Schweizer punkto Produktivität nur Mittelmass
Zwar haben die Schweizer 2006 ihre Produktivität gesteigert, sie hinken aber der Produktivität anderer Länder nach wie vor hinter her.
Dies ergab der neue Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die Gründe liegen auch in der statistischen Methode, höheren Löhnen und Lebenshaltungskosten.
Was weltweit gilt, gilt auch für die Schweiz: Die Menschen arbeiten immer mehr und immer schneller. Zu diesem Schluss kommt die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem neuesten Bericht.
Eine Arbeitskraft erwirtschaftet in der Schweiz gut 41’000 Dollar im Jahr. Beim Spitzenreiter USA liegt die Pro-Kopf-Leistung um fast einen Drittel höher, nämlich bei 64’000 Dollar. Der Grund: Die Amerikaner arbeiten länger und haben weniger Ferien.
Trotz 35-Stunden-Woche…
Aber auch die europäischen Nachbarn haben die Nase vor der Schweiz: Ein Franzose, dessen Arbeitswoche nur 35 Stunden dauert, schafft einen jährlichen Mehrwert von 54’609 Dollar, eine Österreicherin 48’162 Dollar, während der Italiener auf 46’154 Dollar und seine deutsche Kollegin auf 42’345 Dollar kommt.
Das sei umso überraschender, wenn man die tiefe Arbeitslosigkeit in der Schweiz von 4% im Jahr 2006 berücksichtige, sagte die Ökonomin Marie-Claire Sodergren von der in Genf ansässigen ILO gegenüber swissinfo.
Hinkender Vergleich
Der Rückstand der Schweiz hat aber auch einen statistischen Grund, denn die Analysten der ILO rechnen mit so genannten Kaufkraftparitäten. Sie vergleichen dabei einen Warenkorb, den Konsumenten beispielsweise in den USA und in der Schweiz für 1000 Dollar füllen können.
Bei solchen Kaufkraftvergleichen schneidet die Schweiz regelmässig schlechter ab, wie Yngve Abrahamsen von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich sagt. «Weil Wohnungen in der Schweiz viel teurer sind als in den USA, muss man sich fragen, ob da nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden.»
Damit lässt sich laut Abrahamsen aber nicht der ganze Rückstand erklären. Für einen Teil sei nämlich auch die Zweiteilung der Schweizer Wirtschaft verantwortlich. Einer boomenden Exportindustrie mit Pharma-, Finanz- und Maschinenbranche stehe ein abgeschotteter Binnensektor gegenüber. Hier hinke etwa die Baubranche oder der Gastro-Sektor dem Ausland bei der Produktivität hinter her.
Working Poor als gesellschaftlicher Konsens
Weiterer Unterschied: In Branchen mit niedriger Produktivität sind die Löhne in der Schweiz vergleichsweise hoch. Auch in Tieflohnbranchen beträgt der Monatsverdienst in der Schweiz heute 3000 Franken. In den USA verdienen Kellnerinnen und Bauarbeiter deutlich weniger.
«Die Produktivität ist dort zwar hoch, aber das Einkommen reicht kaum zum Leben», erklärt Yngve Abrahamsen. Anders als in den USA herrscht in der Schweiz allgemeiner Konsens, dass Löhne in Branchen mit tieferer Produktivität einigermassen existenzsichernd sein sollten.
Dies drücke zwar auf die Produktivität, aber die Schweiz könne sich volkswirtschaftlich diese Haltung auch leisten. «Es ist eine politische Frage, ob wir diese Bereiche mit den Erfolgen im Export mitsubventionieren wollen», so Abrahamsen.
Lange Arbeitspensen
Auch bei der Produktivität pro Stunde ist die Schweiz im Vergleich mit den meisten europäischen Ländern nur im Mittelfeld. Norwegen und Finnland, aber auch Frankreich und Deutschland liegen vor der Schweiz.
Das hat aber mit den langen Arbeitszeiten in der Schweiz zu tun. Wer länger arbeitet, ist weniger produktiv, oder umgekehrt ausgedrückt: Wenn die Woche kürzer ist, steigt auch der Druck zu höherer Produktivität.
swissinfo und Agenturen
Gemäss ILO-Bericht sind die USA punkto Arbeits-Produktivität nicht nur immer noch an der Spitze, sie bauten ihren Vorsprung 2006 gar noch aus.
Den USA mit 63’885 Dollar folgten Irland (55’986), Luxemburg (55’641), Belgien (55’235) und Frankreich mit 54’609.
Bei der Produktiviät pro Stunde führt Norwegen die Rangliste an (37.99 Dollar), gefolgt von den USA (35.63) und Frankreich (35.08). Die Schweiz kommt auf 26.58.
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