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Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt

Keystone

Das Schweizer Bankgeheimnis wird im Ausland oft als Hilfestellung für Steuerhinterziehung oder –Betrug angeprangert. Urs Philipp Roth, Chef der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) sieht das anders.

swissinfo: Sie sagen, des Steuerbetrugs verdächtige Personen müssten nicht geschützt werden, das Bankkundengeheimnis sei für die ehrlichen Kunden. Aber was hat denn der ehrliche Kunde zu verstecken, dass er überhaupt ein Bankgeheimnis braucht?

Urs Philippe Roth: Es geht nicht darum, Delikte zu verstecken. Es geht letztlich darum, dass die Privatsphäre gewahrt bleibt. Das Bankkundengeheimnis wird heute oft auf die steuerlichen Aspekte reduziert.

In der Schweiz ist der Persönlichkeitsschutz ein sehr hohes Gut. Der Staat soll seinen Bürgern nicht ins Schlafzimmer schauen. Ausgenommen sind natürlich kriminelle Taten.

Der Schutz der Privatsphäre ist ausserordentlich wichtig. Und dafür ist das Bankgeheimnis da.

swissinfo: Ist die unterschiedliche Bewertung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung in der Schweiz der Grund für den Sturmlauf gegen das Bankgeheimnis?

U.Ph.R.: Über diese Unterscheidung wurde in der Schweiz demokratisch entschieden. Hier wird als richtig befunden, dass nicht jedes Fehlverhalten im steuerlichen Bereich kriminell geahndet wird.

swissinfo: Es gibt hier also Kavaliersdelikte?

U.Ph. R.: Nein, Steuerhinterziehung ist ein Delikt, Punkt. Nach unserer Auffassung muss aber nicht jedes Fehlverhalten, das zu einer Steuerhinterziehung führt, mit einer hohen Strafe sanktioniert werden. Zum Beispiel, wenn man vergisst, bei der Steuererklärung etwas anzugeben.

Wer in der Schweiz Steuern hinterzieht und erwischt wird, verliert praktisch den Betrag, den er hinterziehen wollte. Strafen, Nachsteuern und Bussen sind so hoch, dass sich Steuerhinterziehung definitiv nicht mehr lohnt.

swissinfo: Aber der Vorwurf aus dem Ausland lautet ja, dass viele ihre Gelder am Fiskus vorbeischmuggeln. Das hat mit Vergessen nichts zu tun. Das sind absichtlich begangene Taten.

U.Ph.R.: Ich bin überzeugt, dass es nicht möglich ist, mit grossen Beträgen eine einfache Steuerhinterziehung zu begehen.

Steuerhinterziehung im grossen Umfang ist letztlich immer ein Betrug, ein Delikt. Und dafür gibt die Schweiz auch Amtshilfe.

swissinfo: Das Schweizer Bankgeheimnis scheint nicht mehr ganz unverhandelbar. Was für Auswirkungen könnte dies auf den Schweizer Finanzplatz haben?

U.Ph.R.: Die Basis für Verhandlungen sind die bestehenden Vertragswerke. In Bezug auf die Europäische Union sind das die verschiedenen bilateralen Verträge, insbesondere das Zinsbesteuerungsabkommen, in Bezug auf die Vereinigten Staaten gehe ich davon aus, dass der Bundesrat seinen Überlegungen das bisherige Vertragswerk zugrunde legt.

Auf dieser Basis besteht auf Seiten des Bundesrats eine Dialogbereitschaft über allfällige Änderungen.

swissinfo: Man scheint den USA weiter entgegenzukommen als der EU. Oder werden die USA und die EU von der Schweiz gleich behandelt?

U.Ph.R.: Wir haben mit den USA ein Doppelbesteuerungsabkommen, das auch den Informationsaustausch in steuerlichen Angelegenheiten regelt. Die USA haben diesen Weg, den sie zuerst über das Amtshilfeverfahren eingeleitet haben, unilateral verlassen und dann Druck ausgeübt. Das ist nicht akzeptabel.

swissinfo: Weshalb musste die Schweiz diesem Druck nachgeben?

