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Die Hausbesitzer

Die Mehrheit der Wohnhäuser in der Schweiz sind Einfamilienhäuser. Ist man zudem Eigentümer der eigenen vier Wände, geniesst man Sicherheit und Gestaltungsfreiheit. Aber Wohneigentum ist auch mit zahlreichen Verpflichtungen verbunden.

Jedes zweite Wohnhaus in der Schweiz ist ein Einfamilienhaus. Im Kanton Solothurn sind es sogar mehr als zwei Drittel der Wohnhäuser. Im solothurnischen Hägendorf zur Feierabendzeit: Arbeitspendler steigen aus der S-Bahn; die Durchfahrtsstrasse ist stark befahren. An sie grenzen Mehrfamilienhäuser. Geht man auf der Quartierstrasse ein Stück den Hang hoch, hört man den Hauptstrassenlärm nicht mehr. Die Mehrfamilienhäuser schirmen ihn ab. Hinter dieser Abschirmung beginnt das Einfamilienhausland.

Wenn die Kinder aus dem Haus sind

«Als ich ein Kind war, war unser Haus das drittoberste am Hang und im Winter konnte man hinter dem Haus mit den Skiern bis zur Hauptstrasse runter,» erzählt Emil, «heute sind viele Flächen verbaut, aber wir als Gesellschaft wollen halt wachsen.» Emil und Gabriela konnten vor knapp 30 Jahren das Haus seiner Eltern übernehmen und die eigenen Kinder im selben Haus aufziehen, in dem auch er aufgewachsen ist.

Die Kinder sind längst ausgezogen und deshalb hat das Ehepaar heute viel Platz für sich: einen begehbaren Kleiderschrank, ein Zimmer nur für Schuhe und je ein Arbeitszimmer. Als Emil sieben Jahre alt war, kaufte sein Vater als erster im Quartier einen Schwarzweiss-Fernseher. Das war 1969 und das halbe Dorf habe fortan bei ihnen in der Stube gesessen.

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Heute stehen im Zwei-Personen-Haushalt fünf Fernseher. Auf wie vielen Quadratmetern sie leben, weiss das Ehepaar nicht. Es wird mehr Wohnraum sein, als dem Schweizer Durchschnitt zur Verfügung steht. Die Grünfläche um’s Haus kennt Emil hingegen exakt: Mit dem Rasenmäher läuft er die 400 Quadratmeter Gras regelmässig ab. Der Genussmensch ächzt schon beim Gedanken ans Rasenmähen.

Rauchen als Luxus

Die Esszimmerwand ist verfärbt. Auf dem Tisch steht ein Aschenbecher. Gabriela und Emil sind Raucher – und rauchen auch drinnen. Emil meint dazu: «Die Wand streichen wir alle paar Jahre, aber das Rauchen gönnen wir uns als Komfort, genau wie die Putzfrau alle zwei Wochen.» 

Gabriela und Emil arbeiten Vollzeit und sehen nicht ein, weshalb sie dann am Wochenende das ganze Haus putzen sollten. Das alles tönt nach grossem Wohlstand oder gar Reichtum, aber Gabriela arbeitet als Lageristin und Emil als Beamter auf einer Sozialhilfebehörde. Kennengelernt haben sie sich bei der Arbeit – in einem Supermarkt. «Würden wir nicht beide arbeiten, könnten wir uns dieses Leben nicht leisten», sagt Gabriela.

Mieterland Schweiz

Im Mieterland Schweiz sind die Einfamilienhausbewohner ebenso in der Minderheit wie die Hauseigentümer. Wenn das Hägendorfer Ehepaar über das Leben im Einfamilienhaus spricht, meint es immer auch das Leben im eigenen Haus. Zwar kann ihnen keinen Vermieter das Rauchen vermieten, aber als Eigentümer tragen sie auch Verantwortung.

Eine Verantwortung, die für die beiden einerseits eine besondere Wertschätzung des Wohnraums bewirkt, andererseits aber Zeit und Geld kostet, etwa wenn die Revision der zentralen Ölheizung ansteht. «Der kam vergangenen Herbst einfach vorbei… Das kostet um die 2000 Franken. Eine Füllung des Heizöltanks kostet 4000 Franken. Die Gesellschaft geht davon aus, dass man solche Ausgaben tätigen kann – aber für uns geht das nicht ohne Budgetplan», sagt Emil. Gabriela nickt.

