Spannungsfeld Kriegsmaterial und Menschenrechte
Im Tschad herrscht Not. Die Schweiz leistet Entwicklungshilfe. Andererseits werden höchstwahrscheinlich mit Schweizer Flugzeugen Angriffe gegen Rebellen geflogen.
Die Schweizer Regierung bemüht sich, bei dieser Problematik mit einer Zunge zu sprechen. Möglicherweise sollen Entwicklungsländer keine Trainingsflugzeuge des Typs PC-9 mehr erhalten.
Das in der Sendung «10 vor 10» des Schweizer Fernsehens gezeigte, mit Bomben ausgerüstete und in der Schweiz produzierte Pilatus PC-9-Trainingsflugzug im Tschad hat Diskussionen über die Definition neuen Antrieb gegeben, was als Kriegsmaterial zu bezeichnen ist.
Dass für den zivilen Gebrauch vorgesehene Flugzeuge der Pilatuswerke in Stans auch für militärische Zwecke eingesetzt werden, ist an sich nichts Neues. Seit den 1970er-Jahren gab es entsprechende Zwischenfälle, beispielsweise in Burma, Guatemala, Mexiko, Irak.
Kriegsmaterial- oder Güterkontrollgesetz?
Die Ausfuhr von Pilatus-Flugzeugen fällt nicht unter das Kriegsmaterialgesetz (KMG). Andernfalls hätte gar kein Export in den Tschad stattfinden dürfen.
Das Schweizer Parlament hatte 1996, auch dank des intensiven Lobbyings von Ulrich Schlüer (Schweizerische Volkspartei SVP) und Edi Engelberger (Freisinnig-Demokratische Partei FDP), gegen den Antrag der Landesregierung die Pilatus-Flugzeuge nur dem zahnloseren Güterkontrollgesetz (GKG) unterstellt.
Deshalb ist der 2006 abgeschlossene Verkauf des PC-9 an Tschad rechtlich abgesegnet. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hatte die Pilatus-Lieferung in das Bürgerkriegsgebiet mit der Auflage bewilligt, Tschad dürfe das Flugzeug nicht bewaffnen.
Wer trägt die Verantwortung?
Der grüne Nationalrat Josef Lang kann über die Haltung des Seco nur den Kopf schütteln: «Man hätte zum voraus wissen können, dass auf dieses Militärregime kein Verlass ist. Es hat auch andere internationale Abmachungen verletzt, zum Beispiel gegenüber der UNO.»
Der ehemalige SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer meint dagegen: «Gehandelt wird mit Staaten, die man als souveräne Staaten in die Unabhängigkeit entlassen hat.»
Sicherheitsinteresse
Für Schlüer steht das Sicherheitsinteresse der Schweiz zuoberst, wie er gegenüber swissinfo sagt. Pilatus liefere auch der Schweiz Trainingsflugzeuge. Da der einheimische Markt viel zu klein sei, «muss die Firma exportieren können, damit sie in der Schweiz bestehen kann».
Diesem Argument kann Josef Lang nichts abgewinnen. «Wer volkswirtschaftlich langfristig denkt, weiss, dass in kleinen Ländern der Heimmarkt für die Kriegsmaterialproduktion viel zu klein ist.»
Aus diesem Grund habe die Rüstungsindustrie mittel- bis längerfristig keine Zukunft: «Die Lobby, die vor 11 Jahren verhindert hat, dass die Trainingsflugzeuge unter das KMG gestellt wurden, hat Pilatus letztlich nur daran gehindert, den Prozess der Zivilisierung der Produktion zu beschleunigen.»
Gesetzesänderungen
Lang will wegen der Ereignisse im Tschad in der Frühlingssession des Parlaments eine Motion einreichen, welche den Pilatus PC-9 dem KMG unterstellen soll.
Tatsächlich haben sich auch Politiker aus dem bürgerlichen Lager für eine Änderung der Rechtsgrundlagen ausgesprochen. Man diskutiere aber offensichtlich eine Veränderung des Güterkontrollgesetzes, erklärt Bruno Gurtner von der entwicklungspolitischen Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud.
