Seitwärts im 2. Börsenhalbjahr
Im zweiten Halbjahr ist die Schweizer Börse in einer ausgeprägten Seitwärtsbewegung gefangen geblieben. Die kleineren Werte gaben den Ton an.
Der schwache Dollar setzt den Gewinn- und Kurserwartungen zu. Wachstum gab es zwar, zusätzliche Jobs jedoch kaum. Die Industrie lagert aus.
Das zweite Börsenhalbjahr begann im Juli auf einem SPI-Indexstand von 4150 Punkten. Dieser befand sich seit dem Frühling in einer Abwärtsbewegung.
Seither pendelt der Indexstand zwischen 3950 und 4200, insgesamt leicht nach oben. Für die noch verbleibenden Dezember-Tage schätzt Lorenz Burkhalter von der Burkhalter Asset Management, dass sie «im Zeichen von Window-Dressing sprich Kurspflege stehen werden».
US-Wahlen, Erdöl und Nicht-Zinswende
Seit dem Sommer war der Börsenverlauf geprägt von den anstehenden US-Präsidentschaftswahlen, den Rohstoff- und Ölpreisen, dem schwachen Dollar, dem Wachstum ohne neue Jobs und der Nicht-Zinswende.
Fast alle Beobachter hatten die Zinswende im Jahr 2004 erwartet. Doch sie sollte nicht kommen – im Gegenteil. Dabei schwächte sich der Dollar dermassen ab, dass die Gewinnerwartungen für die Schweizer Exporteure bis weit ins kommende Jahr nach unten revidiert wurden. Schweizer Pharma- und Nahrungsmittelwerte spüren dies besonders.
Der schwache Dollar dürfte für seinen Teil auch an der Erdölhausse mitschuldig sein, schätzt Burkhalter gegenüber swissinfo: «Die OPEC-Länder denken in ihren eigenen Währungen, so dass bei schwachem Dollar der Preisdruck nach oben noch höher ausfällt.»
Die Dollarschwäche schliesslich sei auch der Grund, weshalb die Schweizer Börse die nach der Wiederwahl von Präsident George W. Bush einsetzende Aufwärtsbewegung von Wall Street nicht nachvollzog, sagen Börsenkenner.
Aufschwung ohne Begeisterung
Ein weiterer Grund für die stark ausgeprägte Seitwärtsbewegung der Schweizer Börse liegt im «Aufschwung, der niemanden begeisterte», wie die Bank Julius Bär schreibt.
Zwar wuchs die Weltwirtschaft 2004 «wie seit Jahrzehnten nicht mehr», so die Bank Bär, doch ergaben sich daraus zahlreiche Widersprüche.
Erstens entwickelte sich das Wachstum weltweit stark unterschiedlich, in der Eurozone jedenfalls nur schwach. Zweitens reagierten die Arbeitsmärkte in den Industrieländern nicht darauf – Ökonomen sprechen von «jobless growth», von Wachstum ohne Beschäftigungswirkung.
Hinter diesem Widerspruch stehen die Auslagerungs-Bemühungen der Wirtschaft. Dies führt zu verhaltenem Konsum und lässt die Börsen seitwärts tendieren.
Solche unvollendeten globalen Anpassungsprozesse bewegten bisher vor allem Globalisierungs-Kritiker. Nun scheinen sie auch den Finanzplatz zu verunsichern.
Künstlicher Aderlass: Spekulanten steigen aus
Die sich abzeichnende Wachstumsverlagerung in Richtung Dritte Welt mobilisiert auch die Beschäftigung dort. Dafür stagnieren Arbeitsmärkte und Kaufkraft in den alten Industrieländern.
Anscheinend verliert darob auch die Schweizer Börse selbst an Reiz. In der Schweiz zählt man inzwischen nur noch etwas über eine Million Aktionäre. Laut dem Swiss Banking Institute der Universität Zürich sind in den letzten vier Jahren rund 600’000 private Anleger völlig aus dem Medium Aktie ausgestiegen.
Der Börsianer Burkhalter bestätigt dies, sieht darin jedoch nichts Negatives. «In der zweiten Hälfte der Neunziger-Jahre war die Anzahl Aktionäre stark angeschwollen – Leute, die teils nicht an die Börse gehören, weil sie zu spekulativ eingestellt sind.»
Kleine und Mittlere tonangebend
Im zweiten Halbjahr wurden die so genannten Grosskapitalisierten, also die Schweizer Blue Chips, an der Börse ziemlich vernachlässigt. Dafür gaben die Kleinen und Mittleren den Ton an: Phonak, Geberit oder Ypsomed gehören dazu.
Ebenfalls eine gute Figur machte der mittelgrosse Milchverarbeiter Emmi mit seinem Börsengang im Dezember. Dagegen erlitt die ABB-Aktie aufgrund eines weiteren US-Gerichtsentscheids einen Preisdämpfer.
Bewegung ist auch in den traditionellen Industriewert von Roll gekommen. Eine Investorengruppe kaufte Optionen auf eine vorläufig starke strategische Beteiligung.
Insgesamt wird das gesamte Börsenjahr 2004 von Börsenkennern als recht eigenartig eingestuft. Gute und schlechte Einzelaktien differierten in ihrer Wertentwicklung nur wenig – eine Entwicklung, wie man sie an der Börse seit langem nicht mehr sah.
Aussichten für 2005
Ökonomen sind sich bezüglich Zinswende für 2005 weniger sicher als für 2004. Aus diesem Grunde hatten 2004 sehr viele Anleger Obligationen gekauft, als sie aus den Aktien ausstiegen.
Damit stieg aber der Preis dieser Festverzinslichen, was die Renditen nochmals tiefer sinken liess. 2004 war demnach kein Obligationenjahr.
Das Beratungs-Unternehmen Merill Lynch sagt nun aufgrund einer jüngst gemachten Umfrage voraus, dass auch 2005 Aktien lukrativer als Obligationen ausfallen werden.
Burkhalter sieht die Aktien-Aussichten für 2005 «verhalten positiv». Falls es zu einem Jahresend-Rallye käme, würde damit viel vom Wachstumspotenzial 2005 vorweg genommen.
Die Wachstumsbefürchtungen für 2005 seien wenig begründet, sagt der Börsenspezialist. Nur selektiv müsse man sein: Wolle man Aktien kaufen, müsse man vermehrt darauf achten, bei welchen Unternehmen man sich engagiere.
swissinfo, Alexander Künzle
Der SMI-Index umfasst 26 Titel, die als Schweizer Blue Chips gelten (von ABB bis Zurich Financial Services).
Der SPI-Index umfasst alle Schweizer Aktien, nach 13 Branchen geordnet (von Banken bis Versicherungen).
Der SNMI-Index umfasst eine Liste von 14 Unternehmen aus dem Bereich «Neuer Markt Schweiz». Dazu gehören Titel von Actelion bis Think Tools.
Als nichtkotierte Aktien und an der Berner Börse gehandelte Aktien sind weitere 20 Titel aufgeführt (von der BLS Lötschberg-Bahn bis zur Regionalbank Solothurn).
Mitte Dezember hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins unverändert bei 0,75% belassen (Zielband des Drei-Monats-Libor).
Sie sieht einen geringeren Druck auf die Teuerung als noch vor drei Monaten, wegen Dollarschwäche und nachlassender Konjunktur.
Im Juni und im September 2004 hatte die SNB die Zinsen leicht erhöht.
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