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Stellenlose Jugendliche als Zeitbombe

Jugendliche: Überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Keystone Archive

Gewerkschaften mobilisieren gegen die Arbeitslosigkeit der Jungen. Die Arbeitgeber beschwichtigen, die Regierung schlägt einen Aktionsplan vor.

Das Thema ist für die von Wattenwyl-Gespräche traktandiert. Am Freitag trifft sich eine Bundesrats-Delegation mit den Chefs der Regierungsparteien.

«Die Beschäftigungs-Situation unter den Jugendlichen gleicht einer Zeitbombe. Die Zeit der Verharmlosung ist vorüber, jetzt heisst es handeln, und zwar schnell!»

Denis Torche, Zentralsekretär von Travail.Suisse, Denis Torche, haut mit der Faust auf den Tisch. Travail.Suisse ist die Dachorganisation der Arbeitnehmenden in der Schweiz.

Zum gleichen Thema hat kürzlich auch die Jugendsektion der Gewerkschaft Unia, in Lausanne ihre erste nationale Konferenz abgehalten.

Unia-Jugend, die rund 35’000 Mitglieder zählt, hat für das Frühjahr eine Schock-Aktion angekündigt, um Entscheidungsträger und die öffentliche Meinung aufzurütteln, was den Schutz der jugendlichen Arbeitnehmenden betrifft.

Letzten Montag zeigten die jüngst veröffentlichen Arbeitslosen-Statistiken, dass die Quote bei den 20- bis 24-Jährigen erneut gestiegen ist. Sie erreicht nun für den Januar 6,8%, während sie für den Durchschnitt der aktiven Bevölkerung 4,1% beträgt.

Zählt man bei den Jugendlichen noch die Studierenden dazu, die ebenfalls nach einer Beschäftigung Ausschau halten, erreicht die Quote satte 7,7%.

«Die Erhebungs-Methoden mögen ja voneinander abweichen, aber dieser Wert ist auf jeden Fall drei Mal höher als jener vor vier Jahren», sagt Jean-Christophe Schwaab, Zentralsekretär der Unia-Jugend.

Mangel an Lehrstellen

Schwaab schätzt, man müsse einerseits die Anzahl der Lehr- und Praktikantenstellen erhöhen. «Es gibt mehr als 200’000 Lehrlinge, und 20’000 warten auf eine Lehrstelle. Diese riskieren, in die Kategorien der nicht qualifizierten 1-Franken-Jobs zu rutschen», sagt Schwaab.

Als weiterer Grund der Verunsicherung gilt ein bundesrätliche Projekt innerhalb der Revision des Arbeitsgesetzes, das dem Parlament übergeben wurde. Es sieht vor, die Alterslimite im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz zu senken.

Als Konsequenz daraus riskieren Lehrlinge und junge Angestellte, bald schon ab 18 und nicht erst ab 20 Jahren auch nachts und am Sonntag arbeiten zu müssen.

Sind die Jungen zu heikel?

Beim Bundesamt für Berufsbildung und Technologie BBT schwächt Hugo Barmettler diese Befürchtungen ab: «10% der Lehrstellen sind nicht besetzt. Das entspricht etwa der Zahl jener Jugendlichen, die eine suchen. Daraus lässt sich folgern, dass zumindest einige Jugendliche sich zieren und ihre Ausrichtung nicht ändern wollen.»

Doch auf Initiative von Wirtschaftsminister Joseph Deiss hin bereitet das BBT neue Massnahmen vor. «Mit der Hilfe der Arbeitslosen-Versicherung werden wir Halbjahres-Motivationskurse für Jugendliche entwickeln.»

Das Angebot werde rund 10’000 Stellen umfassen, sagt Barmettler. «Und die Anzahl Praktikanten-Plätze soll auf 6000 verdoppelt werden.»

Als weitere Neuerung soll die Berufsbildung zwei Jahre dauern. Ab dem kommenden Schuljahr braucht es zwei Jahre bis zum Eidgenössischen Diplom. Ebenfalls ab 2006 wird, so Barmettler, auch die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die sich am Ende der obligatorischen Schulpflicht befinden, abnehmen. Somit wird auch die Anzahl der Lehrlinge nicht weiter steigen.

