Starker Franken macht der Schweiz Angst
Der nominale Frankenkurs ist auf einem Rekordhoch. Das macht Bundesrat Johann Schneider-Ammann, Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, Sorgen. Am Freitag will er mit Wirtschaftsvertretern die Situation erörtern.
Der hohe Wert der Schweizer Währung, vor allem in Bezug auf den Euro, alarmiert die Schweizer Exporteure, besonders jene, die in die EU exportieren. Ihre Produkte sind deswegen teurer geworden. Europa, vor allem Deutschland, ist für Schweizer Exporteure der wichtigste Partner.
Zum Treffen, das von Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) organisiert wird, sind Vertreter der Schweizer Arbeitgeberorganisation, dem Schweizer Wirtschaftsdachverband economiesuisse, der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), der Schweizerischen Handelsorganisation und der Gewerkschaften eingeladen.
Die Interessen des Maschinenbaus, der Pharmaindustrie, Uhrenhersteller und Banken, Tourismus und Landwirtschaft werden auch vertreten sein.
In den Schweizer Medien war die Rede von einer «Krisensitzung», aber das Seco nennt es eine «Einschätzung der Situation». Es ist der Überzeugung, dass sich die Diskussion auf die Möglichkeiten und Risiken der gegenwärtigen Situation konzentrieren wird.
«Heisses Eisen»
«Es zeigt, dass es ein heisses Eisen ist, dieses Thema in die politische Diskussion einzubringen, und wahrscheinlich ist es aus der Sicht des Seco eine gute Idee, verschiedene Interessengruppen zusammenzubringen. Aber ich zweifle daran, dass konkrete Massnahmen herausschauen werden», sagt Felix Brill, der Ökonom des Beratungsunternehmens Wellershof & Partner, gegenüber swissinfo.ch.
Ein Zeichen der Dringlichkeit ist vielleicht die kurze Mitteilung des Seco, dass der Staatssekretär Jean-Daniel Gerber zurzeit keine Interviews geben will.
Dem Schweizer Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann sind die Höhen und Tiefen des Schweizer Frankens nicht unbekannt. Er war bis im letzten November der Chef der Langenthaler Maschinenfabrik Ammann. Er wurde in dieser Position mehrmals mit der Stärke des Frankens konfrontiert.
Bevor er zum Bundesrat gewählt wurde, war Schneider-Ammann Präsident von Swissmem, der Dachorganisation der Schweizer Maschinen und Elektroindustrie, die in der Schweizer Wirtschaft eine Schlüsselfunktion einnimmt.
Sie ist der grösste industrielle Arbeitgeber des Landes und beschäftigt ungefähr 330’000 Personen. Ihre Exporte beliefen sich im Jahr 2009 auf 63 Milliarden Franken, das sind 65,1 Milliarden Dollar.
Die Mitglieder von Swissmem exportieren 80 Prozent ihrer Produkte. Zwei Drittel davon gehen in die Eurozone.
«Die gegenwärtige Situation schadet»
«Die gegenwärtige Situation schadet jeder Exportfirma enorm», sagt der Sprecher von Swissmem, Ivo Zimmermann, gegenüber swissinfo.ch.
«Es ist schwierig einzuschätzen, aber 2010 haben wir eine Erholung der eingehenden Bestellungen von 12,2 Prozenten in den drei ersten Quartalen. Aber diese Erholung baut auf einem sehr tiefen Level auf. Das bedeutet, dass wir noch lange nicht auf dem Niveau vor der Wirtschaftskrise angelangt sind. Wir sind nun auf der Höhe von 2005/2006.»
«Die Menge der Aufträge mag sich verbessert haben, aber davon werden wir nicht profitieren, denn der Wechselkurs frisst die Marge weg», fügt er an.
Während Brill keine konkreten Massnahmen erwartet, haben andere Vertreter der Wirtschaft konkrete Ideen, wie das Problem angegangen werden könnte.
Nick Hayek, der CEO der Swatch Gruppe, und Paul Rechsteiner, Präsident dersSchweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), haben vorgeschlagen, den Franken an den Euro zu koppeln.
«Luftblase»
Für Gerold Bührer, den Präsidenten der economiesuisse ist diese Idee eine Luftblase. Gemäss Brill gibt es Pro und Kontra für diese Idee.
«Im Prinzip wäre es möglich, doch wir müssten mit den Konsequenzen leben. Es würde sehr teuer werden für die Nationalbank, und zudem würde die Schweiz ihre Unabhängigkeit in der Geldpolitik verlieren», sagte Brill zu swissnfo.ch.
