Schweizer zwischen Rhein und Elbe
In Deutschland lebt die wirtschaftlich wohl wichtigste "Kolonie" von Auslandschweizern weltweit.
Allein in Hamburg, wo kürzlich die Auslandschweizer-Organisation (ASO-Deutschland) tagte, leben über tausend Schweizer.
Ein Hamburger Politiker formulierte an der Jahrestagung der Auslandschweizer-Organisation Deutschland (ASO) in der Hansestadt den Unterschied zwischen der Schweiz und seiner Stadt mit den folgenden Worten: Hamburg zeichne sich aus durch niedrige Berge und hohe Steuern, die Schweiz durch hohe Berge und niedrige Steuern.
Polizeizusammenarbeit zeigt Vertrautheit
Neben diesen «ewigen Wahrheiten» sehen sich die Schweizer in Deutschland, die oft schon seit mehreren Generationen zwischen Rhein und Elbe zu Hause sind, jetzt mehr als früher mit unterschiedlichen Interessen ihrer alten und neuen Heimat konfrontiert.
Die bilateralen Probleme zwischen Deutschland und der Schweiz wurden an der Jahrestagung der Auslandschweizer-Organisationen (ASO-Deutschland)zwar gelegentlich schöngeredet, aber dennoch nicht ausser Acht gelassen. Es geht um die tiefgehende Verstimmung rund um den Flughafen Zürich, den deutsche Ärger um das Bankgeheimnis sowie die Verkehrs- und Transitansprüche.
Immerhin: «Der Umstand, dass die Schweiz deutsche Polizei im Land hatte, um während dem G-8-Gipfel die Sicherheits-Situation zu gewährleisten, zeigt die Vertrautheit im Umgang der beiden Nachbarländer», sagte Werner Baumann, Schweizer Botschafter in Deutschland, in seiner Rede am Galaabend der ASO-Jahresversammlung vor rund 250 Personen.
Aussenhandel allein über Hamburg: Zirka 750 Mio. Franken
Die Jahrestagung in Hamburg war geprägt von den Sorgen rund um die wirtschaftlichen Strukturproblemen und Konjunkturschwächen, die seit einiger Zeit sowohl das grosse Deutschland als auch die kleine Schweiz drücken. Die Schweiz ist stark vom Handelspartner im Norden abhängig.
Allein in Hamburg, wo gut tausend Schweizer leben, erreichte 2002 der Aussenhandel mit der Schweiz gemäss dem Hamburger Bürgermeister Ole von Beust rund eine halbe Milliarde Euro (zirka 750 Mio. Franken). Denn Schweizer Firmen zählen zu den wichtigsten Kunden des modernen (Container-)Hafens an der Elbemündung.
Alte Traditionen
Hamburg gehörte vor 160 Jahren zu den ersten Orten in Deutschland, an denen der damals neue Bundesstaat Schweiz ein Generalkonsulat eröffnete. Heute gehört die Hansestadt neben Berlin und München zu den deutschen Lieblingsdestinationen von Schweizer Touristen. So feierte gleichzeitig mit der ASO-Jahrestagung der Hamburger Schweizer Verein sein immerhin 120-jähriges Bestehen.
Mehr Bedürfnis nach politischer Partizipation
Seit mehr als zehn Jahren nutzen Auslandschweizer weltweit ihr aktives und passives Wahlrecht, das sie früher nicht in dieser Weise besassen. «82’000 Schweizer haben sich bisher registrieren lassen», erinnerte alt-Nationalrat und ASO-Präsident Georg Stucky an der Tagung.
Und jedes Jahr gibt es 10’000 Auslandschweizer mehr, zumindest sind das die registrierten. Doch befürchten die einerseits weltoffener, andererseits konservativer als die Inlandschweizer denkenden Auslandschweizer einen Abbau der konsularischen Dienste und ihrer Informationsquellen.
Künftig ohne swissinfo und Konsulate?
Stucky zeigte anhand von Grafiken auf, dass die Staatsquote der Schweiz im europäischen Vergleich seit Anfang der 90er Jahre sehr stark zugenommen hatte. Diese Zunahme der Staatsausgaben hat zum momentanen Sparzwang des Bundes geführt.
