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Sihlcity oder die «kleinste Grossstadt der Schweiz»

Luftaufnahme von Sihlcity am Rande des Zürcher Quartiers Wiedikon. (sihlcity.ch)

Auf dem Gelände einer ehemaligen Papierfabrik im Zürcher Quartier Wiedikon ist ein neuer Stadtteil entstanden: Sihlcity.

Sihlcity ist eine für die Schweiz einmalige Kombination aus Einkaufs- und Unterhaltungszentrum – der modernste Konsumtempel des Landes.

«Ob wohnen, arbeiten, einkaufen oder sich vergnügen – Sihlcity am südlichen Stadtrand bietet auf 100’000 Quadratmetern Shopping-Genuss, gastronomische Highlights, extravagante Wohnungen, Businessflächen und Kultur.»

So preist Zürich Tourismus, oder besser «zürich downtown switzerland» den neuen Stadtteil an. Alles in allem «eine urbane Idee, innovativ umgesetzt».

In Sihlcity ist das Ineinanderfliessen von bestehender und moderner Architektur sichtbar. Neben neuen Bauten behalten einige alte Fabrikgebäude ihren angestammten Platz. So zum Beispiel der hohe Fabrikkamin: einst das Wahrzeichen der Sihl Papierfabrik, nun das unübersehbare Wahrzeichen von Sihlcity.

Die Realisierung der vom bekannten Architekten Theo Hotz entworfenen Sihlcity kostet die Miteigentümerschaft rund 620 Mio. Franken. Diese besteht aus verschiedenen von der Credit Suisse verwalteten Immobilienfonds sowie einer Immobilien-Investgesellschaft. Es wird mit 40 Mio. Franken jährlichen Mieteinnahmen gerechnet.

Eine Stadt in der Stadt

Sihlcity umfasst rund 80 Geschäfte, 13 Gastronomiebetriebe, ein Multiplexkino mit 10 Sälen, ein Kulturhaus, eine Disco, einen Wellnessbereich, ein Hotel mit 132 Zimmern sowie Dienstleistungsflächen.

Zur Idee moderner Urbanität gehören verschiedene Nutzungsformen. So wurde auch der Wohnanteil nicht ganz vergessen. Mit 16 Stadtwohnungen fällt der allerdings eher bescheiden aus. Nachbarn befürchten deshalb, dass Sihlcity sich abends in eine Geisterstadt verwandeln könnte.

Die «Stadt in der Stadt» ist sehr gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen: S-Bahn, zwei Tramlinien, zwei Buslinien und ein Nachtbus.

Negative Emissionen

Sihlcity rechnet mit täglich 20’000 Besuchern – eine hohe Zahl, wenn man den Vergleich mit den 45’000 Bewohnern des Quartiers Wiedikon macht, an dessen einer Ecke der neue Stadtteil steht.

Auch der Präsident des Quartiervereins Wiedikon, Laurenz Styger, findet die erwartete Besucherzahl etwas hoch angesetzt. «Natürlich wäre dies für die Interessen der Geschäfte in Sihlcity gut», sagt er gegenüber swissinfo.

Obwohl Styger – er war Mitglied der Sihlcity-Begleitkommission – die «Stadt in der Stadt» ein schönes Projekt findet, befürchtet er wesentlich mehr Verkehr für das Quartier Wiedikon. «Besonders weil auch relativ wenig Parkplätze (850) ausgehandelt werden konnten.» Wenn diese ausgelastet seien, würden viele Automobilisten Parkplätze im Quartier suchen.

Wenn Sihlcity Erfolg habe, würden sich darum herum neue Firmen niederlassen. «Ich kann mir vortstellen, dass die Wohnqualität im Quartier um Sihlcity wegen der Emissionen, die ein solches Zentrum mit sich bringt, leiden wird», so Styger weiter. «Die Mietpreise werden deshalb stabil bleiben und nicht in die Höhe schnellen, wie das von Quartierbewohnern befürchtet wird.»

Ein Konsumtempel

Shoppen auf der Verkaufsfläche von 40’000 Quadratmetern wird als Erlebnis zelebriert. Der Mix der Geschäfte ist vielfältig.

Dabei sind auch ausländische Firmen präsent: das deutsche Modehaus Peek & Cloppenburg für eine zahlungskräftige Käuferschaft, die beiden schwedischen Modegeschäfte Filippa K und The Shirt Factory, Palmers aus Österreich mit Dessous und Unterwäsche oder Möve aus Deutschland mit Wohntextilien und Accessoires.

Viel Platz nehmen von Schweizer Seite die Coop-Betriebe mit dem Megastore und dem Warenhaus ein. Die Migros ist in Sihlcity nicht vertreten und hat das Feld ihrer Konkurrentin überlassen. Der Grund: Die Migros betreibt seit Jahren ganz in der Nähe im Brunaupark erfolgreich einen Super- und Hobbymarkt sowie ein Gartencenter.

Hilfe von oben

Falls sich trotz all dieser Angebote bei den Konsumenten der Seelenfrieden nicht einfinden sollte, gibt es in Sihlcity auch noch das: Der Konsumtempel verfügt über eine eigene Kirche mitsamt ökumenischem Seelsorgeangebot.

Die drei Geistllichen Guido Schwitter, Martin Bühler und Jakob Vetsch sind abwechslungsweise den ganzen Tag für Gespräche da, mit Angehörigen aller Religionen.

Sihlcity war eine Zangengeburt

Auf dem heutigen Areal von Sihlcity war zuerst ein Bürokomplex geplant. Die Karl Steiner AG entwarf 1980 im Auftrag der Sihl Papier die Überbauung Utopark, die 1986 vom freisinnigen Hochbaudepartements-Vorsteher Hugo Fahrner gutgeheissen wurde.

Nur eineinhalb Jahre später lehnte die neu gewählte sozialdemokratische Nachfolgerin von Fahrner, Ursula Koch, das Baugesuch für den Utopark ab. Grund: der sog. Ästhetikparagraph des Planungs- und Baugesetzes der Stadt Zürich.

Obwohl die Steiner AG von allen Instanzen Recht erhielt, dauerte es bis 1999, bis das Projekt Utopark definitiv bewilligt wurde.

Zu dieser Zeit sah die Firma indessen auch ein, dass ein reiner Bürokomplex keine wirtschaftliche Chance mehr hatte. Deshalb kam sie zum Schluss, dass nur ein neues Quartier mit breit gemischter Nutzung und 24-Stunden-Belebung machbar ist: Sihlcity war geboren.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

Sihlcity: 100’000 m2 Nutzfläche: 13 Gastrobetriebe, 80 Läden, 1 Kino mit 10 Sälen, 1 Hotel mit 131 Zimmern, 16 Wohnungen, 24’000 m2 Bürofläche und vieles mehr.

Sihlcity erwartet täglich 20’000 Besucher.

60% sollen mit dem öffentlichen Verkehr anreisen; für die anderen gibt es 850 Parkplätze.

Besitzer von Sihlcity: Credit Suisse und Swiss Prime Site, die 620 Mio. Fr. investiert haben.

Auch in Bern wird schon bald ein riesiges Freizeit- und Einkaufszentrum stehen: Mit einem Investitionsvolumen von 500 Millionen Franken ist «Westside» im neuen Quartier Brünnen am westlichen Stadtrand das grösste private Bauvorhaben der Schweiz.

Der geplante Wohnraum für rund 2600 Personen bedingt auch den Ausbau der Infrastruktur. Das Zentrum mit Shopping-Mall, Freizeitbad, Hotel, Kino und vielem mehr soll am 8. Oktober 2008 eröffnet werden.

Die Neue Brünnen AG, hinter der die Genossenschaft Migros Aare steht, verpflichtete für die Projektierung den international renommierten Architekten Daniel Libeskind. Die Auftraggeber preisen sein Werk als städtebauliches Gegenstück zum Paul-Klee-Zentrum (Architekt: Renzo Piano) auf der anderen Stadtseite.

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