«Das bedeutet, dass man die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank übernehmen müsste, die zu höherer Inflation hier in der Schweiz führen könnte. Dies wäre der erste Schritt hin zur europäischen Währungsunion.»
Brill bemerkt ausserdem, dass Druck auf die Schweizerische Nationalbank (SNB) ausgeübt wurde, um den steigenden Franken in Schach zu halten. Aber, argumentiert er, mehr könne die SNB nicht tun.
«Wir haben gesehen, dass die Schweizer Nationalbank 2009 und bis Mai 2010 versucht hat, viele Euros aufzukaufen. Geholfen hat es nicht viel. Es gibt viele Gespräche in der Eurozone, um die Schuldensanierung. Dies ist aber nicht nur eine Sache des Schweizer Frankens. Einseitig kann man nicht viel bewirken.»
Kein Zaubermittel
Bührer sagt, dass die Bank alles getan habe, was sie konnte, «aber sie kann den Trend nicht stoppen». Im Deutschschweizer Radio sagte er, es gebe kein Zaubermittel, das angewendet werden könne, und technische Fragen würden nicht wirklich helfen.
Ein anderer Vorschlag, der von den Gewerkschaften und dem Schweizerischen KMU-Verband ins Spiel gebracht wurde, ist der eines neuen «Gentlemen’s Agreement», wie es 1976 zur Anwendung kam. Es ging darum, die Banken davon abzuhalten, spekulative Währungstransaktionen vorzunehmen.
«Ziemlich überzeugend» findet Hans-Ulrich Bigler, der Direktor des SKV, den Vorschlag, und fügt an, dass die Banken kein Interesse an einem tiefen Wirtschaftswachstum haben.
Dazu meint Ökonom Brill, dass alles zwei Seiten habe: «Es würde vielleicht helfen, den Druck wegzunehmen, andererseits ist es nicht nur die Spekulation, die zur heutigen Entwicklung des Schweizer Frankens geführt hat.»
Schutz für die Währung
Er fragt sich, ob die Definition von Spekulation auch Massnahmen zum Schutz der Währung beinhaltet, die von grossen Schweizer Firmen ergriffen wurden.
«Was würden Sie sagen? Je grösser die Firmen sind und je internationaler sie arbeiten, umso mehr brauchen sie Schutzmassnahmen, denn sie müssen sich gegen den Euro und viele andere Währungen durchsetzen», sagt Brill.
Andere Massnahmen, die vorgeschlagen wurden, sind zum Beispiel Geldverkäufe, die Inflation anzuheizen, negative Bankzinsen, eine Beschränkung der Kapitalströme und die Bezahlung der Grenzgänger in Euros.
Gemäss dem Schweizerischen Volkswirtschaftsdepartment steht die Regierung in engem Kontakt zur Nationalbank in Bezug auf den starken Franken. Aber die Regierung respektiert die Unabhängigkeit der Schweizer Nationalbank insofern, als die Geldpolitik als «Erfolgsfaktor der Schweizer Wirtschaft» betrachtet wird.
Der Euro ist die offizielle Währung der Eurozone, zu der 17 der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) gehören.
Zur Eurozone gehören Belgien, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien und Zypern. Auch einige weitere Länder in Europa benutzen den Euro.
Über 300 Millionen Europäerinnen und Europäer setzen den Euro täglich ein. Auch über 150 Millionen Menschen in Afrika benutzen den Euro als Währung.
Der Euro ist nach dem US-Dollar die weltweit zweitgrösste Reservewährung und die am zweitmeisten benutzte Währung.
Euro-Noten und -Münzen sind seit dem 1. Januar 2002 in Gebrauch.
Der Schweizer Franken (SFr.) gilt als so genannte «sicherer-Hafen»-Währung, das heisst, Investoren und Spekulanten kaufen diesen, wenn andere Währungen wie der Euro oder der US-Dollar unter Druck kommen.
Der steigende Wert des Frankens wird für die Schweizer Exportwirtschaft zu einer Quelle grosser Frustration, weil ihre Güter ausserhalb der Schweiz teurer werden, besonders in der Eurozone.
Derzeit kostet ein Euro rund 1,25 Franken (1,29$). Vor einem Jahr noch kostete er 1,48 Franken. Das ist ein Anstieg des Frankens um rund 15%.
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) betont, dass sie keinen bestimmten Wechselkurs anvisiere, ihre Geldpolitik aber auf dem gesetzlichen Auftrag basiere.
Dieses Mandat verlangt, dass «die SNB die Preisstabilität garantiert, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklungen».
(Übertragen aus dem Englischen: Eveline Kobler)
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