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Spitäler: Qualität ist Geheimsache

Die Spitäler lassen sich nur ungern über die Schulter schauen. Keystone

Gesundheit ist teuer. Doch soll im Schweizer Gesundheitswesen gespart werden, dann hagelt es Kritik. Befürchtet wird ein gefährliches Absinken der Qualität.

Doch gerade die Qualität der Schweizer Spitäler ist eine grosse Unbekannte. Denn die Daten sind unter Verschluss.

Die Gesundheit ist den Schweizern teuer. Auf 11% des Bruttoinlandprodukts belief sich im Jahr 2001 die Rechnung für das Gesundheitswesen.

Dass gespart werden muss, ist weitgehend unbestritten. Doch der Einfluss der Sparmassnahmen auf die Qualität ist nicht bekannt. Zwar wird seit einigen Jahren in vielen Spitälern die Qualität gemessen, doch sind die Ergebnisse unter Verschluss und der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Zur Qualität verpflichtet



Seit 1996 sind die Leistungserbringer durch das Krankenversicherungs-Gesetz zur Qualitätssicherung verpflichtet. Damit die Qualität gefördert und Schwachstellen behoben werden können, braucht es verlässliche Daten.

Eine Pionierrolle bei der Messung der Ergebnisqualität in der Schweiz nimmt der Kanton Zürich ein. Alle öffentlichen Spitäler sind per Leistungsauftrag verpflichtet, an den Messungen teilzunehmen, sonst gibt es keine Subventionen. Damit die Ergebnisse miteinander verglichen werden können und ein Lernprozess möglich ist, sind die Messverfahren und Abläufe in allen Spitälern gleich.

Seit Januar 2000 werden die Messungen vom Verein Outcome organisiert und koordiniert. Outcome ist ein Zusammenschluss der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich, den Kranken- und Unfallversicherern sowie allen öffentlichen Spitälern.

Unvereinbare Interessen

Die Interessen, die im Verein Outcome aufeinandertreffen, sind höchst unterschiedlich. Die Versicherer wollen in erster Linie Kosten reduzieren. Sie möchten grösstmöglichen Einblick in die Spitäler und fordern Effizienz: Die Versicherer werfen den Spitälern vor, unnötige Medizin zu betreiben. Rund 30% der Leistungen sind laut den Versicherern überflüssig.

Die politischen Entscheidungsträger wollen vor allem aussagekräftige Daten, weil sie klare Grundlagen für die Budgetierung und Spitalplanung brauchen. Die öffentliche Hand muss sparen, will dies aber nicht am falschen Ort tun.

Die Spitäler hingegen befürchten, auf öffentlichen Hitlisten blossgestellt zu werden. Zudem haben sie Angst, dass echte oder vermeintliche schwarze Schafe unter den Spitälern auf Grund dieser Messungen dereinst Subventionen verlieren könnten.

Zugesicherte Anonymität

Das Vorgehen, auf das sich die drei Partner geeinigt haben, ist ein Kompromiss: Jedes Spital misst seine Qualität selbst, es werden keine Fremdmessungen durchgeführt und die Daten werden nur anonymisiert weitergegeben.

Die Daten werden den Spitälern derart zur Verfügung gestellt, dass sich das jeweilige Spital selbst erkennt, aber nicht weiss, wer die anderen sind. Zudem liegt es im Ermessen der Spitäler, aufgrund der Ergebnisse Verbesserungen vorzunehmen. Kontrollen sind nicht vorgesehen.

Eigentümer der Rohdaten sind die Spitäler; die Resultate verbleiben beim Verein Outcome. Die kantonale Gesundheitsdirektion und die Versicherer finanzieren zwar die Messungen, Einblick in die Daten haben sie hingegen bis heute nicht.

Das Outcome-Modell macht Schule. Bereits haben sich weitere Kantone dem Verein angeschlossen. Nach Zürich wird nun auch in Bern, Solothurn und bald auch im Aargau unter Outcome-Bedingungen gemessen. In der Romandie hat der Kanton Waadt Interesse signalisiert.

Fragiles Konstrukt

«Das Konstrukt ist sehr fragil», erklärt Outcome-Geschäftsleiter Adolf Steinbach. «Es ist eine Art Selbstdeklaration. Man kann Daten, die von den Spitälern erhoben werden, nicht einfach so rausgeben und in die Öffentlichkeit stellen. Die Spitäler brauchen einen gewissen Schutz, damit die Datenerhebungen korrekt laufen. Das heisst nicht, dass man den Spitälern Boshaftigkeit unterstellt, aber kein Mensch wird sich in der Öffentlichkeit selbst geisseln.»

Erste Priorität habe die Qualität der Daten, deshalb sei der Schutz vor Transparenz gerechtfertigt. Steinbach räumt jedoch ein, dass bei Fremdmessungen dieser Schutz wohl nicht nötig wäre. Das Ziel sei jedoch nicht, irgendjemanden anzuschwärzen, sondern die Förderung der Qualität. «Es muss ein Vertrauensklima entstehen, in dem Qualität wachsen kann.»

