«Sparen beim Marketing: ein gravierender Fehler»
Einen Franken Subventionen für 5 Jahre Landeswerbung. Dies die provokative Finanzierungsformel für "Schweiz Tourismus" von Bundesrat Christoph Blocher.
Ständerat Dick Marty, Präsident «Schweiz Tourismus», ehemaliger Tessiner Finanzdirektor, erklärt weshalb Sparen beim Landeswerben unverantwortlich wäre.
swissinfo: Dick Marty, wo verbringen Sie üblicherweise Ihre Ferien?
Dick Marty: Ich habe das Glück, in einer lieblichen Gegend zu leben, in einem kleinen Dorf im Tessiner Malcantone. Dort verbringe ich auch einen guten Teil meiner Freizeit. Meine letzte Ferienwoche verbrachte ich im Wallis.
swissinfo: Welches sind die Eigenschaften, die Sie in einem Ferienort finden möchten?
D.M.: In erster Linie suche ich nach Natur, das ist für mich ein wichtiges Element sowie die Qualität der Infrastruktur. Ich suche aber nicht eine luxuriöse Infrastruktur, denn in einem Luxusort fühle ich mich nicht in den Ferien. Wichtig ist auch eine gute Küche.
swissinfo: Und die Schweiz – entspricht die diesen Kriterien?
D.M.: Ich glaube weiterhin, dass das schweizerische touristische Angebot trotz aller Kritiken ein Gutes ist. Wobei man das Angebot in seiner Ganzheit sehen muss, und nicht nur in preislicher Hinsicht.
swissinfo: 20 Rappen pro Jahr für den Schweizer Tourismus. Das war der provozierende Vorschlag von Christoph Blocher. Was würde das für den Tourismus heissen?
D.M.: Ich glaube, damit hat Blocher sein wahres Gesicht gezeigt. Die tausenden von mittleren und kleinen Unternehmen, die um ihr Überleben kämpfen, sind ihm offenbar ziemlich egal.
Sein Vorschlag ist nicht ernst zu nehmen. Erstens gibt es ein Gesetz, das «Schweiz Tourismus» präzis formulierte Aufgaben zuweist. Das Gesetz sieht ausserdem einen Rahmenkredit für jeweils fünf Jahre vor. Wenn überhaupt, so müsste Blocher eine Gesetzesrevision vorschlagen.
Die Tourismusbranche setzt sich, ganz im Gegensatz zur Chemie, Pharma- oder Maschinenindustrie, nicht aus wenigen homogenen Grossunternehmen zusammen. Es ist deshalb undenkbar, dass ein einzelner Campingplatz oder ein Hotel imstande wären, wie Grossunternehmen ihr Marketing auf dem internationalen Parkett selbst an die Hand zu nehmen.
Es existiert auch kein einziges Land auf der Welt, das seine touristische Landeswerbung anders als über eine nationale Marketingorganisation aufgezogen hätte.
Überall bei der Landeswerbung ist die öffentliche Hand stark engagiert, um die touristischen Destinationen zu fördern. Die meisten Länder ordnen dem Tourismus ausserdem ein eigenes Ministerium zu. Und schliesslich werden auch zahlreiche andere Branchen staatlich unterstützt.
swissinfo: Es gibt Stimmen, die sagen, der Fremdenverkehrs-Sektor hätte eine Strukturreform nötig.
D.M.: Eine Reform der Strukturen ist ja auch im Gang. Dies zeigt der Umstand, dass innert zehn Jahren 1000 Hotels geschlossen haben. Doch es wäre strategisch ein gravierender Fehler, bei der Landeswerbung dann einzusparen, wenn sich die Branche in der Krise befindet.
Mit unserer Landeswerbung möchten wir erreichen, dass die touristischen Angebote besser auf den internationalen Märkten platziert werden. Indem wir Promotion für diese Produkte betreiben, partizipieren wir an der Entwicklung der Wirtschaftsstrukturen der Branche.
swissinfo: «Schweiz Tourismus» verlangte vom Parlament 277 Mio. Franken Kredit für die Periode 2005 bis 2009. Der Bundesrat schlägt nun 200 Mio. vor. Gegenüber der abgelaufenen Periode sind das 30 Mio. weniger, in realer Kaufkraft gerechnet. Was hat das für Konsequenzen?
D.M.: Schwierig einzuschätzen. Wir werden sicher auf einiges verzichten müssen. Die Lage in den letzten Jahren ist ja auch nicht besser geworden. So fliegt Swiss nicht mehr nach China. Die Swissair war früher auch nach Taipeh geflogen.
Taiwan gilt als guter und reicher Aufkommens-Markt für den Schweizer Tourismus. Auch Neu Dehli ist keine Swiss-Destination mehr – wo doch Indien so wichtig für uns wurde. Nach Seoul gibt es ebenfalls keine Swiss-Flüge mehr.
