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Stunde Null beim Atom-Müll

Wellenberg-Gegner im Kanton Nidwalden Keystone

Die Schweiz tut sich in Sachen radioaktive Abfälle schwer. Nach dem Abstimmungs-Wochenende muss die Regierung das Problem der Endlagerung neu überdenken.

Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht.

Seit Jahrzehnten wird ein Standort gesucht, wo kurz- und mittelaktive Abfälle aus den einheimischen Kernkraftwerken endgültig gelagert werden können – bisher ohne Erfolg.

In der Zwischenzeit behilft man sich mit Provisorien: Die Abfälle lagern teils in den Kernkraftwerken, teils in Zwischenlagern in Würenlingen.

Noch würden die provisorischen Zwischenlager-Kapazitäten ausreichen, sagt Beat Wieland, Leiter Kernenergie beim Bundesamt für Energie, gegenüber swissinfo.

Hast sei derzeit nicht angezeigt. Dennoch führe kein Weg daran vorbei, «die Zwischenlösungen einer endgültigen Lösung zuzuführen», sagt Wieland.

Erfolglose Suche

Zuständig für die Standortsuche ist die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra). Sie ist seit 1978 im Auftrag des Bundes und der Kernkraftwerk-Gesellschaften auf der Suche, führte Expertisen in den Kantonen Uri, Graubünden und Waadt. Alles ohne Erfolg.

1986 kam erstmals der Wellenberg als Standort ins Gespräch. Erneut Fehlanzeige: Nach 16-jährigem Tauziehen erteilte der Nidwaldner Souverän dem Projekt Wellenberg am vergangenen Abstimmungs-Wochenende eine schallende Ohrfeige: 11’112 Nein gegenüber 8’204 Ja, bei einer Stimmbeteiligung von 71,3%.

Quo vadis?

Das zuständige Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) steht vor einem Scherbenhaufen. «Mit diesem Nein sind wir bei der Lösung der Entsorgungsfrage keinen Schritt weiter», sagt Beat Wieland.

«Das Projekt Wellenberg ist mit dieser Abstimmung gestorben», sagte Departements-Chef Moritz Leuenberger. Das Nidwaldner Verdikt bedeute aber, dass mit der Arbeit «total von neuem» begonnen werden müsse.

Die Nagra ist seit dem vergangenen Wochenende mit ihrem Latein am Ende. Das Wellenberg-Verdikt mache deutlich, dass das Problem beim Vollzug liege, und nicht bei den technischen Grundlagen, sagt Nagra-Präsident Hans Issler. «Der Ball liegt jetzt bei den Politikern – und nicht bei uns Technikern.»

Die Befürworter eines Endlagerprojekts rufen nun allenthalben nach neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen. So sagte etwa Hans Gubser, Direktor der Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK), dass die Endlagerproblematik nicht gelöst werden könne, wenn das Mitspracherecht bei den Kantonen angesiedelt sei.

Will heissen: Die Endlagerung sei ein gesamtschweizerisches Problem, über das ein einzelner Kanton nicht zu befinden habe.

Neues Kernenergiegesetz

Das neue Kernenergiegesetz könnte dieser Forderung möglicherweise Rechnung tragen: Während der bundesrätliche Entwurf noch ein Mitbestimmungsrecht für die Kantone vorsah, strich der Ständerat, die Kleine Kammer, eben diese Klausel.

Der Nationalrat entschied sich am Montag knapp gegen den Ständerat: Die Grosse Kammer will den Standortkantonen weiterhin ein Vetorecht gewähren. Das Geschäft geht nun zurück an den Ständerat.

Ferner entschied der Nationalrat, dass abgebrannte Brennstäbe aus Schweizer Atomkraftwerken weiterhin zur Wiederaufbereitung nach Frankreich und Grossbritannien exportiert werden können. Knappstens hat sich der Nationalrat erneut gegen das vom Ständerat vorgeschlagene zehnjährige Moratorium entschieden.

Knapp angenommen hat der Nationalrat einen Ökozuschlag auf Atomstrom.

Zwei Initiativen

Für atomkritische Kreise ist das Kernenergie-Gesetz, wie es der Ständerat zurechtstutzte, unannehmbar: «Die betroffene Bevölkerung muss in jedem Fall das letzte Wort über den Bau eines Endlagers haben», betont Armin Braunwalder, Geschäftsleiter der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES).

Braunwalder gehört zu den Initianten der Volksinitiative «Strom ohne Atom», welche die gestaffelte Abschaltung aller fünf Schweizer Kernkraftwerke bis zum Jahr 2014 verlangt und die Mitbestimmung der Kantone bei der Errichtung von Endlagern vorsieht.

«Strom ohne Atom» wird voraussichtlich nächstes Jahr zur Abstimmung gelangen, gemeinsam mit der Initiative «MoratoriumPlus», welche während 10 Jahren Bewilligungen für neue Kernanlagen und Forschungs-Reaktoren verbieten will.

swissinfo, Felix Münger

Die Schweiz verfügt über 5 Kernkraftwerke.
Sie produzieren 40% der Elektrizität in der Schweiz.
Derzeit lagern in Schweizer Zwischenlagern 4400 m3 nukleare Abfälle.

Die Nagra such seit 1978 einen geeigneten Standort für die Endlagerung von radioaktivem Material.

Expertisen in den Kantonen Uri, Graubünden und Waadt führten zu keiner Lösung des Entsorgungs-Problems.

Nach dem Nein zu Sondierbohrungen am Wellenberg im Kanton Nidwalden fordert die Nagra die politischen Behörden zum Handeln auf.

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