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Schweizer Pistolen in Region mit Kindersoldaten?

Im Konflikt zwischen maoistischen Rebellen und dem Staat im indischen Zentralstaat Chhattisgarh sollen auf beiden Seiten Kindersoldaten rekrutiert worden sein. AFP

Schweizer Firmen haben Waffen in den indischen Teilstaat Chhattisgarh geliefert. Dort tobt seit Jahren ein Konflikt zwischen maoistischen Rebellen und dem Staat. Selbst die Polizei soll Kindersoldaten rekrutiert haben.

Schweizer Waffen werden in die ganze Welt verkauft. Wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sagte, ging eine Lieferung auch nach Indien, ein Teil davon in den Teilstaat Chhattisgarh. Laut einem Bericht von Human Rights Watch, der rund drei Wochen vor der Abstimmung über ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten von den Initianten bekanntgemacht wurde, rekrutieren in Chhattisgarh sowohl die Rebellen als auch die Polizei Kindersoldaten. Simon Plüss, der Leiter Waffenexporte beim Seco, erklärt wie die Behörde Gesuche für Rüstungsgeschäfte abwickelt.

swissinfo.ch: Wurde im Fall der Waffenausfuhr in den indischen Teilstaat Chhattisgarh der Bericht von Human Rights Watch vom Oktober 2008 beigezogen? In dem Bericht steht, dass sowohl die maoistischen Rebellen als auch die Polizei seit 2005 Kindersoldaten rekrutiert hätten.

Simon Plüss: Dazu kann ich zur Zeit nichts sagen. Das Seco führt im Moment die nötigen Abklärungen durch, und wir werden nach deren Abschluss informieren.

Was ich festhalten kann, ist, dass es ausschliesslich um 10 Maschinenpistolen geht, die nach Chhattisgarh geliefert wurden. Sie wurden explizit zu Zwecken des VIP-Schutzes an die dortige Polizei geliefert. Diese Waffen sind ein Mehrfaches teurer als die Gewehre, die sie dort bereits haben. Sie werden von einer Spezialeinheit der Polizei verwendet.

Bei der Bewilligungserteilung hat sich die Schweiz das Recht ausbedungen, nötigenfalls vor Ort die konkrete Verwendung überprüfen zu können. Das kann durch unseren zuständigen Verteidigungsattaché geschehen.

swissinfo.ch: Das ist in einem normalen Ablauf nicht vorgesehen?

S.P.: Dies entspricht heute praktisch dem Regelfall. Das ist aber ein Anspruch, der mit der Souveränität des Endbestimmungslandes in Konflikt gerät. Es gibt Länder, bei denen kommt es nicht so gut an, wenn die Schweiz kommt und sagt, sie wolle kontrollieren, ob die Waffen so verwendet werden, wie es das Land versprochen hat.

Der Teilstaat Chhattisgarh hat sich dazu jedoch vorbehaltslos bereiterklärt.

swissinfo.ch: Und wie sind diese Kontrollen ausgefallen?

S.P.: Dazu möchte ich im Moment keine Stellung nehmen.

swissinfo.ch: Wie läuft ein Bewilligungsverfahren für Waffenausfuhren grundsätzlich ab?

S.P.: Wenn jemand Kriegsmaterial ausführen, damit handeln oder es vermitteln will, braucht er zuerst eine Grundbewilligung. Um diese zu bekommen, muss man beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein Gesuch einreichen. Das prüft, ob der Gesuchsteller die Gewähr bietet für eine ordentliche Führung der Geschäfte, und ob die beabsichtigte Tätigkeit den Interessen der Schweiz zuwiderläuft oder nicht. Wenn der Gesuchserteilung nichts entgegensteht, wird das Gesuch erteilt, aber damit ist noch kein einziges Geschäft getätigt.

Wenn eine Firma mit Grundbewilligung dann in der Schweiz ein Gesuch für die Ausfuhr, die Durchfuhr, die Vermittlung oder für den Handel mit Kriegsmaterial einreicht, wird dieses wiederum geprüft.

Artikel 22 des Kriegsmaterialgesetzes sagt, dass solche Geschäfte nur bewilligt werden können, wenn sie dem Völkerrecht, den internationalen Verpflichtungen und den Grundsätzen der schweizerischen Aussenpolitik nicht widersprechen.

swissinfo.ch: Was heisst das konkret?

S.P:In Artikel 5 der Kriegsmaterialverordnung hat der Bundesrat diese Kriterien konkretisiert. Beispielsweise dürfen Gesuche für Ausfuhren von Kriegsmaterial nicht bewilligt werden, wenn im Bestimmungsland die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden, oder wenn das Bestimmungsland auf der OECD-DAC-Liste verzeichnet ist. Das ist die Liste jener Länder, die am wenigsten entwickelt sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann kann das Gesuch bewilligt werden.

