Swissair: Gestrandet auf dem Weg der Eigenständigkeit
Als die Swissair 1993 das Projekt Alcazar platzen liess, tat sie dies, um die nationale Eigenständigkeit zu bewahren. Eine Fehlentscheidung: Die damals diskutierte Fusion mit drei europäischen Airlines hätte die Schweizer Luftfahrt vor dem Totalausverkauf gerettet.
Kommentatoren und Luftfahrt-Experten werden in diesen Tagen nicht müde, das Ende der Swissair zu beklagen und Schuldige für das jähe Ende dieses nationalen Symbols zu finden. Schwer wiegt die Ankündigung von Tausenden von Arbeitslosen.
Der jüngste Schlag ins Genick aller Swissair-Nostalgiker: Die US-Investment-Gesellschaft Texas Pacific Group hat angeboten, bei der neuen Crossair einzusteigen. Die UBS-Sprecherin Larissa Alghisi bestätigte am Freitag entsprechende Gerüchte. Will heissen: Dem einstigen nationalen Aushängeschild droht der Verkauf an ausländische Investoren.
Bei einem allfälligen Verkauf an die Amerikaner würde sich die während Jahren hochgehaltene Strategie der Eigenständigkeit in geradezu dramatischer Weise ins Gegenteil verkehren: Aus der Traum von einer nationalen Luftfahrt-Gesellschaft.
Das EWR-Nein und die Folgen
Die Eigenständigkeit der Schweizer Luftfahrt wurde bereits mit der ab 1988 schrittweise eingeführten Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs fraglich – und glitt nach dem EWR-Nein vom 6. Dezember 1992 endgültig in den Bereich der Mythen ab.
Die Swissair verfügte bis auf weiteres über keinen ungehinderten Zugang zum EU-Luftraum und geriet in die Isolation. Daran änderte auch der Sieger vom 6. Dezember, Christoph Blocher, nichts, der unter dem Applaus seiner traditionalistischen Klientel unermüdlich fortfuhr, EWR-Befürworter als heimatmüde zu verunglimpfen.
Der Swissair blieben zwei strategische Optionen: Entweder zu einem Nischen-Carrier zu schrumpfen oder aber durch Partnerschaften mit ausländischen Airlines in eine globale Position hineinzuwachsen. Auf die erste Option war die Firma mental nicht vorbereitet, hatte sie doch seit den vierziger Jahren ein weltumspannendes Streckennetz aufgebaut. Da blieb nur noch Möglichkeit zwei. Das Zauberwort hiess Alcazar.
Das Projekt Alcazar
Bereits im Januar 1993 trafen sich die Chefs der schwedischen SAS, der holländischen KLM, der österreichischen AUA und der Swissair. Alle vier hatten das gemeinsame Problem, dass sie im Unterschied zu den europäischen Giganten Lufthansa, Air France und British Airways nur über kleine Heimmärkte von ein paar Millionen Einwohnern verfügten.
Das Quartett entwickelte während mehrerer Treffen unter dem Namen Alcazar die kühne Vision einer Fusion. Die Swissair-Führung versicherte in der Folge immer wieder, Alcazar sei für sie die attraktivste Option, da dadurch die eigene Identität gewahrt und gleichzeitig die Marktposition gestärkt werden könne.
Aufschrei in Medien und Politik
In der Schweiz liefen die Medien Sturm. Der Sonntags-Blick titelte am 23. Mai 1993: «Kostet die Fusion 10’000 Arbeitsplätze?». Jacques Pilet, Chefredaktor des Westschweizer Nouveau Quotidien, stellte die Suggestiv-Frage: «Wer erhebt sich, um die Swissair zu retten?» Und Frank A. Meyer liess sich bei Ringier ebenfalls unzweideutig verlauten: «In der geplanten Heirat zu viert ist die Swissair nicht einfach die schönste Braut. Sie ist die Beute.»
Auch Bundesrat Adolf Ogi äusserte sich zu Alcazar kritisch und forderte auf Anraten des um sein Lebenswerk bangenden Crossair-Chefs Moritz Suter, es müssten Alternativen zu Alcazar geprüft werden. Auch das Schweizer Parlament debattierte.
Mit dabei war der damalige St. Galler Nationalrat Franz Jaeger, heute Professor an der Universität St. Gallen. Jaeger hatte sich während der Debatte dafür eingesetzt, dass der Kurs der Swissair nicht durch patriotische Gefühle sondern durch wirtschaftliche Prinzipien bestimmt werde: «Ich würde mir nie anmassen, die Alleinganglösung aus heimatschützerischen Überlegungen politisch durchzusetzen», gab er im Juni 1993 zu Protokoll.
Obwohl die Landesregierung der Swissair schliesslich grünes Licht für weitere Verhandlungen mit den drei Airlines gab, scheiterte Alcazar. Am alles entscheidenden Meeting am 22. September 1993 in Wien konnte man sich nicht auf einen US-Partner einigen.
Zudem stiessen die Swissair-Abgeordneten – sich an den Aufschrei in den heimatlichen Medien erinnernd – die Partner völlig vor den Kopf. So forderten die Swissair-Leute etwa, dass die bereits vereinbarte Verteilung der Aktien auf die vier Gesellschaften zu Gunsten der Swissair abgeändert werden müsse. Schliesslich sei die Swissair die wertvollste der vier Airlines, argumentierte man – und beerdigte damit Alcazar für immer.
Hunter-Strategie mit katastrophalen Konsequenzen
Die Folgen waren fatal: Das strukturelle Problem, mit dem die Swissair kämpfte, war nicht gelöst. Die Schweizer Airline blieb auf den Alleingang fixiert und musste versuchen, sich aus eigenen Kräften zu behaupten. Die Lösung sollte im aggressiven Aufkauf etlicher Airlines bestehen, in der so genannten Hunter-Strategie – und führte in die Katastrophe.
Wenig erstaunlich, dass sich Wirtschafts-Professor Franz Jaeger heute nur mit Bitterkeit an das Scheitern von Alcazar erinnert: «Man hat mich damals als Ausverkäufer der Heimat hingestellt. Ich will nicht sagen, dass Alcazar den überragenden Erfolg gebracht hätte. Es hätte sicher auch Probleme gegeben. Aber sicher wäre es nicht zur Total-Katastrophe gekommen, die wir heute haben.»
Konrad Mrusek, Schweiz-Korrespondent bei der Frankfurter Allgemeinen, schrieb am 4. Oktober, das Debakel der Swissair sei «eine Folge des Schweizer Alleingang-Übermuts: Das Land glaubt, besser zu sein als andere, und macht daher lieber alles allein. Insofern ist das Swissair-Debakel auch ein Menetekel für die Schweizer Politik.»
Mit Blick auf die verpasste Alcazar-Chance fällt Widerspruch schwer.
Felix Münger
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