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Stellenabbau und Streik bei SBB Cargo

Streik angesagt: Die Angestellten von SBB-Cargo in Bellinzona protestieren gegen den Stellenabbau. Keystone

Bei der SBB Cargo läuft es gar nicht rund: Die Gütertransport-Tochter der Bundesbahnen schreibt rote Zahlen und baut Stellen ab. Am Freitag wurde der Abbau von 400 Stellen bekannt gegeben.

Im Industriewerk in Bellinzona, wo 126 Stellen abgebaut werden, traten die Cargo-Angestellten umgehend in den Streik. Für Samstag wurde eine Demonstration angekündigt.

Nun hat sich das Gerücht bestätigt: Die SBB Cargo, die Tochtergesellschaft der SBB, baut in Bellinzona, Basel, Freiburg und Biel rund 400 Stellen ab. Allein im Industriewerk Bellinzona sind es 126 Arbeitsplätze. Dies gab SBB-Cargo-Chef Nicolas Perrin am Freitag vor den Medien in Bellinzona bekannt. Der Unterhalt der Lokomotiven wird nach Yverdon im Kanton Waadt verlagert.

Den über 400 anwesenden Angestellten konnte Perrin dies indes nicht mitteilen. Seine Worte gingen in einem Pfeifkonzert unter.

Für die Angestellten in Bellinzon ist ein Abbau nicht akzeptabel. Das Industriewerk arbeite mittlerweile profitabel, sagte ein Sprecher des Personals.

Wirtschaftliche Entscheide

Gemäss Perrin erlaubt es der Gesamtarbeitsvertrag der SBB nicht, Angestellten aus wirtschaftlichen Gründen zu kündigen. Den vom Abbau betroffenen Mitarbeitenden wird eine Verlegung nach Yverdon oder andere Stellen innerhalb des Unternehmens angeboten.

«SBB Cargo ist ein wirtschaftliches Unternehmen», sagte Perrin. «Deshalb müssen wir wirtschaftliche und nicht regionalpolitische Entscheide treffen.»

Hoffnung in Bundesrat

Die Angestellten der Cargo-Werke in Bellinzona setzen grosse Hoffnung in den Bundesrat. Dieser müsse die Verantwortlichen von SBB-Cargo dazu bringen, den geplanten Stellenabbau zu stoppen.

Die Tessiner Delegation in den eidgenössischen Räten werde Verkehrsminister Moritz Leuenberger um ein Treffen bitten, sagte Nationalrätin und SP-Vizepräsidentin Marina Carobbio.

Streik und Demo

Die SBB-Angestellten in Bellinzona haben am Freitag beschlossen, bis auf weiteres in den Streik zu treten. Für Samstag ist in Bellinzona eine Solidaritätskundgebung angesagt.

Es sei das erste Mal seit dem Generalstreik von 1918, dass im Tessin Staatsangestellte ihre Arbeit niederlegten, sagte der sozialdemokratische Ex-Nationalrat Werner Carobbio.

Von weiteren Massnamen wie einer Blockierung der Gotthardlinie wird vorerst abgesehen. Die Verantwortlichen der SBB müssten sich aber im Klaren sein, dass die Fussballeuropameisterschaft 2008 vor der Tür stehe. Es brauche nur wenig, um rund um diesen Anlass ein Verkehrschaos anzurichten, sagte ein Gewerkschafter vor der anwesenden Belegschaft.

Verlust der Identität

Die geplanten Restrukturierungsmassnahmen bei SBB Cargo versetzen Bellinzona seit Tagen in Aufruhr. Der Tessiner Kantonshauptort kämpft nicht nur um den Erhalt von Arbeitsplätzen, sondern auch gegen den schleichenden Verlust seiner Identität.

«Wir sind alle Söhne der Eisenbahn», sagt Stadtpräsident Brenno Martignoni (SVP) diese Woche. «In Bellinzona gibt es in fast jeder Familie Mitglieder, die auf der Lohnliste der SBB stehen oder standen.»

Bellinzona liegt an zentraler Lage an der Gotthardlinie. Ohne Bahn wäre die Agglomeration Bellinzona in der Tat nicht das, was sie heute ist.