Das Verfahren läuft so: Das Gesuch wird beim Seco eingereicht. Das Seco konsultiert dann verschiedene andere Stellen. Grundsätzlich wird immer das eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) konsultiert. Dieses prüft dann insbesondere die Aspekte der Menschenrechte oder, ob im Bestimmungsland Entwicklungsprojekte der Schweiz durchgeführt werden und anderes.

Möglich ist auch, dass das Departement für Verteidigung, Bevölkerung und Sport (VBS) konsultiert werden muss, insbesondere dann, wenn es einen sicherheitspolitischen Aspekt in der Gesuchstellung hat, oder auch das Bundesamt für Energie im Zusammenhang mit nuklear-relevanten Belangen.

swissinfo.ch: Was passiert, wenn sich die Departemente uneinig sind?

S.P.:Wenn zwischen den einzelnen Departementen Divergenzen entstehen, dann wird das Gesuch auf der Stufe des Bundesrates behandelt. Und wenn ein Gesuch von erheblicher sicherheitspolitischer oder aussenpolitischer Bedeutung ist, geht es auch an den Bundesrat. Was erhebliche Gesuche sind, kann ich an ein paar Beispielen illustrieren: Ausfuhren nach Ägypten, Saudiarabien, Pakistan, Südkorea. Der Ort fällt mehr ins Gewicht als etwa die Menge oder die Art der Waffen.

swissinfo.ch: Das heisst, dass in so einem Fall die Entscheidung nicht mehr auf der Grundlage von Fakten gefällt wird, sondern aufgrund politischer Überlegungen?

S.P.: Das kann man so nicht sagen, denn auch der Bundesrat ist an die Kriegsmaterialgesetzgebung gebunden.

swissinfo.ch: Welche Quellen werden zur Beurteilung der Lage in den jeweiligen Bestimmungsländern beigezogen?

S.P.: Die Menschenrechtsprüfung wird vom EDA durchgeführt. Es ist klar, wir holen auch zusätzliche Informationen ein, wenn wir die Möglichkeit haben. Aber grundsätzlich ist das EDA dafür verantwortlich. Da werden Berichte von NGOs beigezogen, von unseren Missionen vor Ort, das sind die Botschaften und die Verteidigungsattachés. Die Quellen sind vielfältig.

swissinfo.ch: Was passiert, wenn ein Gesetzesverstoss festgestellt wird? Welche Strafen oder Sanktionen werden ausgesprochen?

S.P. Es gibt viele Möglichkeiten von Sanktionen. In erster Linie wird alles gestoppt, was noch nicht ausgeführt ist. Dann werden sicherlich neue Ausfuhrgesuche in dieses Land abgelehnt. Damit trifft man das Bestimmungsland schon sehr stark, denn auch die bereits gekauften Waffen können nicht mehr mit dem Fachwissen der Schweiz unterhalten werden, es können auch keine Ersatzteile mehr beschafft werden.

Zusätzlich gibt es natürlich weitere Sanktionen, welche die Schweiz in Erwägung ziehen kann: Einreisebeschränkungen für Regierungsvertreter, Massnahmen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit oder Ähnliches. In diesem Zusammenhang muss man erwähnen, dass Missbräuche sehr selten sind. Seit dem Inkrafttreten des Kriegsmaterialgesetzes 1998 haben wir über 30’000 Gesuche über die Ausfuhr von Rüstungsmaterial bearbeitet. Bekannt sind uns zwei Missbrauchsfälle.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

In der verschärften Verordnung über die Kriegsmaterialausfuhr steht in Artikel 5 Abs.2 e: «Auslandgeschäfte und Abschlüsse von Verträgen nach Artikel 20 KMG werden nicht bewilligt, wenn: e) im Bestimmungsland ein hohes Risiko besteht, dass die auszuführenden Waffen an einen unerwünschten Endempfänger weitergegeben werden.»

Im indischen Bundesstaat bekämpfen sich die so gennanten Naxaliten und die Polizei. Die naxalitische Guerilla-Bewegung entstand 1967, als Bauern aus dem Dorf Naxalbari (Westbengalen) den Reisvorrat eines Grundbesitzers beschlagnahmten.

Seit diesem Bauernaufstand haben verschiedene bewaffnete maoistische Gruppen den Widerstand im Dschungel und in abgelegenen Landesteilen aufgebaut.
Die Naxaliten sind in 16 von 28 indischen Bundesstaaten aktiv.

Die Naxaliten stammen aus der Bevölkerungsgruppe der Adivasi, den eigentlichen Ureinwohner Indiens. Sie stehen ausserhalb des Kastenwesens und sind daher auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Sie sind häufig schlecht gebildet und leben in Gemeinschaften in unwegsamen Bergregionen.

Die mit staatlicher Unterstützung vorangetriebene Industrialisierung in Indien zerstört zunehmend auch die letzten Rückzugsgebiete der indigenen Bevölkerung.

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