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Streitobjekt Steuerhinterziehung

Die deutsche Steueraffäre wirft ihre Schatten auf das Schweizer Bankgeheimnis. Keystone

Die Liste vermögender Steuerhinterzieher hat in Deutschland die Volksseele empört. Nach Liechtenstein gerät auch der Finanzplatz Schweiz ins Gerede.

Doch die Schweiz fühlt sich dem eigenen Bankgeheimnis verpflichtet, nicht den Steuergesetzen anderer Länder.

Die Steueraffäre zwischen Deutschland und Liechtenstein wird in der Schweiz mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt. Kein Wunder: Der blühende Schweizer Finanzmarkt lebt zu einem guten Teil von Anlegern aus dem Ausland.

Die Kunden aus den EU-Ländern schätzen das Schweizer Bankgeheimnis. Auch wenn sie seit 2005 eine geringe Verrechnungssteuer auf ihre Erträge bezahlen müssen, können sie sicher sein, dass persönliche Daten über Anzahl und Stand der Konten oder Anlagen nicht in den Besitz der Steuerbehörden ihrer Heimatländer gelangen.

Während die Banken das aus dem Ausland stammende Geld gerne verwalten und sich auf das Private Banking beziehungsweise Wealth Management spezialisiert haben, ist der Bundesrepublik Deutschland – so wie andere EU-Länder – diese Praxis ein Dorn im Auge. Denn trotz dem Zinsbesteuerungsabkommen aus dem Jahr 2005 gehen Deutschland nach wie vor erhebliche Steuererträge verloren.

Nur Schätzungen für Fluchtkapital

Diverse Berechnungen und Schätzungen zeigen die Dimensionen der Steuerflucht auf, auch wenn exakte Zahlen fehlen. Die Schweizerische Nationalbank geht von 2000 Milliarden Franken an verwaltetem ausländischen Vermögen in der Eidgenossenschaft aus. Die Nichtregierungsorganisation «Erklärung von Bern» kommt auf den doppelten Betrag.

Dass viele ausländische Anleger in der Schweiz ihre Steuerpflicht umgehen, ist dabei ein offenes Geheimnis. Und es ist verständlich, dass die deutschen Steuerämter dies nicht schätzen.

Die Schweizer Wirtschaftszeitung «Cash» schätzt den Anteil von unversteuertem Vermögen aller Anlagen aus dem Ausland auf 30 bis 80%. In dieser Bandbreite käme dies einem Betrag zwischen 1250 bis 3000 Mrd. Fr. gleich. Das Steuerfluchtkapital allein aus Deutschland könnte bis zu 800 Mrd. Fr. betragen.

Zwang zur Steuerflucht?

Doch wer trägt die Schuld für die Steuerflucht? Sind es die Schweizer Banken, die professionell arbeiten und ihren Kunden ein Höchstmass an Privatsphäre garantieren? Oder sind es die Steuergesetze Deutschlands mit exorbitanten Steuern, die dazu führen, dass deutsche Staatsbürger im Ausland ein Teil ihres Vermögens parken?

Hier gehen die Meinungen schnell auseinander. «Alle Studien beweisen, dass Steuerdelikte vor allem ein Symptom für falsche Steuersysteme sind», behauptet Roger Köppel, Verleger und Chefredaktor der in Zürich erscheinenden, rechtsliberalen «Weltwoche». In Deutschland führe man einen Kreuzzug gegen Reiche. Statt die Schweiz als Steuerfluchtburg Europas zu kritisieren, solle Deutschland besser das Schweizer System imitieren.

«Bis Mitte Juli arbeitet ein durchschnittlicher Angestellter ausschliesslich für den deutschen Staat», heisst es weiter. Damit wird Verständnis für Steuerhinterzieher signalisiert, auch wenn Köppel betont: «Mit der Kritik am deutschen Steuerkolonialismus verbindet sich nicht ein Freispruch für Leute, die ihre Steuern hinterziehen.»

Steuerhinterziehung versus Steuerbetrug

Im linken politischen Spektrum wird diese Haltung nicht geteilt. Vor allem ist man überzeugt, dass die in der Schweiz strafrechtlich nicht verfolgbare Steuerhinterziehung für Kunden aus dem Ausland interessant ist und wie ein Magnet wirkt. Somit mache sich die Schweiz indirekt mitverantwortlich für Steuerhinterziehung..

Kritisiert wird daher die subtile Unterscheidung in der Schweiz zwischen Steuerhinterziehung (strafrechtlich nicht relevant) und Steuerbetrug (strafrechtlich relevant). Der Schweizer Finanzminister Hans Rudolf Merz betont dagegen, dies entspreche «einer bewährten Tradition.»

Die sozialdemokratische Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer sagte im «Tages-Anzeiger»: «Dass wir nur bei Steuerbetrug Rechtshilfe leisten, wird im Ausland nicht verstanden. Dies müssen wir uns bewusst sein.»

Im März wird das Parlament aufgrund einer dringlichen Interpellation erneut über diese Frage debattieren. Alle bisherigen Versuche, die Rechtshilfe auch bei Steuerhinterziehung einzuführen, scheiterten.

swissinfo, Gerhard Lob

Das Bankgeheimnis oder Bankkundengeheimnis ist ein Berufsgeheimnis für den Bankier. So wie ein Arzt gegenüber seinem Patienten verpflichtet sich auch der Bankier gegenüber seinem Kunden zur Geheimhaltung von dessen finanzieller Situation.

Das Schweizer Bankgeheimnis ist im Bankengesetz (Art. 47 BankG) aus dem Jahr 1934 verankert. Die Verletzung des Berufsgeheimnisses wird mit Gefängnis von bis zu 6 Monaten oder mit Busse bis zu 50’000 Franken bestraft.

Nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (z.B. Geldwäsche oder Terrorismus) darf das Bankgeheimnis ausser Kraft gesetzt werden. Steuerhinterziehung fällt nicht darunter.

Auf Sparvermögen erheben die Banken in der Schweiz eine Verrechnungssteuer. Damit erhofft man sich eine Offenlegung der Vermögensverhältnisse.

In der Schweiz beträgt die Verrechnungssteuer 35 Prozent. Dies ist einer der höchsten Prozentsätze in Europa. Beispiel: Bei einem Guthaben von 100’000 Franken und 1,5 Prozent Zins liefert die Bank 525 Franken am Zinsertrag an den Staat ab. Dieser Betrag wird zurückerstattet, wenn Sparguthaben und Zinsertrag auf der Steuererklärung angegeben werden.

Auch Bürger mit Steuerwohnsitz in einem EU-Land, die in der Schweiz Wertpapiere oder Konten haben, müssen seit Juli 2005 einen Steuerrückbehalt auf den Zinsertrag bezahlen. Er beträgt zur Zeit 15% und wird bis Juli 2011 auf 35% angehoben.

Der Ertrag aus der Zinsbesteuerung fällt zu 75% an die EU beziehungsweise ihre Mitgliedstaaten.

2006 wurden gemäss dem Eidgenössischen Finanzdepartement 402,54 Mio. Franken an die EU-Mitgliedstaaten überwiesen, gut 100 Mio. davon an Deutschland.

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