Umbau um Umbau

Zwei grosse Fotos aus verschiedenen Epochen zeigen, wie sich das Eigenheim gewandelt hat. Die Bäume liess das Ehepaar wenige Jahre nach dem Einzug fällen; bei der letzten grossen Renovierung vor sieben Jahren musste das Dach weichen. Gemäss neuem Baurecht wäre das Satteldach nach dem Umbau zu hoch geworden. Das Flachdach habe die Renovation verteuert, aber dafür führt heute eine Glastür vom ehelichen Schlafzimmer auf eine geräumige Terasse.

Dort oben schwärmt Emil von der Aussicht auf die Kirchtürme der Nachbardörfer und die Alpen. «Wir müssen nicht in die Karibik, sondern haben ein Zuhause, in dem wir uns wohlfühlen. Es ist ein Privileg und ein Luxus, so wohnen zu dürfen», sagt er und winkt einer Bekannten unten auf der Strasse. Hägendorf habe noch ein aktives Dorfleben. Auch Gabriela treffe bei jedem Gang ins Dorf bekannte Gesichter. Viele Jahre war sie Turnvereinsmitglied; Emil ist bis heute aktiver Faust- und Volleyballer. Noch ist nichts entschieden, aber vielleicht will er die Einlegerwohnung zum Vereinslokal umgestalten.

Von Generation zu Generation

Bereits beim Bau des Hauses 1954 hat Emils Vater fürs Alter vorgesorgt. Aus dem Kellergang führt eine Tür in eine 2-Zimmerwohnung. Als Emil und Gabriela mit den Kindern das Haus 1991 bezogen haben, ist die Grosselterngeneration in diese Einlegerwohnung umgezogen. Emil vergleicht es mit dem «Stöckli»: Bis ins 20. Jahrhundert war es in Schweizer Bauernfamilien üblich, dass bei der Hofübergabe Vater und Mutter aus dem Bauernhaus in ein kleines Nebenhaus, eben das sogenannte «Stöckli», umziehen und die Familie so beieinanderbleibt. In der Einlegerwohnung scheint die Zeit stehengeblieben: Sie ist nicht an die zentrale Ölheizung angeschlossen und die Küche ist eine Generation älter als die andere.

Ein sicherer Wert

Dabei ist auch die Hauptküche nicht mehr ganz neu. Gabriela hätte gerne eine moderne Kücheninsel, so dass der Raum zum Esszimmer hin offen ist; Emil winkt ab. «Die Küche ist jetzt dann dreissig Jahre alt», sagt sie. Er entgegnet: «Aber man sieht es der Küche nicht an.» Eine Diskussion, die wohl noch lange nicht abgeschlossen ist. Ein Eigenheim sorgt dafür, dass es den Eigentümern nicht langweilig wird. «Eigentlich hätte die Treppe heute fertig werden sollen», sagt Emil mit entschuldigendem Unterton beim Gang über die unfertig verkleidete Kellertreppe. «Jede kleine Renovation steigert den Wert. Auf der Bank haben sie uns von Anfang an gesagt: Ein Haus ist ein sicherer Wert. Der Boden wird immer knapper», leitet er dann zum Finanziellen über.

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Als Emil das Haus vor knapp 30 Jahren übernommen hatte, zahlte er an jedes seiner vier Geschwister 80’000 Franken und verpfändete seine Pensionskasse. Heute zahlen Emil und Gabriela jährlich 5000 Franken Hypothekarzins. «Inklusive Nebenkosten kommen wir auf etwa 1200 Franken pro Monat», rechnet Emil, «pro Jahr zahle ich zudem 6000 Franken auf ein Sperrkonto zur Amortisierung meiner Pensionskasse, aber die sind steuerlich abziehbar.» 

«Manche kaufen ja nur aus Steuergründen ein Haus», ergänzt Gabi, «dank den Schulden müssen wir keinerlei Vermögen versteuern.» Es entspannt sich ein längeres Gespräch über Hypozinsen, Ängste vor einer Immobilienblase und dem richtigen Verhältnis zwischen Schuldzins und Vermögen. «Meine Eltern haben damals noch neun Prozent gezahlt. Was passiert, wenn der Hypozins wieder einmal massiv ansteigt?»

Vom Familiensitz zur WG?

In zehn Jahren sind Gabriela und Emil pensioniert. Ob eines ihrer Kinder eines Tages das Haus übernehmen wird, ist noch offen. Die Tochter könne sich vorstellen, eine Wohngemeinschaft im Eltern- und Grosselternhaus zu gründen. Das Lebensmodell wäre ein anderes, aber das Haus würde in der Familie bleiben.

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