Schweizer Tourismus mangelt es an Herz
Schweizer Tourismus-Experten plädieren für mehr Freundlichkeit und Emotionen im Tourismus, um in der Top-Liga bleiben zu können.
Dies ist die Schlussfolgerung des 83. Auslandschweizer-Kongresses in der Tourismus-Hochburg Interlaken, der ganz dem Thema Tourismus gewidmet war.
«Sind wir nicht manchmal zu unbeweglich und zu steif», fragte Jacques-Simon Eggly zum Ende des Auslandschweizer-Kongresses in Interlaken vor rund 400 Personen. «Tourismus im globalen Wettbewerb: Spielt die Schweiz noch in der Champions League?» war das Thema.
Eggly, Vizepräsident der Auslandschweizer-Organisation (ASO) und Nationalrat der Liberalen Partei, versuchte am Abend, die diversen Referate, Workshops und Diskussionen zusammenzufassen. «Flexibler und freundlicher werden», war für ihn eine der Schlussfolgerungen des Tages.
Eine Umstrukturierung im Schweizer Tourismus sei nötig, so Eggly weiter. «Wenn wir diese Anstrengungen unternehmen, werden wir vielleicht auch wieder ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis erreichen.»
Ogi verlangt mehr Emotionen
Alt Bundesrat Adolf Ogi gab eine emotional gehaltene Rede zur Bedeutung des Sports bei der Lösung von Konflikten. Für den Sonderberater des UNO-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden fehlt es im Schweizer Tourismus an der Begeisterung, die er im Sport oft erleben dürfe.
«Es braucht ein Umdenken», sagte Ogi gegenüber swissinfo. «Wir haben das schönste Land im Taschenformat. Aber wir haben die Emotionen abgegeben oder im Kühlschrank eingefroren.»
Zudem habe die Branche die Konkurrenz lange Zeit nicht angenommen. «Wir haben über die Österreicher gelacht, Witze gemacht. Und jetzt sind sie besser geworden.»
Der Schweizer Tourismus habe nur dann eine Chance, wenn er wieder auf Qualität setze, betonte Ogi.
Mehr Gastfreundschaft
«Die Gäste kommen wegen der Gastfreundschaft», sagte der Tourismusexperte Kurt Illi, langjähriger Verkehrsdirektor von Luzern, in der Podiumsdiskussion. Doch gerade in der Deutschschweiz habe man oft Mühe mit dieser Gastfreundschaft.
In diesem Bereich habe die Schweiz einen Nachholbedarf. Denn: «Ohne Herzblut haben wir keine Gäste mehr.» Bereits ein kleines Extra wie die Begrüssung durch den Hotelmanager etwa, genüge oft schon, meinte er.
«Wir sollten jedoch vorsichtig sein, immer nur zu kritisieren», antwortete Starkoch Anton Mosimann. Wichtig sei, dass der Gast «Value for money» erhalte, einen Wert für sein Geld. Man müsse «sich dem Gast annehmen», damit er sich willkommen fühle, betonte der Spitzenkoch aus London.
Felix Bieger, ehemaliger Manager des Fünfsternehotels Peninsula in Hongkong, plädierte für mehr Freundlichkeit im Umgang mit den Gästen. «Wie man in den Wald ruft, tönt es zurück.» Und Isabelle Aubert, Direktorin des internationalen Kongresszentrums in Genf ergänzte: «Man muss die Gäste gernhaben.»
Merz will Mehrwertsteuer vereinheitlichen
Finanzminister Hans-Rudolf Merz votierte in seiner Rede für mehr Kreativität, Cleverness und Flexibilität im Tourismus, um weiterhin zur Weltspitze zu gehören.
Ein Reizthema für die Hoteliers sei die Mehrwertsteuer (MwSt), sagte Merz. Sie führe zu grossem Aufwand.
Zwar profitierten die Hotels vom Sondersatz von 3,6 Prozent für Beherbergungs-Leistungen, «schwitzen aber Blut bei der Erstellung der Hotelrechnungen», weil sie dabei mit verschiedenen Mehrwertsteuer-Sätzen rechnen müssen.
Nun sollen die 25 Ausnahmen im Mehrwertsteuer-System abgeschafft und vereinheitlicht werden. Sein Departement werde die Vorlage noch diesen Winter in die Vernehmlassung geben. «Der Vorteil wäre, dass man sehr viel Administration über Bord werfen kann», sagte er gegenüber swissinfo.
Billiger oder besser
Jürg Schmid, Direktor von Schweiz Tourismus, umriss die Situation im Tourismus für die Schweiz mit den Worten: «Wer nicht billiger ist, muss besser sein.» Oder dann zumindest umgekehrt.
Schmid lobte zudem die «gute Zusammenarbeit» mit den Auslandschweizern, die oft in ihren Ländern Werbung für die Schweiz machen würden. «Die Auslandschweizer sind unsere treuesten und enthusiastischsten Kunden», betonte er gegenüber swissinfo.
«Die grösste Herausforderung im Schweizer Tourismus ist das Preisniveau.» Im Vergleich zu anderen Branchen könne der Tourismus kein Outsourcing vornehmen, um die Preise zu senken.
Trotzdem rechne Schweiz Tourismus in nächster Zeit mit einer jährlichen Zunahme der Ankünfte aus andern Ländern von rund 1,8 Prozent.
swissinfo, Christian Raaflaub, Interlaken
2004 wurden im Schweizer Tourismus 46 Mrd. Fr. direkt oder indirekt ausgegeben.
Die Schweizer Hotellerie hat eine Kapazität von 258’000 Betten.
65 Mio. Übernachtungen bringen die Schweiz, gemessen an der Einwohnerzahl, auf Platz 17 aller Länder.
45% der Gäste kommen aus dem Inland.
10,1 Mio. Besucher kommen aus dem Ausland.
Die Tourismusbranche beschäftigt 240’000 Personen (Jede 12. erwerbstätige Person in der Schweiz).
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