Schweizer Zuckerbäcker in Brasilien
Der Schweizer Xavier Odermatt hat seine Heimat verlassen, um die Welt zu entdecken. Jetzt lebt er als Konditor in Brasilien.
swissinfo hat den Auslandschweizer und seine Familie in seinem Haus, wo auch seine Konditorei ist, besucht.
Die kleine Konditorei befindet sich quasi versteckt in einem Haus im schönen Logo Norte-Quartier in Brasiliens Hauptstadt Brasilia. Nur ein kleines Schild weist darauf hin, dass an diesem Ort auch Pralinen, Schokoladetafeln und andere Köstlichkeiten aus Schokolade hergestellt werden.
In dem Haus wohnt Xavier Odermatt. Er öffnet, noch in seiner Arbeitsschürze, die Tür und begrüsst uns in perfektem Deutschschweizer Dialekt.
Das Haus erinnert in nichts an die Chalets in den Schweizer Alpen, wo Odermatt herkommt: Es ist grossräumig und weiss gestrichen. Die Regale im grossen Wohnzimmer sind mit brasilianischen Kunstobjekten dekoriert. Weit und breit keine Souvenirs aus der Schweiz.
Das einzige Erinnerungsstück aus der Schweiz hängt an einer Wand in Odermatts Konditorei, die sich im Untergeschoss des Hauses befindet: Ein grosses Poster mit Bergen und dem Vierwaldstättersee. «Das ist meine Heimat», sagt er stolz.
«Ich wollte nie in der Schweiz bleiben»
Xavier Odermatt, der in Stans geboren ist, einer Stadt mit weniger als 7500 Einwohnern, hat nie daran gedacht, am Ort seiner Eltern zu bleiben. «Schon als Kind war es mein Traum, wegzugehen und andere Dinge zu sehen», erinnert er sich.
Nach Abschluss seiner Konditor-Lehre blieb Xavier noch ein paar Jahre in der Schweiz. Dann verliess er seine Heimat, um in anderen Ländern zu arbeiten. Seine Odyssee führte ihn in Hotels nach England, Jamaika und Mexiko. Sein Traum wäre jedoch gewesen, eines Tages in die USA auszuwandern.
Doch das Schicksal wollte es anders. Eines Tages rief ihn ein in Mexiko lebender Schweizer Freund an und unterbreitete ihm ein Arbeitsangebot: Es ging um eine Stelle als Konditor für den südamerikanischen Ableger der US Hotel-Kette Hilton. Xavier Odermatt hatte die Wahl zwischen zwei Städten: Bogotá in Kolumbien oder São Paulo in Brasilien.
«Ich wusste nicht, wie es dort war. Das einzige, das ich wusste, war, dass die Leute in Mexiko Ausländer nicht allzu sehr mochten.»
Ankunft in Brasilien
Xavier Odermatt und seine Frau kamen im September 1971 in São Paulo an. «Das Erstaunlichste war für uns die Kälte in der Stadt», erinnert er sich.
Eine weitere Überraschung: «Das Temperament der Brasilianer, die uns nicht als Fremde betrachteten. Ich glaube, die Leute hielten uns für Italiener oder sonstige Immigranten, von denen es viele gibt in Brasilien.»
Zu Beginn sei es nicht einfach gewesen. Sogar in einem Luxushotel wie dem Hilton sei sehr viel improvisiert worden. Aber seine Erfahrungen in «noch chaotischeren Ländern» hätten es ihm erlaubt, sich den Improvisationen der Brasilianer anzupassen.
Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Brasilien erhielt Odermatt die Nachricht, dass er nun endlich in die USA emigrieren könne. Doch genau zu dieser Zeit herrschte in Brasilien die Epoche des «Wirtschaftswunders», eine Periode des grossen Wirtschaftswachstums.
Deshalb beschloss Xavier Odermatt, in Brasilien zu bleiben. 1973 ging er von São Paulo in die Hauptstadt Brasilia, wo ein anderer Auslandschweizer einen Gefährten zur Eröffnung einer Konditorei suchte.
Ein Land ohne Berge
Für einen, der in den Alpen geboren ist, war der erste Eindruck von Brasilia ein Schock. Die Vegetation in den Ebenen um die Hauptstadt herum glich eher afrikanischer Savanne als Bergen.
Aber Xavier Odermatt fühlte sich sofort wohl in Brasilia. «Was ich am meisten liebte, war die grossräumige Umgebung und das Gefühl, immer nahe der Natur zu sein, sogar mitten in der Stadt.»