Das System zeige Wirkung: «Dadurch, dass die Spitäler mit den Ergebnissen konfrontiert sind, verändert sich bereits was in den Spitälern.» Dies bestätigt Heinz Schaad, Chefarzt am Spital Interlaken: «Wir haben beim Projekt ‹emerge› mitgemacht, wo es um Notfallstationen ging. Dieses Projekt war sehr gut und führte zu konkreten Verbesserungen. Der Vergleich mit zwölf anderen Schweizer Spitälern war sehr aufschlussreich.»

Dauerthema Transparenz

Trotz positiven Resultaten ist die Transparenz-Frage im Verein ein Dauerthema. «Im Moment haben wir akzeptiert, dass man die Ergebnisse nicht öffentlich macht», erklärt Peter Marbet, Sprecher von santésuisse, dem Branchenverband der Schweizer Krankenversicherer. «Hätten wir dies zur Bedingung gemacht, wäre Outcome überhaupt nicht vom Fleck gekommen. Dann wäre es nicht einmal zur Selbstdeklaration gekommen.»

Die Versicherer wollten laut Marbet den Spitälern zeigen, dass es einen Nutzen hat, wenn sie wissen, wie sie zur Konkurrenz stehen, und dass dies bereits zu einem anderen Bewusstsein bezüglich Qualitätsfragen führt. «Zu harte Forderungen unsererseits hätten dies verhindert. Und das wäre falsch.»

Santésuisse verlangt jetzt eine schrittweise Öffnung der Transparenz. Später soll zudem von der Selbstkontrolle zur Fremdkontrolle und einer externen Zertifizierung übergegangen werden. Ziel ist ein gesamtschweizerisches Qualitätsranking, das alle Spitäler, private wie öffentliche, umfasst.

Auch die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich fordert Transparenz: «Der Verein Outcome hat diese Zeit gebraucht, damit sich eine gute Kultur bilden konnte. Jetzt müssen diese Daten aber zumindest gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und den Krankenkassen offen gelegt werden», erklärt Mediensprecherin Marianne Delfosse.

Man brauche diese Daten für die Budgetierung und die Spitalplanung. Die Gesundheitsdirektion konnte sich durchsetzen: Laut Delfosse werden die Versicherer und der Kanton Zürich voraussichtlich ab 2004 Zugang zu diesen Daten haben.

Wie weit man mit diesen Daten auch an die Öffentlichkeit gehen soll, müsse noch entschieden werden. «Dieser Schritt ist schwierig, denn billige Hitlisten sind nicht in unserem Interesse. Zudem muss man diese Daten auch richtig interpretieren.»

Gefahr der Manipulation

Wenn die Spitaldaten jedoch für politische Entscheide genutzt werden, könnte das System der Selbstdeklaration kippen. Einige Spitäler könnten dann anfangen, ihre Daten zu manipulieren. Im Kanton Bern ist man deshalb vorsichtig mit der Forderung nach Transparenz.

«Das Hauptinteresse des Kantons und der Versicherer ist, dass die Spitäler mit diesen Messungen arbeiten und ihre Qualität verbessern. Es geht nicht darum, eine Hitliste zu machen», erklärt Paula Bezzola vom Spitalamt Bern.

Es habe keinen Sinn, Transparenz zum Preis von gefälschten Daten herzustellen. «Aufgrund dieser Daten kann man auch nicht entscheiden.»

Diese Bedenken teilt man in Zürich nicht. «Die Gefahr der Manipulation war immer das Argument des Vereins Outcome. Wenn aber die Gesundheitsdirektion und die Versicherer Zugang zu den Daten aller Spitäler haben, gibt es für Spitäler, die manipulieren, Erklärungsbedarf, warum sie solche Daten haben», entgegnet Delfosse.

Ende der Selbstdeklaration absehbar



Doch je mehr Spitäler manipulieren, desto schwieriger wird diese Kontrolle. Sobald die Daten in die politische Debatte einfliessen, geht das System der Selbstmessung früher oder später kaputt.

Transparenz und verlässliche Daten sind längerfristig kaum ohne Fremdmessungen zu haben. «Gerade im Zusammenhang mit den Sparmassnahmen müssen wir Gewähr haben, dass die Qualität nicht sinkt», betont Delfosse. Denn weil das Geld längst nicht mehr für alles reicht, muss sichergestellt werden, dass am richtigen Ort gespart wird.

swissinfo, Hansjörg Bolliger

Statistik 2001:
Anzahl Spitäler: 364
Patienten: 1,39 Mio.
Pflegetage: 13,8 Mio.
Kosten: 14,6 Mrd. Fr.
Beschäftigte: 152’200

Die Kosten für das Gesundheitswesen steigen stetig.

Im Jahr 2001 betrug ihr Anteil am Brutto-Inlandprodukt (BIP) 10,9% (1960: 5%).

Damit hat die Schweiz nach den USA mit 13,9% das zweitteuerste Gesundheits-System aller OECD-Länder.

Zum Vergleich:
Deutschland: 10,7%
Frankreich: 9,5%
Italien: 8,4%
Österreich: 7,7%

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