Afghanistan: Die Amerikaner gehen, Pilatus bleibt
Während die USA einen bedeutenden Rückzug aus Afghanistan planen, sorgen sich Wissenschaftler über das Schicksal der Schweizer Pilatus-Flugzeuge, welche die Amerikaner der afghanischen Armee gegeben haben.
Die Nachricht geisterte schon seit mehreren Wochen herum, Anfang Februar machte sie Donald Trump in seiner Rede zur Lage der Nation offiziell: Nach 18 Jahren militärischer Präsenz werden die meisten amerikanischen Truppen in den kommenden Monaten Afghanistan verlassen. Zu den Hinterlassenschaften der Amerikaner in Afghanistan gehört auch ein kleines Stück Schweiz: etwa zwanzig Pilatus PC-12-Flugzeuge, die Washington der afghanischen Regierung überreicht hat. Während die Zukunft des Landes Anlass zu Sorge bietet, gilt dies ebenso für die Schweizer Flugzeuge.
Die Schweiz verbietet den Export von Kriegsmaterial in Kriegsländer. Wie kommt es also, dass in der Schweiz hergestellte Kampfflugzeuge in Afghanistan landeten? Der Fall geht auf das Jahr 2012 zurück: Washington hatte damals beim Unternehmen PilatusExterner Link mit Sitz in Stans im Kanton Nidwalden eine Charge von 18 Flugzeugen bestellt, damals rein zivil, und damit von den Exportbeschränkungen befreit. Total der Transaktion: 218 Millionen Dollar. Die USA beauftragten anschliessend eine amerikanische Firma in Sierra Nevada, die Flugzeuge mit Überwachungsgeräten auszustatten und diese dann der afghanischen Regierung zu übergeben.
Das löste in Bern eine Debatte aus: Einige Parlamentarier argumentierten, dass der endgültige Empfänger und der wahre Zweck der PC-12 im Voraus bekannt gewesen seien, und forderten, dass die Transaktion als Verkauf von Kriegsmaterial eingestuft werden müsse. Dieses Argument wurde vom Bundesrat zurückgewiesenExterner Link. Er war der Meinung, dass der spätere Verwendungszweck der Flugzeuge nicht in der Verantwortung der Schweiz liege.
«Es wäre nicht das erste Mal, dass Material von den USA in einem Kriegsgebiet entwendet würde» Pieter Wezeman
In den falschen Händen?
Das Resultat: Anfang 2015 erhielten die afghanischen Streitkräfte von Washington 13 Flugzeuge des Modells Pilatus PC-12 mit Modifikationen durch die Firma in Sierra Nevada (von den Amerikanern U28a getauft). Aktuell verfügt Kabul gemäss dem britischen Fachverlag Jane’s über total 22 FlugzeugeExterner Link. Diese sind mit moderner Beobachtungsausrüstung ausstaffiert und sollen insbesondere dazu dienen, Drogenhändler aufzuspüren. Afghanistan ist ein grosser Produzent von Mohn.
Das Problem ist jetzt, dass sich die Situation in Afghanistan völlig verändert: Die Amerikaner verlassen das Feld, und es laufen Verhandlungen mit den Taliban. Es besteht nach Ansicht vieler Experten die grosse Gefahr, dass Afghanistan ins Chaos zurückfällt oder die Taliban wieder an die Macht kommen. Geraten nun die modifizierten PC-12s bald in die falschen Hände?
«Es wäre nicht das erste Mal, dass Material von den USA in einem Kriegsgebiet entwendet würde», sagt Pieter Wezeman, Rüstungsspezialist am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRIExterner Link). So konnte der sogenannte Islamische Staat beispielsweise 2014, nach dem amerikanischen Rückzug aus dem Irak, viele der von Washington gelieferten Ausrüstungen und Fahrzeuge von der irakischen Armee stehlen.
Sensible Technologien
Obwohl sich die Taliban während ihrer Regierungszeit als in der Lage erwiesen haben, eine kleine Luftwaffe zu betreiben, relativiert der Forscher dennoch die Risiken, die mit modifizierten PC-12s verbunden sind: «Diese Art von Spezialausrüstung ist zu komplex, um ohne die Unterstützung des ursprünglichen Lieferanten gewartet und betrieben zu werden.» Im Jahr 2015 enthüllte das Magazin The NationExterner Link, dass die Wartung der PC-12s der afghanischen Armee weitgehend von externen privaten amerikanischen Subunternehmern durchgeführt wurde.
Wezeman sieht ein anderes Problem: Wenn potenzielle Besitzer der PC-12 diese nicht verwenden können, könnten sie versuchen, die Flugzeuge weiterzuverkaufen. «Wenn die Amerikaner die Kontrolle über Afghanistan verlieren, ist es denkbar, dass ihr Material an andere regionale Akteure weitergeht.» Für den Iran sei das Material beispielsweise interessant, um die Technologien zu untersuchen und Kopien herzustellen.
Die modifizierten PC-12s sind zwar unbewaffnet, verfügen aber immer noch über relativ fortschrittliche amerikanische Sensoren und Übertragungssysteme. Es gab bereits einen ähnlichen Fall: 2011 konnte Teheran eine amerikanische Beobachtungsdrohne ergattern, die für einen ähnlichen Zweck verwendet wurde wie die afghanischen PC-12s. Die Drohne wurde später als Modell für die Herstellung eines iranischen Replikats verwendet.
«Am besten verhindern lässt sich der tödliche Einsatz des gespendeten Materials, indem man jede zukünftige Unterstützung mit strengen Kontrollmechanismen verknüpft»
Jason Campbell
Verwendung wird nicht überwacht
Dies sind zwar katastrophale Szenarien, aber in naher Zukunft werden sich andere Fragen stellen. Zum Beispiel nach der Überwachung der afghanischen Sicherheitskräfte, denen bereits jetzt regelmässig MenschenrechtsverletzungenExterner Link vorgeworfen werden. «Wenn sich die amerikanischen und internationalen Truppen zurückziehen, wird es viel schwieriger werden, den Überblick zu behalten, wie die Afghanen die Ausrüstung verwenden», sagt Jason Campbell, Experte am amerikanischen Forschungszentrum RAND CorporationExterner Link.
In einem im Januar publizierten Bericht prognostizierte der Forscher zusammen mit drei Kollegen für die Zeit nach dem Abzug der Amerikaner unter anderem einen starken Anstieg ethnischer Gewalt, die sich besonders gegen die Zivilbevölkerung richten werde. In diesem Kontext würden die modifizierten PC-12s nicht mehr nur für Anti-Drogen-Einsätze dienen. «Am besten verhindern könnte man den tödlichen Einsatz des gespendeten Materials, indem man jede zukünftige Unterstützung mit strengen Kontrollmechanismen verknüpft», so Campbell. «Dies im Wissen, dass die Afghanen solche Ausrüstung ohne amerikanische Hilfe nur schwer verwenden können.»
(Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi)
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