Die ersten Schritte in Brasilia waren allerdings nicht leicht. Das Hauptproblem war der Mangel an Kapital.
«Doch es gelang uns dann, die Konditorei ohne Ausgaben für Maschinen und andere Apparate aufzubauen. Zusammen mit meinen beiden Mitarbeitern haben wir die ersten Torten und andere Süssigkeiten hergestellt», so Odermatt.
«Bei der Einweihung der Konditorei sind die Leute gekommen und haben alles gekauft. Sie haben den Laden richtig gehend leer geputzt!», erinnert er sich. Odermatt ist auch stolz darauf, der erste Konditor in Brasilia gewesen zu sein, der eine Schwarzwälder-Torte herstellte.
Zu dieser Zeit herrschte in Brasilien eine Militärdiktatur. «Behördenmitglieder bestellten zur Machtergreifung von General Ernesto Geisel 250 Torten bei uns. Unsere Geschäfte sprossen!», so der Auslandschweizer Konditor.
Ein eigenes Geschäft
Nach 15 Jahren Zusammenarbeit mit seinem Schweizer Gefährten beschloss Xavier Odermatt, sein eigenes Geschäft zu eröffnen. 1990 gründete er im Untergeschoss seines Hauses die Konditorei «Xocoarte». Damit verwirklichte er einen alten Traum: arbeiten, ohne aus dem Haus gehen zu müssen.
Odermatts Betrieb beschäftigt nur zwei Angestellte. Ein grosser Teil der Produktion bedient eine Konditorei-Kette, die zehn Geschäfte in Brasilia unterhält.
Der Schweizer Konditor verwendet klassische Produkte für seine Arbeit: Marzipan, Rahm, Schokolade. Er braucht aber auch lokale Produkte wie das amazonische Palmenöl «Cupuaçu», die Frucht «Jabuticaba» und sogar den «Cachaça», den traditionellen einheimischen Schnaps. Was ihm natürlich viel Sympathie der einheimischen Bevölkerung bringt.
Ostern ist für Odermatt die beste Absatzperiode. Er beginnt mit der Produktion bereits während des Karnevals. Im vergangenen Jahr gelang es ihm, allein in dieser Periode eine Tonne Schokolade-Produkte herzustellen. Seine Durchschnitts-Produktion beträgt sonst 400 Kilo im Monat.
Odermatt liefert seine Produkte nicht nur den Konditoreien in der Stadt, er verkauft sie auch in seinem eigenen Haus. «Der Kunde hat so die Möglichkeit zu schauen, wie wir die Schokolade-Köstlichkeiten herstellen und kann diese damit direkt kennen lernen», erklärt er.
Odermatt fertigt seine Produkte mit Callebaut-Schokolade an. «Diese Marke ist viel besser und feiner als die brasilianischen Marken. Das Wichtigste jedoch ist die Art und Weise, wie man die Schokolade flüssig macht.»
Vom Vater zur Tochter
In seiner Freizeit pflegt Odermatt seinen grossen Garten voller tropischer Pflanzen und Blumen. Im Garten hat es auch einen Mini-Zoo mit Affen, Kanarienvögeln, Hunden und Hühnern.
«In der Schweiz wäre es wohl schwierig, ein solch grosses Haus mit so einem riesigen Garten zu haben», sagt er. «Was mir hier am besten gefällt ist das wunderbare Klima – ohne die langen und harten Winter, die ich von Europa her kenne.»
Xavier Odermatt ist geschieden und hat zwei Töchter. Die eine ist Architektin und lebt in Barcelona. Die andere ist Pädagogin. Sie hat jetzt aber begonnen, das Geschäft des Vaters zu verwalten. Die Zukunft der Schweizer Konditorei in Brasilia ist also gesichert.
swissinfo, Alexander Thoele, Brasilia
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)
1971: Ankunft in São Paulo
1973: Umzug nach Brasilia
1990: Gründung der eigenen Konditorei «Xocoarte»
Durchschnittliche Schokolade-Produktion im Monat: 400 Kilo
Der Schweizer Konditor Xavier Odermatt lebt seit knapp 34 Jahren in Brasilien.
Seit 15 Jahren hat er eine eigene Konditorei in der Hauptstadt Brasilia. Er beliefert eine städtische Konditorei-Kette und verkauft selber seine Produkte.
Der in Stans geborene Auslandschweizer fühlt sich in Brasilien seit Jahren wohl, wo er erfolgreich seiner beruflichen Tätigkeit nachgeht. Vor allem geniesst er dort das Klima des Landes und seinen grossen Garten mit tropischen Pflanzen und einem kleinen Zoo.
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