Im GKG wird die Ausfuhr von Gütern geregelt, die waffenähnlich sind oder sowohl für kriegerische als auch friedliche Zwecke gebraucht werden könnten (Dual-use).
Ganz anders titelt die Zeitung «Sonntag»: «EDA will PC-9 dem Kriegsmaterialgesetz unterstellen». Denn vergeblich hätte das Aussendepartement von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey im Sommer 2006 vor dem Export einer PC-9 nach Tschad gewarnt.
Entwicklungshilfe statt Trainingsflugzeuge
Für das Volkswirtschafts-Departement (EVD) von Doris Leuthard und dem dort angegliederten Seco bestand bis am Mittwoch kein Grund, an den Gesetzen etwas zu ändern.
Man könne möglicherweise festlegen, dass Länder, die aus der Schweiz Entwicklungsgelder erhielten, keine PC-9-Trainingsflugzeuge importieren dürfen, sagte Leuthard jedoch am Mittwoch gegenüber der «Luzerner Zeitung».
Es gehe dabei um Priorisierungen. Wenn ein Land Entwicklungshilfe brauche, habe es wohl wichtigere Prioritäten zu setzen, als Trainingsflugzeuge zu kaufen.
Die PC-9 dem Kriegsmaterialgesetz statt wie heute dem Güterkontrollgesetz zu unterstellen, ist laut Leuthard dagegen nicht unproblematisch. Es könne dann sein, dass die Pilatuswerke ihre Produktion ins Ausland verlagerten, gab sie zu bedenken.
Zwei Departemente – eine Zunge?
Gegen aussen sind EDA und EVD bemüht, mit einer Zunge zu sprechen. So wird um Auskunft bittenden Journalisten oft mitgeteilt, dass das jeweils andere Departement für das Thema zuständig sei.
Aktuell wird die Angelegenheit laut «Sonntag» aber im Sommer, wenn sich der Bundesrat mit der radikaleren Volksinitiative der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten auseinandersetzen muss.
swissinfo, Corinne Buchser und Etienne Strebel
Tschad ist ein Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungs-Zusammenarbeit:
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) setzt pro Jahr rund 15 Mio. Fr. ein.
Davon sind 4 Mio. für Flüchtlinge aus dem sudanesischen Darfur bestimmt.
Die Schweiz hat 2007 Kriegsmaterialexporte im Wert von 1,787 Mrd. Fr. bewilligt, fast doppelt so viel wie im 2006.
Die Ausfuhren stiegen dank guter Weltwirtschaftslage um 16,8% auf 464,5 Mio. und damit auf den höchsten Stand seit 19 Jahren.
2007 verzeichnete das Seco 2462 Ausfuhrgesuche.
Bewilligt wurden 2457 Gesuche, deren Wert innert Jahresfrist um rund 90% anstieg.
5 Gesuche mit einem Gesamtwert von 0,6 Mio. Fr., die 5 verschiedene Länder betrafen, wurden abgelehnt.
Betroffen waren zwei osteuropäische und drei afrikanische Länder. Es ging hauptsächlich um Hand- und Faustfeuerwaffen, dazugehörende Bestandteile sowie Munition.
Zu den grösseren Geschäften gehörten 2007 die Lieferung von insgesamt 26 gepanzerten Radfahrzeugen des Typs Piranha und Eagle nach Irland, Dänemark und Brasilien im Wert von rund 76 Mio. Fr.
Dazu kam eine Teillieferung von sechs Fliegerabwehrsystemen nach Pakistan für rund 38 Mio. Fr. Die umstrittene Lieferung war im vergangenen November nach Verhängung des Ausnahmezustands in Pakistan suspendiert worden, und weitere Lieferungen damit aufgeschoben.
Zu den Hauptabnehmerländern gehörten 2007 Deutschland mit Lieferungen im Wert von 62 Mio. Fr., gefolgt von Irland (51 Mio.), USA und Dänemark (je 42 Mio) sowie Grossbritannien (40 Mio.).
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