seco-Chef drängt auf Reformen
Der Direktor des Staatssekretariates für Wirtschaft (seco), Jean-Daniel Gerber, fordert weitgehende Reformen, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Im Gespräch mit swissinfo sagt Gerber, dass die fehlende Konkurrenz im Binnenmarkt eines der Hauptprobleme der Schweizer Wirtschaft sei.
Reformen im sozialen Sektor seien am dringendsten, sagte der Staatsekretär am Freitag vor den Medien. Die Überalterung sowie die Schwäche im Wirtschaftswachstum gefährdeten die Sozialwerke in der Schweiz.
Längerfristig brauche die Schweiz ein Wachstum von mindestens 2%.
Gerbers Ausführungen folgten auf die Meldung des seco, wonach im Dezember 2004 über 158’000 Personen in der Schweiz arbeitslos waren, was einer Quote von 4% entspricht.
swissinfo: Sie sagen, dass die Probleme in der Wirtschaft hausgemacht sind. Was genau verstehen Sie darunter?
Jean-Daniel Gerber: Wie Sie sehen, arbeitet unsere Exportwirtschaft im internationalen Vergleich sehr erfolgreich und ist konkurrenzfähig. Dagegen gibt es im Binnenmarkt zu wenig Konkurrenz. In den vergangenen 20 Jahren wurden diesbezügliche Reformen vernachlässigt.
Dazu kommt das Gesundheitssystem und die Altersvorsorge, die immer mehr kosten. Ein immer grösserer Anteil an unserem Einkommen muss zur Finanzierung dieser Systeme aufgewendet werden. Hier sind Reformen notwendig.
Diese sollten dahin gehen, dass die selben Leistungen günstiger angeboten werden.
swissinfo: Wer denn hemmt die Schweizer Wirtschaft?
J-D.G: Praktisch all diejenigen, die vom heutigen System profitieren. Sobald Reformen vorgeschlagen werden, kommen diese Kreise mit einer Lawine von Begründungen, warum Reformen nicht möglich seien. Es ist deshalb sehr schwierig, diese Kreise von Reformen zu überzeugen.
swissinfo: Veränderungen schmerzen. Es ist doch verständlich, dass die Leute davor Angst haben.
J-D.G: Reformen treffen die Leute. Es sind aber andererseits gerade diese Leute, die davon profitieren. Ich sage, es profitieren mehr Leute von den Reformen.
Der andere Punkt: Es normal, dass Leute unter Reformen zu leiden haben, dies aber nur für kurze Zeit. Dann finden sie wieder eine Stelle und können weiter arbeiten. Wenn dagegen mit den Reformen zugewartet wird, werden die Leute unter dem Stillstand gar länger zu leiden haben, als bei Reformen, die immer einen Anpassungsprozess nach sich ziehen.
swissinfo: Wie besorgt sind Sie über die Situation auf dem Arbeitsmarkt, nun da die Arbeitslosigkeit 4% erreicht hat?
J-D.G: Selbstverständlich sorge ich mich um jede Frau und jeden Mann, der von der Arbeitslosigkeit betroffen ist. Das ist sehr oft eine persönliche Tragödie. Wenn aber die Wachstumsrate der Schweizer Wirtschaft bei guten 1,8% bleibt, bin ich überzeugt, dass die Wirtschaft in Zukunft wieder Leute einstellen wird.
swissinfo: Viele in der Schweiz denken, dass sich die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder negativ auf die einheimischen Arbeitnehmer auswirken wird. Wie sehen Sie das?
J-D.G: Die Befürchtungen mögen kurzfristig berechtigt sein. Mittelfristig sind sie es nicht. Schweizer Unternehmen müssen auf dem Markt konkurrenzfähig sein. Das bedeutet, dass sie ausländische Arbeitskräfte brauchen. Bereits jetzt ist einer von vier Arbeitnehmern Ausländer.
Die Arbeitnehmer in den neuen EU-Ländern sind sehr gut ausgebildet und wenn die nicht in die Schweiz kommen können, dafür aber nach Deutschland, Italien, Frankreich oder Österreich – alles Konkurrenzländender Schweiz – wird sich das negativ auf die Schweizer Wirtschaft auswirken.
Dazu kommt, wenn wir den Arbeitsmarkt für diese Länder nicht freigeben, werden sie ihre Märkte nicht für Schweizer Produkte öffnen. So verlagern die Unternehmen ihre Arbeitsplätze ins Ausland. Sie gehen dorthin, wo der Markt ist. Das würde sich negativ auf die Arbeitslosenzahl in der Schweiz auswirken.
nfo: Warum sollte die Schweiz die Bilateralen II mit der EU unterstützen?
J-D.G: Die Gefahr einer Ablehnung der Bilateralen II liegt darin, dass auch die Vereinbarungen in den ersten bilateralen Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit den «alten» Mitgliedsländern der EU hinfällig werden könnten. Wir würden dann den wichtigen Arbeitsmarkt EU verlieren.
Das hiesse, Schweizerinnen und Schweizer hätten keine Möglichkeit mehr, in der EU zu arbeiten, Studenten fänden keinen Studienplatz mehr. Das würde sich negativ auf die Schweiz auswirken.
swissinfo: Sie sind nun seit April in ihrem Amt. Was haben Sie in dieser Zeit erreicht?
J-D.G.: Wichtig war mir, meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Optimismus anzuhalten. Sie sollen sehen, dass es in der Schweiz Möglichkeiten zu Veränderungen und Reformen gibt. Dazu predige ich überall, dass wir jetzt die notwenigen Reformschritte machen sollten.
swissinfo: Gäbe es einen Hauptappell an die Schweizerinnen und Schweizer zur Notwendigkeit von Reformen, wie würde der lauten?
J-D.G.: Was heute auf den Weltmärkten geschieht, ist für die Schweiz keine Bedrohung, sondern eine Chance. Also packen wir sie!
swissinfo-Interview: Robert Brooks
Das Staatsekretariat für Wirtschaft (seco) hatte Recht behalten mit seiner Prognose für ein Wirtschaftswachstum für 2004 von 1,8%.
2005 soll die Arbeitslosigkeit auf 3,4% zurückgehen. Dazu würde es aber ein Wachstum von 2% brauchen.
Die Wachstumsprognose für 2005 musste im vergangenen Oktober schon von 2,3 auf 2,0% korrigiert werden.
Dies wurde mit der schleppenden Konjunktur im Ausland, namentlich Deutschland – dem grössten Handelspartner der Schweiz – begründet.
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