Das Ganze erscheint absurd, denn die Schweiz hat erst letzten Herbst von China das Statut einer «offiziellen Destination» zugebilligt erhalten (Approved Destination Statut, ADS). Die Chinesen erhalten seither viel leichter eine Reisebewilligung für die Schweiz.
Der chinesische Tourismusminister gab diesbezüglich gegenüber der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ein Touristiker-Witzchen zum Besten und fragte sie: «Wissen Sie überhaupt, Madame, was mit diesem neuen Statut auf Sie zukommt?»
Als sie einen Augenblick zögerte, grinste er: «100 Millionen Touristen für die Schweiz!»
Der neue Kredit, den wir beantragt hatten, hätte dazu dienen sollen, unsere Präsenz in den neuen Aufkommens-Märkten zu festigen. Nicht nur in China, auch in Russland. Die Buchungen aus Russland wachsen jährlich um 10 bis 20%. Dasselbe gilt für Indien, Korea und Taiwan.
swissinfo. Was werden Sie also tun? Die Mittel auf die neuen Märkte konzentrieren oder die bestehenden verteidigen?
Sicher müssen wir die neuen Märkte bearbeiten. Aber wir können auch bestehende wie Deutschland nicht vernachlässigen. Deutschland ist und bleibt mit grossem Abstand der wichtigste «Kunde». Da dürften wir uns nichts leisten.
Unsere Konkurrenzländer fahren grössere Geschütze auf. Frankreich gilt logiernächtemässig gesehen als die weltgrösste Feriendestination. 2003 musste es prozentual einen grösseren Verlust als wir einstecken. Doch das Land hat sofort reagiert. Die touristischen Promotionsmittel wurden beachtlich erhöht.
Offenbar wissen die Franzosen, was einen grösseren Nutzen stiftet. Während wir unser Budget mit dem Blick eines Buchhalters betrachten. Ich fürchte, dass auch das Finanzdepartement Merz letztlich bei den Investitionen sparen wird, weil man nicht mehr weiss, wo man sonst noch sparen könnte. Ein immenser Fehler.
swissinfo: Österreich wird oft als positives Vorbild im touristischen Bereich zitiert. Was macht den Erfolg des österreichischen Modells aus – gegenüber dem schweizerischen?
Der Preis! Wir Schweizer haben eine irritierende Tendenz zum Masochismus. Im letzten Sommer hatte das Staatssekretariat für Wirtschaft, das seco, eine Studie publiziert, in der die Produktionskosten in verschiedenen touristischen Ländern verglichen werden.
Daraus wird ersichtlich, dass die österreichischen Arbeitskosten 31% unter den schweizerischen liegen, und dass der Nahrungsmittel-Einkauf die Gastronomen mehr als die Hälfte weniger kostet als in der Schweiz.
Und was haben die Österreicher getan? Sie haben mit den seco-Daten öffentliche Werbung betrieben.
Trotz allem sind wir weiterhin überzeugt, dass die Schweiz für einen Touristen ein wunderbares Land ist. Das bestätigen auch alle Umfragen.
Interview: Andrea Tognina
(Übertragen aus dem Italienischen: Alexander Künzle)
Ein Bundesgesetz beauftragt «Schweiz Tourismus» mit der Promotion des schweizerischen touristischen Angebots im Ausland (Landeswerbung). Dazu ist ein Rahmenkredit vorgesehen, der jeweils für eine Fünfjahresperiode gilt.
Für die kommende Periode 2005 bis 2009 hatte «Schweiz Tourismus» eine Erhöhung des Kredits auf 277 Mio. Franken verlangt. Das zusätzliche Geld wäre in die Bearbeitung der neuen Märkte China, Russland und Asia Pacific gegangen und hätte auch zur Konsolidierung der Märkte der Nachbarländer dienen sollen.
Das Parlament wird im Herbst oder Winter über die endgültige Kredithöhe entscheiden. Doch vorher muss der Bundesrat seine Meinung kund tun.
Laut einer Indiskretion soll sich Bundesrat Christoph Blocher gegen den Kredit ausgesprochen und einen symbolischen Franken vorgeschlagen haben.
Dies hat für eine ziemliche Empörung gesorgt, auch innerhalb von Blochers Schweizerischer Volkspartei (SVP), die in den touristisch stark exponierten Bergregionen viele Stimmen erwerben konnte.
Schliesslich entschied sich die Regierung, eine eingefrorene Version der Kredithöhe von 200 Mio. Fr. vorzuschlagen. Das entspricht einem inflationsbedingten Kaufkraftverlust von rund 30 Mio. Fr. im Vergleich zur abgelaufenen Periode.
«Schweiz Tourismus» finanziert sich zu rund 60% mit staatlichem Geld, was weltweit als einmalig tiefer Anteil gilt. Die restlichen 40% kommen mit strategischen Partnerschaften und privatwirtschaftlichen Geldern zusammen.
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