu brauchen wir zwei neue Organisationen: Einerseits die Swissgrid als Netzbetreibergesellschaft, die den diskriminierungsfreien Stromtransit gewährleistet und regelt und damit die Versorgungssicherheit auch in unserem Lande sicherstellt.
Das Netz bleibt zwar im Besitz der heutigen Eigentümer, die Betreibergesellschaft muss aber von diesen organisatorisch und juristisch unabhängig sein.
Andererseits bedarf es eines Regulators, der die nötigen Kontrollfunktionen ausübt und auf Behördenebene mit dem Ausland verhandelt. Netzbetreibergesellschaft und Regulator sollen im Laufe von 2005 vorgängig im Elektrizitätsgesetz verankert werden. Wenn das Parlament den Fahrplan einhält, tritt spätestens im Sommer 2007 das StromVG in Kraft.
Dann wären wir gewappnet und hätten 2007 den Markt für die grossen und mittleren Verbraucher offen, was zwar nicht ganz eurokompatibel ist, aber gemäss bisheriger Gespräche von den EU-Gremien akzeptiert würde. Die ausländischen Stromunternehmungen sind ja nicht primär an den Haushalten interessiert. Die wollen vor allem die grossen Kunden und dieselben Rechte für die Durchleitungen.
swissinfo, Renat Künzi
Das Stromversorgungs-Gesetz, welches das Schweizer Parlament 2005 berät, sieht eine Öffnung des Schweizer Strommarktes in zwei Schritten vor:
2007 für Unternehmen, 2012 für die privaten Haushalte.
Weiter regelt das StromVG die Versorgungssicherheit und den grenzüberschreitenden Stromhandel.
Dazu wird eine einheitliche, vom Bund beaufsichtigte Netzbetreibergesellschaft geschaffen (Swissgrid) und ein Regulator (ElCom).
Die Energiepolitik spielt sich zwischen folgenden Eckpfeilern ab:
Bundesgerichtsentscheid von 2003: Der Strommarkt ist liberalisiert;
In der Europäischen Union ist der offene Strommarkt seit vergangenem Sommer Realität (für die Grossverbraucher, ab 2007 für die Haushalte);
Der Bundesrat hat Anfang Dezember das Stromversorgungs-Gesetz verabschiedet, das die Öffnung regeln soll;
Die AKW-Betreiber drängen auf einen politischen Entscheid über den Bau neuer Atomkraftwerke;
In der Bundesverfassung ist die nachhaltige Energieproduktion verankert;
Bund, Gesetzgeber und Umweltverbände leiten daraus Forderungen nach Verbrauchsreduktion beziehungsweise Förderung erneuerbarer Ressourcen ab.
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