Dem Sparzwang könnte nun auch die Infoquelle swissinfo/Schweizer Radio International zum Opfer fallen. Dieser «Online-Zugang zur Schweiz» wird weltweit zunehmend genutzt. Von den Auslandschweizern jedoch wird swissinfo benötigt.
Die deutsche Auslandschweizer-«Kolonie» reagiert deshalb konsterniert auf diese Abbau-Perspektive, sagte die ASO-Deutschland-Präsidentin Elisabeth Michel. Hinter ihr stehen die von der ASO vertretenen 39 Schweizer Vereine, die rund 3500 Mitglieder umfassen. Doch die Schweizer-«Community» insgesamt in Deutschland zählt 70’000 Personen.
Zwei Schlusslichter
Auf die wirtschaftlichen Gewichte ging an der ASO-Tagung Thomas Straubhaar ein. Doch ihm ging es eher um die beidseitigen Bleigewichte. Straubhaar, früher Uni Bern, präsidiert das bekannte Hamburger Institut für Wirtschaftsforschung HWWA. Sowohl Deutschland als auch die Schweiz zeichnen sich aus seiner Sicht durch eine geringe Dynamik und eine ausgeprägte Selbstzufriedenheit der Bevölkerung aus.
Nur figuriere die Schweiz seit Jahren konstant als Schlusslicht in den Statistiken der OECD, wenn es um Wirtschaftswachstum geht. Deutschland schneide dagegen – wenn auch nicht viel – besser ab.
Schweizer sind statistisch fleissiger
Andererseits seien die Schweizer statistisch fleissiger, sie arbeiten pro Jahr rund 250 Stunden mehr als die Deutschen. Sie arbeiten auch länger: Rund 70% der Schweizer im Alter zwischen 55 und 64 Jahren sind erwerbstätig – in Deutschland beträgt dieser Anteil nur 38%.
Den Arbeitsmarkt in der Schweiz erachtet Straubhaar als pragmatischer als den deutschen. Das schweizerische Arbeitsrecht sei momentan derart attraktiv für deutsche Unternehmer, dass sie ihre eigenen deutschen Angestellten in der Schweiz nach Landesrecht einstellen und sie dann wieder zurück auf die deutschen Absatzmärkte schicken.
Stagnation auch bei Schweizer Vereinen
Nicht nur die Wirtschaft, auch das Vereinsleben stagniert: Als Präsidentin der Dachorganisation der Schweizer Vereine ordnet Elisabeth Michel die Vereinssituation zwischen Kontinuität und Stagnation ein. «Im vergangenen Jahrzehnt reduzierte sich die Anzahl der Vereinsmitglieder um rund sechs Prozent», bedauert sie.
Für Schweizer in Deutschland schwinden die Gründe, so Michel, einem Schweizer Verein beizutreten. «Der Weg in die alte Heimat ist kurz geworden, Beratung und Unterstützung sind auch ohne Vereinsmitgliedschaft erhältlich, sogar kostenlos. Das deutsche Sozialsystem funktioniert weitgehend, es gibt bilaterale Abkommen.»
Und der Schweizer Pass alleine verbinde nicht mehr genug. Elisabeth Michel setzt auf die gutgeführten Schweizer Vereine, die helfen, dass neugegründete oder aufzubauende Vereine auf die Beine kommen.
Als eine besondere Herausforderung hat sich die Aufgabe erwiesen, die Vereine zusammen mit der Dachorganisation in ein einigermassen einheitliches Gebilde im Internet zusammenzuschweissen. Zwar seien 18 von der 39 Vereinen im Web, aber mit einem mehrheitlich veralteten Angebot.
Flutkatastrophe im Osten
Dennoch können die Schweizer Vereine nützlich sein – in der Not beispielsweise. Der ASO-Hilfsfonds, so Michel, sei durch die Flutkatastrophe im Raum Dresden stark gefordert worden. ASO Deutschland und die Vereine hätten namhafte Unterstützungssummen, Einzelspenden und Assistenz organisiert, zusammen mit dem Generalkonsulat in Dresden.
swissinfo, Alexander P. Künzle
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