Auch andernorts Unverständnis

Nicht nur in Bellinzona, sondern auch in den anderen vom Stellenabbau betroffenen Städten trifft die Nachricht auf Unverständnis. Der Kanton werde von der SBB einen Ausgleich fordern, kündigte der Freiburger Staatsrat Beat Vonlanthen an. In Freiburg gehen 164 Arbeitsplätze verloren.

«Freiburg und die Westschweiz werden erneut benachteiligt», sagte Vonlanthen am Freitag. Mit den Massnahmen werde sich die SBB Cargo nicht sanieren, ist der Staatsrat überzeugt.

Gewerkschaften sagen Kampf an

Die Gewerkschaft transfair will den angekündigten «Kahlschlag» von SBB Cargo nicht tolerieren. Führungsfehler und Fehlinvestitionen hätten zu den Problemen von SBB Cargo geführt. Für diese Fehler sollten nun nicht die Mitarbeitenden bezahlen müssen, fordert transfair.

Die Gewerkschaft des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV) hat die Abbaupläne von SBB Cargo als völlig inakzeptabel bezeichnet. Auch sie will um die Arbeitsplätze kämpfen und kündigt verschiedene Aktionen an.

Gemäss dem SEV hat die SBB-Direktion ihre strategischen Aufgaben sträflich vernachlässigt und der SBB-Verwaltungsrat seine Aufsichtspflicht in keiner Weise wahrgenommen. Die SBB würden ihrem Auftrag zur Verkehrsverlagerung nicht gerecht, wenn sie Scheibe um Scheibe ihr Güterverkehrsunternehmen beschneide. Dies könne nur in den Abgrund führen.

Teilprivatisierung gefordert

Der Nutzfahrzeugverband Astag hat am Montag für eine Teilprivatisierung der defizitären SBB Cargo plädiert. Die SBB wollen weder SBB Cargo noch Teile davon verkaufen.

Trotz Zwangsmassnahmen auf Kosten des Strassentransports verliere die Schiene wieder Marktanteile an die Strasse, so Astag. Während die Gütermengen in Nettotonnen 2007 bei den Bahnen stagnierten, habe das Wachstum auf der Strasse 10 Prozent betragen.

Astag-Zentralpräsident Carlo Schmid warnte vor einem drohenden Verkauf an die ausländische Konkurrenz und «einem zweiten Fall Swissair».

swissinfo und Agenturen

SBB Cargo ist die für den Güterverkehr zuständige Tochter der Schweizerischen Bundesbahnen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Basel beschäftigt rund 4400 Mitarbeitende.

Für 2007 weist SBB Cargo einen Rekordverlust von 190,4 Millionen Franken aus. Auch im laufenden Jahr wird mit einem Verlust gerechnet.

Zu den roten Zahlen beigetragen hat vor allem das internationale Geschäft mit seinen Tochtergesellschaften in Deutschland und Italien.

In Bellinzona werden 126 Stellen abgebaut sowie 18 Stellen nach Chiasso und mindestens zehn nach Yverdon verschoben.

249 Stellen sollen am Hauptsitz von SBB Cargo in Basel gestrichen werden, von denen 65 bereits durch einen im letzten Herbst eingeführten Anstellungsstopp vakant blieben.

Freiburg ist mit dem Abbau von 51 Stellen und der Verlagerung von 114 Stellen nach Basel betroffen. 46 Stellen werden zudem von Biel nach Yverdon und Olten verschoben. Im Industriewerk Yverdon sollen insgesamt zusätzliche 80 Arbeitsplätze aufgebaut werden.

Inhaltlich geht es darum, den Grossunterhalt der SBB-Lokomotiven schrittweise im Industriewerk Yverdon zu konzentrieren, wie es in der Mitteilung von SBB Cargo am Freitag heisst.

Der Unterhalt von Güterwagen in Bellinzona soll künftig in Partnerschaft mit privaten Unternehmen ausgebaut werden.

Verkaufs- und Auftragsbearbeitung sowie Kundeninformation werden in Basel konzentriert.

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