Gewerbe bleibt gelassen

Der Schweizerische Gewerbe-Verband (SGV), der die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) repräsentiert, bleibt jedenfalls gelassen. Dies kam Mitte Woche in Bern während der jährlichen Medienkonferenz zum Ausdruck: «Kein Grund, um sich aufzuregen», hiess es dort.

SGV-Direktor Pierre Triponez: «Man soll nicht Arbeitslosigkeit und Angebot an Plätzen für Lehrstellen miteinander verwechseln».

Auch er gibt zu, dass «das Problem bei den 20 bis 24-Jährigen wirklich besteht, bei denen die Quote sehr hoch liegt». Das heisse, dass sich das Problem gegen Ende der Lehre oder des Studiums zuspitze. Triponez fügt jedoch hinzu, dass die Dauer der Stellenlosigkeit bei den Jungen kürzer ausfalle als bei Älteren.

Was hingegen die Anzahl Lehrstellen betrifft, so teilt der SGV-Direktor mit, dass sie nächsten August auf 71’500 Plätze wächst – 1500 mehr als im Vorjahr.

Wie kann man die Unternehmen motivieren, Ausbildungsplätze für Junge zur Verfügung zu stellen? Denn nur einer von drei, laut Gewerkschaften sogar nur einer von fünf Betrieben beschäftigt überhaupt Lehrlinge.

Triponez ruft in Erinnerung, dass 99% der Unternehmen sehr klein sind, Ein- bis Zweipersonen-Betriebe eben. Sie hätten deshalb weder die Möglichkeit noch die Kapazität, um Lehrlinge zu beschäftigen.

Aktionsplan von Joseph Deiss

Am Freitag muss Wirtschaftsminister Joseph Deiss den Chefs der vier Bundesratsparteien seinen Aktionsplan vorstellen, wie er die Lehrstellen-Situation im Land verbessern will.

Schwaab ist zufrieden mit dem Umstand, dass Deiss seiner Sorge endlich Ausdruck gegeben hat. «Er hat uns das mitgeteilt, nachdem er uns am 3. Februar empfangen hat», so Schwaab. «Bisher tendierte er eher dazu, die Lehrlings-Problematik zu entdramatisieren.»

Die Vorschläge, die das Bundesamt BBT ausgebrütet und Joseph Deiss vorgelegt hat, werden von Schwaab als «schwach» eingestuft. «Es mag schön tönen, die Anzahl Praktikantenplätze zu erhöhen. Doch wenn dies nicht mit einer Verbesserung der Berufsaussichten einhergeht, resultiert daraus einfach eine Verlängerung der Warteliste.»

Dennoch sieht Schwaab etwas positives an der Angelegenheit: «Ich merke, dass langsam vermehrt über die Probleme der Jungen gesprochen wird. Nur schon das ist ein grosser Fortschritt.»

swissinfo, Isabelle Eichenberger
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

Die 15- bis 24-Jährigen, rund 30’500, bleiben vergleichsweise am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffen, mit einer Quote von 5,5%.

Die Quote für die 25- bis 49-Jährigen beträgt 4,1%.

Man zählt rund 200’000 Lehrlinge. 20’000 Jungen warten auf Lehrlingsplätze. Eine gleich hohe Anzahl an Lehrstellen, in weniger beliebten Branchen, bleibt andererseits unbesetzt

In der Schweiz, wo über 95% aller Unternehmen KMU sind, bieten nur rund ein Drittel aller Betriebe Lehrplätze an. Laut Gewerkschaften sogar nur ein Fünftel.

Die Gewerkschaft «Unia-Jugend» hielt letztes Wochenende ihre erste nationale Konferenz in Lausanne ab.
Mit ihren 35’000 Mitgliedern, die unter 30 Jahre alt sind, bildet diese Gewerkschaft die grösste Jugend-Bewegung in der Schweiz.
Im Frühling wird Unia-Jugend Aktionen gegen die Arbeitslosigkeit unter den Jungen starten.
Gleichzeitig wird Unia-Jugend auch gegen das Projekt ankämpfen, das bei der Revision des Arbeitsrechts das Schutzalter bei Nacht- und Sonntagsarbeit von 20 auf 18 Jahre herab gesetzt werden soll.

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