Swissair-Grounding war unnötig
Das Grounding der Swissair-Flotte vom 2. Oktober 2001 hätte nicht sein müssen - es war genügend Liquidität da.
Der Bericht der Treuhandfirma Ernst & Young fällt für die Swissair-Verantwortlichen verheerend aus.
Die Bilder gingen um die Welt: Am 2. Oktober 2001 blieb die gesamte Swissair-Flotte am Boden, Tausende Passagiere waren betroffen, das Personal ratlos.
Das Grounding zeigte aufs Eindrücklichste den desolaten Zustand der Flotte mit dem Schweizerkreuz am Heck. Die SAirGroup war am Ende, und mit ihr die Swissair – einst Symbol schweizerischen Nationalstolzes.
Am Freitag präsentierte Swissair-Sachwalter Karl Wüthrich den mit Spannung erwarteten Untersuchungsbericht zum Zusammenbruch des früheren Swissair-Konzerns. Der von der Treuhandfirma Ernst & Young erstellte Bericht enthält schwere Vorwürfe an das damalige Management und den Verwaltungsrat.
Versagen der SAir-Spitze
Managementfehler, frisierte Bilanzen und fehlende Kontrolle hätten zum Zusammenbruch der SAirGroup geführt, hält der gut 3’300 Seiten starke Bericht fest.
Spätestens im Spätsommer 2000 habe der Swissair-Verwaltungsrat über die Finanzlücke von bis zu 4,5 Milliarden Bescheid gewusst, sagte Ancillo Canepa von Ernst & Young.
Doch Verwaltungsrat und Management hätten bis zuletzt hauptsächlich auf die Unterstützung von aussen (Bund, Banken, Berater) vertraut, statt selber die notwendigen Sanierungsmassnahmen einzuleiten. Ein professionelles Krisenmanagement habe gefehlt.
Überblick verloren
Das Grounding der Swissair am 2. Oktober 2001 war aus finanzieller Sicht unnötig, hält der gut 3’300 Seiten starke Report fest. Der Luftfahrt-Konzern habe den Flugbetrieb eingestellt, weil der Überblick über das vorhandene Geld fehlte.
Durch die Vorankündigung, dass sich die SAirGroup in Nachlassstundung begeben werde, explodierte der Liquiditätsbedarf. Insgesamt hätte die SAirGroup auf 123 Mio. Franken zugreifen können. Der Flugkonzern war jedoch von nur 14,5 Mio. Franken ausgegangen.
Zudem seien noch Ende September 2001 Zahlungen von 150 Mio. Franken veranlasst worden, die für die Weiterführung des Geschäftsbetriebes nicht notwendig gewesen wären. «Allein aus Liquiditätsgründen hätte zumindest am 2. Oktober der Betrieb nicht unterbrochen werden müssen», sagte Canepa.
Corti widerspricht
SAirGroup-Konzernchef Mario Corti bestreitet die Schlussfolgerung des Untersuchungsberichtes. Er hätte niemals die Flotte am Boden gelassen, wenn sich dies hätte vermeiden lassen, sagte Corti am Freitag auf Anfrag.
Es sei absurd zu behaupten, es seien nicht alle finanziellen Möglichkeiten ausgeschöpft worden, um die Stilllegung der Swissair-Flotte zu verhindern.
Finanzielle Risiken verschleiert
Die SAirGroup sei bereits Ende 2000 überschuldet gewesen, hält der Bericht fest. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Konzerns wurde jedoch in den Einzelabschlüssen und den Konzernrechnungen für 1999 und 2000 nicht ordnungsgemäss dargestellt.
In finanzieller Hinsicht fatal waren die im Rahmen der «Hunter»-Strategie eingegangenen Beteiligungen an ausländischen Fluggesellschaften. Diese wurden in den Konzernrechnungen nicht voll konsolidiert, obwohl die wirtschaftliche Gefahr zum Teil vollumfänglich bei der SAirGroup lag.
Laut Untersuchungs-Bericht war die Fortführung der SAirGroup bereits Anfang 2001 ernsthaft gefährdet.
«Hunter»-Strategie falsch umgesetzt
Die «Hunter»-Strategie sei von Anfang an nicht wie geplant umgesetzt worden. Geplant gewesen sei nicht eine aggressive Akquisitions-, sondern eine moderate Beteiligungsstrategie mit klaren Minderheitspositionen von 10% – 30% und einem Kapitalbedarf von 300 Mio. Franken.
1998 und 1999 wurden aber Beteiligungen von mehr als 30% an Airlines erworben, die den Kriterien der «Hunter»-Strategie nicht oder nur teilweise entsprachen und sich in desolater Finanzlage befanden.
Kapitalbedarf massiv unterschätzt
Für die Beteiligungen wurden mit Genehmigung des Verwaltungsrats rund 4,1 Mrd. Franken bezahlt. Das Gesamtengagement für Airline-Beteiligungen zwischen 1995 und dem 5. Oktober 2001 betrug 5,9 Mrd. Franken. Der Verwaltungsrat unterschätzte laut Bericht den Kapitalbedarf massiv.
So wie die «Hunter»-Strategie vom Management umgesetzt wurde, sei die Finanzierung nie sichergestellt gewesen. Der Finanzbedarf wurde gemäss den Angaben weder im Businessplan noch in den Jahresbudgets berücksichtigt.
In Akquisitionen wurde mehr investiert als vom Verwaltungsrat genehmigt. Der Verwaltungsrat intervenierte jedoch nicht und liess die Umsetzung der «Hunter»-Strategie auch nicht durch professionelles Risikomanagement überwachen.
Strafrechtliche Konsequenzen vorerst offen
Laut Bericht besass kein Mitglied des Verwaltungsrates konkrete Erfahrung in der operativen Führung oder Überwachung einer international tätigen Fluggesellschaft.
Wie Verwaltungsrats-Protokolle zeigten, habe der Verwaltungsrat die Mehrzahl der Geschäfte verabschiedet, ohne sich genügend damit auseinander gesetzt zu haben. «Wenn so hohe Summen im Spiel sind, sieht man selten solch ein Debakel», kommentiert Canepa von Ernst & Young gegenüber swissinfo die Vorgänge bei der SAirGroup.
Der Bund hat den Swissair-Untersuchungs-Bericht begrüsst. Der Bericht sei eine Grundlage für die rechtliche Würdigung der aufgezeigten Sachverhalte. Der Sachwalter wird nun Verantwortlichkeiten und allfällige strafrechtliche Konsequenzen prüfen. Ein Entscheid ist frühestens im 2. Halbjahr 2003 zu erwarten.
swissinfo, Hansjörg Bolliger
Eckdaten:
Liquidität 02.10.2001:
laut SAirGroup 14,5 Mio. Fr. (tatsächlich 123 Mio.)
Kapitalbedarf Hunter-Strategie:
geplant 300 Mio. Fr. (tatsächlich 5,9 Mrd.)
Netto-Verschuldung:
1996: 3,3 Mrd. Fr.
2001: 15 Mrd. Fr.
Der Untersuchungsbericht wurde von der Revisions-Gesellschaft Ernst & Young (E&Y) im Auftrag des Swissair-Sachwalters erstellt. Er nimmt die Vorgänge bei der SAirGroup von 1996 bis 2001 unter die Lupe.
Die rechtliche Beurteilung erfolgt durch den Sachwalter.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch