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Slow Food: Nachhaltiger Genuss statt Fast Food

Slow-Food-Logo RTS

Slow Food ist das Gegenteil von Fast Food. Die in Italien gegründete Organisation hat auch in der Schweiz mehrere tausend Anhänger.

Slow Food will, dass wir uns mehr Zeit nehmen für die sorgfältige Herstellung und den respektvollen Genuss unserer Speisen.

1986 wollte der US-Konzern McDonald’s auf der Piazza Navona in Rom ein erstes Fast-Food-Restaurant eröffnen. Daraus wurde nichts. Für das Scheitern von McDonald’s und den Erfolg der Idee «Slow Food» sorgte der italienische Journalist Carlo Petrini aus dem Piemont.

Petrini ist Präsident der im gleichen Jahr zusammen mit Freunden gegründeten Organisation.

Übers Piemont hinaus

Dass Slow Food in Italien, dem Land der Lebensfreude und des Genusses, entstand, überrascht nicht. Und gerade in diesem Land gibt es auch eine lokale Tradition für unkompliziertes Essen: die «Osterie d’Italia» – Italiens schönste Gasthäuser.

Petrini und seine Freunde begaben sich auf die Suche nach dem einfachen Glück des Geniessers: einem schönen Teller Pasta und einem Glas Wein in einer gastfreundlichen Umgebung. Sie trugen in einem Buch zusammen, was sie finden konnten: «Osterie d’Italia». Das war der Grundstein für die Bewegung.

Die Idee, aus dem Essen wieder eine Kultur des Geniessens zu machen, breitete sich rasch über die Grenzen der Heimat von Trüffel und Barolo aus. Heute gehören Slow Food – als Logo dient der Organisation übrigens eine stilisierte Schnecke – rund 70’000 Mitglieder in 42 Ländern, darunter 2000 in der Schweiz, an.

Geniessen – und mehr

Geniessen spiele eine wichtige Rolle im Leben eines jeden Menschen, sagt Rafael Pérez, Slow-Food-Präsident für die Deutschschweiz, gegenüber swissinfo. «Geniessen ist die beste Alternative zur Sucht.»

Pérez sieht die Slow-Food-Anhänger als «Öko-Gourmets». Zum Geniessen von Essen und Trinken gehöre auch das Respektieren der Jahreszeiten. Man setze auf frische Produkte, die in der Region verankert sind und meide Fertigprodukte oder importierte Nahrungsmittel.

Damit respektiere man auch die Traditionen. «Slow Food will verhindern, dass die alten Rezepte, die Art und Weise, wie man sich seit Generationen ernährt hat, von einem Tag auf den andern verschwinden.»

Für Slow Food ist der Eigengeschmack der Nahrungsmittel wichtig. «Wir sind gegen die Homologisierung des Geschmacks, weil dadurch unsere Geschmacksorgane kaputtgehen oder verkümmern», sagt Pérez.

Und schliesslich respektiert Slow Food Umwelt, Natur und Landwirtschaft. «Wir setzen uns ein für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und für eine nachhaltige Landwirtschaft.»

Sozial und ökologisch

Mit der Forderung, die Vielfalt der Nahrungsmittel zu erhalten, hat Slow Food zwei weitere Anliegen im Auge: soziale Gerechtigkeit und ökologischen Anbau. Mit der Rettung alter Nahrungsmittelherstellungs-Künste werden auch Arbeitsplätze erhalten.

Mit dem «Premio Slow Food», einer Öko-Auszeichnung, werden Lebensmittel-Hersteller gefördert, die nach diesen Kriterien arbeiten: im letzten Jahr etwa eine von Frauen geführte Kooperative in Mexiko. Und in Südafrika wird die Wiedereinführung einer alten Hühnerrasse unterstützt.

Kein Gen-Food

Slow Food ist besorgt über gewisse Entwicklungen, auch in der Schweiz. «Es ist nicht gut, dass Forschungsprojekten Gelder für Genmanipulationen zur Verfügung gestellt werden, ohne dass man vorher die Möglichkeiten der bestehenden Artenvielfalt ausgeschöpft hat.»

Pérez weist auf ein für ihn klassisches Beispiel hin: «Warum Geld investieren in transgene Reben, wenn man noch nicht weiss, wie viele Spezialitäten es im Wallis gibt und was diese bringen können?»

Eine Frage des Stellenwertes

Produkte, die nach den Vorstellungen von Slow Food hergestellt werden, sind teuer – eine «Table ronde» für betuchte Feinschmecker also? Diese Frage sei ihm schon oft gestellt worden, lacht Rafael Pérez.

«Es hängt davon ab, welchen Stellenwert das Essen in unserer heutigen Gesellschaft hat. Noch vor wenigen Generationen haben unsere Vorfahren bis zu 50% von ihrem Einkommen fürs Essen ausgegeben. Heute sind wir bei 15 bis 10%. Man gibt heute das Geld lieber für Kleider, Autos und Ferien aus.»

Gute Produkte kosteten mehr, das sei klar. «Die Leute sollen sich langsam fragen, wofür sie das Geld ausgeben», sagt Pérez.

Junge Generation schwer zu gewinnen

Slow Food kommt vor allem bei Leuten von 30 bis 60 an. Die Jüngeren und ganz Jungen seien in der Schweiz kaum für die Idee zu begeistern, sagt Luca Cavadini, Slow-Food-Präsident für das Tessin, gegenüber swissinfo.

«In der Schweiz ist es uns noch nicht gelungen, unsere Informationen an den Schulen zu verbreiten», bedauert Cavadini. «In Italien hingegen gibt es eine Erziehung zum guten Geschmack.» Slow Food habe in Italien bereits ein Schulbuch produziert, fügt Cavadini mit einem gewissen Neid hinzu.

Auch Gault Millau-Restaurants begrüssen Slow Food

«Glücklicherweise ist der Umbruch zur gesunden und bewussten Ernährung gekommen. Und die Tendenz ist weiter steigend.» Das sagt Thomas Kübli, gastronomischer Direktor des Hotels Schweizerhof in Bern, dessen früher eher traditionelles Restaurant «Schultheissenstube» in der neuen Ausgabe 2002 der Gastro-Bibel «Gault Millau» mit hohen 16 Punkten benotet wird.

«Wir sind schon seit langer Zeit dabei, möglichst heimische, organische und biologische Produkte einzukaufen», sagt Kübli gegenüber swissinfo. Leider seien Bioprodukte in der Regel deutlich teurer. «Da man diese Kosten nicht vollumfänglich auf den Kunden abwälzen kann, sind wir in dieser Beziehung zu Kompromissen gezwungen.»

Der EU auf die Finger schauen

Während Slow Food also eine Vielfalt von regionalen Nahrungsmitteln anstrebt, bemüht sich die EU, die Vielfalt der europäischen Nahrungsmittel zu nivellieren. EU-Reglemente zwingen die Lebensmittel-Produktion zur Superhygiene. Dies trage dazu bei, zum Beispiel kleine lokale Käseproduzenten vom Markt zu verdrängen, heisst es bei Slow Food.

Mit dieser Idee setze die EU, und natürlich auch die USA, auf standardisierte Massenproduktion. Man dürfe nicht vergessen, dass diese Supersauberkeit zu Krankheiten führen könne. Menschen verlören dadurch einen natürlichen Schutz.

Slow Food will diese extrem antiseptische Einstellung bis zum letzten bekämpfen. Deshalb unterhält die Organisation mittlerweile ein Büro in Brüssel, um die dortigen EU-Kommissionen ab und zu auf die Absurdität ihrer Reglemente hinzuweisen.

swissinfo, Jean-Michel Berthoud

1986: Gründung von Slow Food als Gegenbewegung zu Fast Food
2002: Rund 70’000 Mitglieder in 42 Ländern
Schweiz: 2000 Mitglieder
«Adagio»: Das Mitglieder-Magazin von Slow Food Schweiz

Slow Food – Genuss statt Fast Food: Nach dieser Devise setzt sich die in Italien gegründete Organisation für eine Gastronomie ohne Hektik und Völlerei, die Erziehung zum guten Geschmack und die Pflege regionaler Spezialitäten ein.

Die Idee reicht weit über den Tellerrand hinaus: Mit dem «Premio Slow Food» werden Lebensmittel-Hersteller in Europa und der Dritten Welt unterstützt, die nach den Kriterien des ökologischen Anbaus und der sozialen Gerechtigkeit produzieren.

Slow-Food-Mitglieder sind in «Convivien» organisiert und unterstützen internationale Projekte wie «Arche» (Schutz der Artenvielfalt) oder «Slow City» (Städte mit Lebensqualität).

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