U.Ph.R.: Ich unterstütze diesen Entscheid, denn die Risiken wären zu hoch gewesen, hätte man hier gepokert. Zur Wahrung der Systemstabilität war die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma gezwungen, diesem Druck nachzugeben.

swissinfo: Wird das im Ausland nicht als Aufweichung des Bankgeheimnisses interpretiert?

U.Ph.R.: Es wird versucht, das so zu interpretieren. Fakt ist aber auch, dass die zugrunde liegenden Delikte von der UBS als Steuerbetrug oder ähnliches Delikt taxiert wurden. Die eidgenössische Steuerverwaltung hat in diesem Sinn auch erstinstanzliche Entscheide getroffen.

Wenn dem so ist, ist das Bankgeheimnis materiell nicht verletzt worden, da diese Delikte amtshilfefähig sind. Nicht akzeptabel hingegen ist, dass die USA die Schweiz gezwungen haben, den zur Verfügung stehenden Rechtsweg verlassen zu müssen.

Zum Glück gibt es nun auch in den Medien differenzierte Stellungnahmen, in denen gesagt wird, was die Amerikaner getan hätten, sei absolut inakzeptabel.

swissinfo: Ist der Druck der USA darauf zurückzuführen, dass die Schweizer Behörden für die Erteilung der Amtshilfe zu lange gebraucht haben?

U.Ph.R.: Das Verfahren hat lange gedauert. In dieser Hinsicht besteht auch Verbesserungsbedarf. Es sollte möglich sein, derartige Fälle rascher, innerhalb weniger Monate zu entscheiden.

swissinfo: Könnte es Konsequenzen für die UBS oder für den gesamten Finanzplatz Schweiz haben, wenn sich bei den Verfahren in den USA herausstellen sollte, dass keine der betroffenen US-Kunden Steuerbetrug begangen haben?

U.Ph.R.: Es muss in der Schweiz nicht entschieden werden, ob die Angeklagten Steuerbetrug begangen haben. Die Schweiz hat lediglich zu entscheiden, ob die Voraussetzungen der Rechts- und Amtshilfe gewährleistet sind, und dazu muss ein plausibler Verdacht auf Steuerbetrug oder ähnliche Delikte vorliegen.

Entschieden wird dann in den Vereinigten Staaten.

swissinfo: Österreich und Luxemburg kennen das Bankgeheimnis auch. Deren Geheimnis ist aber nicht derart unter Beschuss geraten wie jenes der Schweiz. Weshalb stehen diese Länder nicht so im Rampenlicht?

U.Ph.R.: Die Schweiz ist nach den USA und Grossbritannien der grösste Vermögensverwaltungsmarkt der Welt. Damit ist das Land ein derart gewichtiger Mitspieler im internationalen Konkurrenzkampf, dass sie ein natürliches Ziel darstellt.

Zudem haben Luxemburg und Österreich eine etwas andere Position, weil sie im Rahmen der Europäischen Union von aussen her etwas weniger angreifbar sind.

Negative Schlagzeilen führen kurzfristig immer wieder zu einem Ansehensverlust. Damit müssen wir uns abfinden. Ob dieser längerfristig anhält, kann ich nicht beurteilen, ich glaube es aber nicht.

swissinfo-Interview: Etienne Strebel

Dr. iur. Urs Ph. Roth (1947) ist Vorsitzender der Geschäftsleitung und Delegierter des Verwaltungsrats der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg).

Nach seinem Rechtsstudium trat Urs Ph. Roth 1976 in den Dienst der UBS und arbeitete als Rechtskonsulent bei der UBS.

Urs Ph. Roth arbeitete in verschiedenen Arbeitsgruppen und Kommissionen der SBVg mit.

Er ist zudem Mitglied des Stiftungsrats des Swiss Finance Institute, einer gemeinsamen Initiative der Schweizerischen Finanzwirtschaft, der Schweizer Regierung und Schweizer Universitäten zur Förderung der Forschung und Executive Education im Bereich Banking und Finance.

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