Strukturverschiebung in der Weltwirtschaft
Im Vorfeld des Weltwirtschafts-Forums in Davos zeigt sich eine unübliche konjunkturelle Konstellation der Weltwirtschaft, die viele ratlos lässt.
Der Aufschwung im letzten Jahr war geprägt von Kurzatmigkeit. In der Schweiz zeigt sich dies durch wenig neue Arbeitsplätze trotz Wachstum.
«Die konjunkturelle Kurzatmigkeit ist umso bemerkenswerter, als sich nirgends auf der Welt eine Rezession abzeichnet. Auch ist die Konjunktur nicht unmittelbar durch eine Wirtschafts- und Finanzkrise bedroht», schreibt die Zürcher Privatbank Bär in der Jahresendausgabe ihres Wochenberichts.
Asynchroner Konjunkturverlauf
«Die Konjunkturzyklen verlaufen in den verschiedenen Weltregionen völlig asynchron», so Leo Schrutt gegenüber swissinfo. Laut dem Research-Verantwortlichem der Bank Bär verbirgt sich dahinter eine strukturelle Wirtschaftsschwäche der reichen Volkswirtschaften.
Insgesamt expandierte die Weltwirtschaft zwar 2004 mit real 5,0% Wachstum. Dies liegt deutlich über dem langjährigen Durchschnitt.
In Japan war das Wachstum mit 4,4% doppelt so hoch wie in der Eurozone. In der um 10 Länder erweiterten EU wuchs die Wirtschaft um 2,6%. Die Werte der Schweiz liegen deutlich unter 2%.
Ganz anders sieht es in den Billiglohn-Ländern aus. Die aufstrebenden Volkswirtschaften wuchsen um 6,6%. Allen voran China, das seine Dynamik von 9,1% im Jahr 2003 auf 9% im Jahr 2004 dämpfte. Die aufstrebenden Länder Asiens kamen 2004 auf ein Wirtschaftswachstum von 5,6%.
Politische Ratlosigkeit gegenüber Offshoring
Die Politik steht dem minimalen Wirtschaftsaufschwung in den entwickelten Volkswirtschaften ratlos gegenüber. Dies dürfte mit dem Schlagwort Nummer eins zu tun haben, das all diese Länder bedrückt: dem Offshoring.
Diese im Industriesektor längst bekannte Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer hat auch den Dienstleistungs-Sektor erfasst. Doch erst jetzt schlägt der Effekt in den Beschäftigungs-Statistiken spürbar durch.
Während früherer Konjunkturzyklen näherten sich die Arbeitsmärkte der reichen Volkswirtschaften im gegenwärtig vergleichbaren Stadium des Zyklus jeweils der Vollbeschäftigung.
Arbeitsproduktivität und Ausländerpolitik
Doch diesmal muss man sich mit einer enttäuschend langsamen Verbesserung der Beschäftigung zufrieden geben. «Mittlerweile können auch Inder unsere Dienstleistungen produzieren», fasst Schrutt die Situation zusammen.
Womit man gemäss Schrutt auch bei den urschweizerischen Themen Arbeitsproduktivität und Bildungspolitik angelangt wäre.
«Trotz der vielen Überstunden, die in der Schweiz im Dienstleistungs-Sektor anfallen, ist das Wachstum der Arbeitsproduktivität unter 1% gefallen», so Schrutt. «Der Wert liegt derart tief, dass Anpassungs-Massnahmen fällig sind.»
Neue weltwirtschaftliche Arbeitsteilung
Diese Auslagerung von Arbeit von den «alteingesessenen» in die aufstrebenden Volkswirtschaften erzeugt neue weltwirtschaftliche Modelle. So könnte sich ein kapitalintensives Land wie die Schweiz die Wertschöpfung eines neuen Produkts mit einem arbeitsintensiven Land wie China teilen.
«In der Schweiz wird eine neue Computer-Maus erfunden, in China wird sie produziert, irgendwo auf der Welt wird sie verkauft.» Das sei für beide Länder die sinnvollste Arbeitsteilung, solange die Schweiz imstande sei, solche Neuheiten zu erfinden, sagt Schrutt. «Deshalb liegt mir auch das Bildungssystem derart am Herzen.»
Verschiebung von globalem Ausmass
Laut Bank Bär ist nicht auszuschliessen, dass es sich beim momentanen Weltwirtschaftszyklus nicht um eine unübliche konjunkturelle Schieflage, sondern um den Beginn einer strukturellen Verschiebung globalen Ausmasses handelt. An deren Ende könnte die Ablösung der wirtschaftlichen Dominanz des Westens durch die Vorherrschaft Asiens stehen.
Die Schweiz als so genannte kleine, offene Volkswirtschaft sollte sich darauf einstellen.
swissinfo, Alexander Künzle
Wachstum Weltwirtschaft 2004: 5%.
Japan: 4,4%
Eurozone: 2,2%
Erweiterte EU: 2,6%
Schweiz: unter 2%
«Emerging Markets»: 6,6%
China: 9%
Indien: 6,4%
Ohne bestens ausgebildete junge Leute schwinden die Chancen der Schweiz auf eine für sie noch profitable Arbeitsteilung auf den Weltmärkten.
Aus ökonomischer Sicht konstatiert Leo Schrutt von der Bank Bär: «Fakt ist, dass weniger gut ausgebildete immigrierende Arbeitskräfte statistisch die Arbeitsproduktivität senken.»
Andererseits schliesse eine durchdachte Bildungspolitik die Ausländer ein.
«In der Schweiz brauchen wir sowohl Ausländer als auch Bildung.»
Nur müsse das politisch geschickt gesteuert werden, um eine duale Gesellschaft zu vermeiden.
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