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Schweizerin gründet Fitness-Gemeinschaft in Pakistan

Alessandra Bessler während einem ihrer Fitness-Kurse in Pakistan. coreclass.net

Es ist etwa 45 Grad heiss, aus dem Generator stossen Rauchschwaden in den wolkenlosen Himmel über der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Etwa 20 Leute strecken derweil ihre Beine unisono in die Luft und schwitzen dabei heftig.

«Klopfen, klopfen, hochheben und wieder senken», hallt eine Stimme durch das Haus und treibt die Gruppe durch ein Konditionsprogramm zur Stärkung wichtiger Muskelbereiche, vor allem im Becken- und Rumpfbereich – unterlegt mit leicht funky anmutender Musik.

Die Fitnesstrainerin Alessandra Bessler kam im August 2009 aus New York in die pakistanische Hauptstadt. Sie suchte Hersteller für ihre Freizeit- und Sportbekleidungs-Kollektion, mit dem Fokus auf umweltfreundlicher Produktion.

Sie hatte auch über mehr als 15 Jahre Erfahrung als Trainerin in der Fitness-Industrie und fand rasch heraus, dass es in Islamabad kaum Möglichkeiten gab, zu trainieren. So suchte sie die Stadt nach Matten, Gewichten und Übungsbällen ab und richtete zu Hause ein improvisiertes kleines Fitness-Studio ein.

«Ich hatte am Anfang keine Ahnung, wohin dies führen könnte. Doch weil das Interesse an meinen Stunden rasch anstieg, gab ich den Gedanken an ein Wohnzimmer bald einmal auf», sagt Bessler im Gespräch mit swissinfo.ch.

Zuerst hatten drei Personen ihren Kurs besucht. Doch das Angebot sprach sich schnell herum, und Bessler hatte bald einmal Dutzende von Interessierten, die sich in ihre Wohnung drängten, um fit zu werden.

Aus den Nähten geplatzt

«Unser Wohnzimmer platzte aus sämtlichen Nähten. Manchmal mussten einige der Leute, die zum Training erschienen, ihre Übungen im Korridor oder unter den Treppenstufen absolvieren.»

Nur einige Monate nach dem Start des Kursangebotes hatte sich «Core Fit» für viele Menschen in Islamabad – Pakistani und Ausländer, Frauen und Männer – fast zu etwas wie einer Religion gemausert.

«Dass es Alessandra gelungen ist, Leute hier in Islamabad, wo viele Ausländer aus Sicherheitsgründen in ihren Bewegungen sehr eingeschränkt sind, zum Fitness-Training anzuregen, war eine grosse Leistung», erklärt Ali Mehdi, der regelmässig zu den harten einstündigen Trainings erschien.

«Als pakistanischer Mann war ich anfänglich sehr skeptisch. Doch als ich all die anderen sah, die es auch taten, machte ich weiter.» Ali und seine Ehefrau Danish verpassten kaum eine Trainingsstunde. Nach einigen Monaten brachten sie gar ihre 14 Jahre alte Tochter Mahaam dazu mitzumachen.

Für alle

Das Angebot von Bessler basiert auf der populären Pilates-Methode und ist ein Muskel-Training, mit dem vor allem der Körper gestrafft und der Energiehaushalt verbessert werden sollen.

«Man lernt, das eigene Körpergewicht als Widerstand zu nutzen, die Muskulatur des Standbeins und des Gesässes zur Verbesserung der Körperhaltung und der Ausrichtung. Dazu kommen Bodenübungen zur Stärkung der Rumpfmuskulatur und der Wirbelsäule. Jeder Kurs umfasst auch sportliches Konditionstraining und Verletzungsprävention. Das können alle machen und man braucht nur sehr wenig Ausrüstung dafür», sagt Bessler zur Philosophie ihrer Stunden.

«Trainieren ist für viele Menschen in Pakistan noch etwa Neues, im Vergleich mit Europäern haben wir noch einiges nachzuholen. Alessandras Klassen haben uns gezeigt, dass Sport für Geist und Körper gut ist. Sie ist sehr gut darin, Leute zu motivieren», erklärt Danish.

Doch alles Gute hat einmal ein Ende. Und als ihre Kleider-Kollektion diesen Sommer schliesslich stand, zogen Bessler und ihr Mann in die Schweiz.

Weiter ziehen

Besslers Wegzug aus Pakistan hinterliess im Leben vieler Menschen ein Loch. Doch bevor sie das Land verliess, hatte sie für ihre Anhängerschaft in Islamabad noch eine DVD produziert.

«Wir vermissen sie sehr, denn es braucht jemanden wie Alessandra, um eine Gruppe wie diese zusammen zu halten», erklärt Mehdi. Es sei einfach nicht das Gleiche, die Trainings ohne sie durchzuführen.

«Es ist grossartig, Alessandra in meinem Wohnzimmer zu haben, zu hören, wie sie mir sagt, auf meine Knie zu klopfen, obwohl sie jetzt weit weg in der Schweiz ist», sagt Rosemary Willey-Al’Sanah. Sie arbeitet in Peshawar im Norden Pakistans für das UNO-Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) und hatte jeweils Besslers Stunden besucht, wenn ihre Arbeit sie in die Hauptstadt führte.

«Core Fit» war ein sehr wichtiger Teil meines Lebens in Pakistan geworden, denn die Sicherheitslage im Land, vor allem in Peshawar, ermöglicht es uns normalerweise kaum, einem Training nachzugehen», erklärt Willey-Al’Sanah.

Bessler, die sich jetzt an ihr neues Leben in Lausanne gewöhnt, hofft, mit ihrer umweltfreundlichen Kollektion unter dem Namen AMB Design in der Schweiz eine Nische zu finden. Zu der Kollektion gehören Leggings, Hosen (Bootcut) und verschiedene Trägertops.

Und wie in Pakistan, versucht sie auch in Lausanne, eine Anhängerschaft für ihr Training zu finden. Die erste Lektion in ihrem Wohnzimmer hat sie bereits hinter sich. «Es war fast so etwas wie ein Déjà-vu», erklärt sie.

Alessandra Bessler hat seit ihrer Kindheit aktiv Tanz und Leistungssport betrieben. Durch ihre Verbindungen zu Tanz, Bewegung und körperlichen Herausforderungen stiess sie vor 15 Jahren auf die Lotte Berk-Methode und später auf Core Fusion, welche sie in Connecticut und New York unterrichtete.

Nachdem sie 2009 nach Islamabad, Pakistan, umgezogen war, entwickelte und schuf sie «Core Fit and Flow». Zwei Jahre, nachdem sie ihr erstes Studio bei sich zu Hause eröffnet hatte, bot sie reguläre Klassen an, die pro Woche von mehr als 150 Personen besucht wurden.

Parallel dazu entwickelte sie seit 2009 unter dem Namen AMB Design LLC. eine umweltfreundliche Freizeit- und Sportbekleidungslinie. Mit Produktionsstätten im Fernen Osten und in Pakistan exportiert Bessler ihre Kollektion zurzeit nach Nordamerika und fängt an, auf den europäischen Markt vorzustossen.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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