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Sozialer Zusammenhalt gefährdet

UBS-Chef Marcel Ospel (Mitte) ist der bestbezahlte Top-Manager in der Schweiz. Keystone

Die Millionengehälter von Wirtschaftsführern und Managern "gefährden die soziale Stabilität der Schweiz". Eine Gewerkschafts-Brandrede? Nein, nicht nur.

Die Aussage kommt von Johann Schneider-Amman, Vizepräsident des Schweizer Unternehmerverbandes economiesuisse. Er und andere Bürgerliche sind der «Exzesse» des Marktes überdrüssig.

«Wie kann ich es vor meinen Studenten rechtfertigen, dass ein Manager an einem einzigen Tag mehr verdient als ein Landwirt in zwei Jahren?», fragte eine Wirtschafts-Professorin den Verwaltungsrat der UBS während der Aktionärs-Generalversammlung der grössten Schweizer Bank.

«Löhne in zweistelliger Millionenhöhe müssten gesetzlich verboten werde», sagte ein anderer Aktionär.

Diese unüblich kritischen Worte, die am letzten Mittwoch in Basel fielen, charakterisierten die UBS-Aktionärsversammlung. Sie sind ein Zeichen der Irritation der Bevölkerung, wenn von den goldenen Gehältern von Schweizer Managern die Rede ist.

Die Reihe der Bestverdienenden wird von Marcel Ospel angeführt, dem Verwaltungsrats-Präsidenten der UBS, der 2005 rund 24 Mio. Franken Gehalt einstrich (Rund 65’000 Franken pro Tag).

Vorwürfe (auch) von bürgerlicher Seite

Diese Auswüchse des freien Marktes, vor allem in Beziehung zur realen Welt, wo einige Menschen Mühe bekunden, am Ende des Monats noch Geld in der Tasche zu haben, sorgen auch in den Rängen der Bürgerlichen zunehmend für Stirnrunzeln.

In den letzten Tagen hat der freisinnige Nationalrat Johann Schneider-Ammann, Vizedirektor des Wirtschafts-Dachverbandes economiesuisse und Präsident von Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie, zur Vernunft aufgerufen.

«Sicher, erfolgreiche Personen müssen belohnt werden», erklärte Schneider-Ammann. «Aber mit Mass.» Andernfalls drohe der Verlust des sozialen Zusammenhalts unserer Gesellschaft.

«Das ist nicht wahr», sagt dagegen Beat Kappeler, Ökonom und Kolumnist bei der NZZ am Sonntag, gegenüber swissinfo. «Der Verlust des sozialen Zusammenhalts in einem Staat und die darauf folgende Revolte der Armen wird nur eintreten, wenn diese keinen Ausweg mehr sehen.» Das sei der Weg seit der französischen Revolution.

«In der Schweiz dagegen ist die soziale Durchlässigkeit relativ gut entwickelt, und praktisch jedermann hat die Möglichkeit, davon zu profitieren. Die Einkünfte jener, die ganz oben stehen, sind in diesem Zusammenhang nicht so wichtig», fügt Kappeler hinzu.

Löhne nach oben begrenzen?

Ebenfalls von bürgerlicher Seite, von der sonst nur Lob für den freien Markt zu hören ist, kommen überraschende Vorschläge zur Begrenzung der Manager-Löhne nach oben: maximales Jahresgehalt von 7,5 Mio. Franken.

Eine Lohnschere von 100:1 im Verhältnis zum Schweizer Durchschnitts-Jahresgehalt von rund 75’000 Franken würde mehr als genügen, um auch die besten Top-Manager zu bezahlen, ist von dieser Seite zu hören.

«Diese Stellungnahmen freuen uns», sagt Martin Flügel, der für die Lohn-Studie der Gewerkschaft Travail.Suisse verantwortlich ist.

«Das Problem ist real. Die Top-Manager leben in einer anderen Welt und wissen nichts über die Schwierigkeiten des Durchschnittsbürgers. Oft sind es gerade die Grossverdiener, die zuvorderst den Sozialstaat und dessen Schutz für die Schwachen aushebeln wollen. Eine wirklich problematische Entwicklung», so Flügel.

Der internationale Rahmen

Die UBS, die 2005 einen Reingewinn von 9,84 Mrd. Franken erzielte, begründete ihre Lohnpolitik mit der internationalen Marktlage für Manager.

Laut UBS variieren die Honorare der Verwaltungsrats-Präsidenten von neun der wichtigsten Konkurrenten der Schweizer Grossbank zwischen 14 und 49 Mio. Franken im Jahr. In diesem Exklusivclub relativierte sich das Gehalt Ospels, heisst es bei der UBS. Während die Gewinne der UBS zu den höchsten zählten, gehöre Ospels Lohn zu den massvollsten.

«Grundsätzlich ist die Bestimmung des Gehaltes von Ospel eine Angelegenheit, die nur die UBS-Aktionäre etwas angeht», betont Kappeler. «Sein Salär schadet weder dem Staat noch den Bankkunden oder den Angestellten. Die Reaktionen auf die hohen Gehälter sind also künstlich und sicher durch einen gewissen Neid hervorgerufen.»

Diese Fälle sollten gemäss Kappeler ohne jegliche ideologischen «Scheuklappen» betrachtet werden. «Lohngleichheit als solche ist kein Wert – im Gegenteil, es kann völlig falsch sein, wenn Leistungsunterschiede vorhanden sind.»

swissinfo, Marzio Pescia
(Übertragen aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

Eine im Juni 2005 publizierte Studie der Gewerkschaft Travail.Suisse hat Alarm ausgelöst: Die Kluft zwischen den Löhnen der Top-Manager von schweizerischen multinationalen Konzernen und jenen der Angestellten wird immer grösser.

Der offenkundigste Fall ist UBS-Chef Marcel Ospel, der 302 mal mehr verdient als die «normal» verdienenden UBS-Mitarbeiter.

Im Juli 2002 empfahl die Schweizer Börse, (swx) die obligatorische Offenlegung der Manager-Löhne von börsenkotierten Unternehmen.

Letzten Herbst beschloss das Schweizer Parlament, diese Empfehlung ins Obligationenrecht aufzunehmen.

UBS-Chef Marcel Ospel ist der bestbezahlte Top-Manager in der Schweiz: 2005 kassierte er 24 Mio. Franken.
Zweitgrösster Verdiener ist Oswald Grübel von Credit Suisse (22 Mio.), gefolgt von Daniel Vasella von Novartis (21,3 Mio.), Franz Humer von Roche (14,7 Mio.) und Peter Brabeck von Nestlé (13,6 Mio.).
Der Schweizer Durchschnittslohn beträgt rund 75’000 Fr. (brutto) im Jahr.

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