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Tag der Schweizer «Strassenkinder»

Kinder arbeiten für Kinder. swissinfo.ch

Mehr als 4500 Schweizer Schulkinder haben den UNO-Kinderrechtstag auf der Strasse verbracht. Sie übten mit ihrer Arbeit Solidarität mit den "echten" Strassenkindern.

In Südamerika, Vietnam, Guinea und anderswo ist Geld verdienen der Alltag für Millionen von Kindern.

Die 7.-Klässler Stephan und Bettina versuchen Passanten beim Bieltor in Solothurn für eine Spende für ein Strassenkinder-Projekt in der dritten Welt zu gewinnen. «Spenden Sie für die Strassenkinder!» bitten sie die durch das Tor in die Stadt drängenden Menschen.

Anlass zu der Aktion ist der «Tag der Rechte der Kinder», der jedes Jahr am 20. November begangen wird.

Information und «Guetzli»

Die 25 Schülerinnen und Schüler der Solothurner Rudolf Steiner-Schule informieren mit selbstgestalteten Plakaten die Passanten über das Schicksal von Strassenkindern. Sie sollen aufrütteln und nachdenklich machen.

Selbstgebackene «Guetzli», Kuchen und anderes Kleingebäck werden zum Kauf angeboten. Wer will, kann sich mit einer Tasse Kaffee aufwärmen. Die Backwaren verkaufen sich gut – der Kaffee weniger. Wer will schon im feuchten Nebel, der die Solothurner Stadtmauern einhüllt, draussen Kaffee trinken?

Die «echten Strassenkinder» müssen zum Überleben mobil sein, sich dem Markt anpassen können. So wird in Solothurn ein «Leiterwägeli», gefüllt mit Süssigkeiten und Kaffee, auf dem Wochenmarkt als mobile Verkaufsplattform eingesetzt.

Die Schülerinnen und Schüler sind voll bei der Sache. Sie lassen sich nicht von schlecht gelaunten, bekifften oder alkoholisierten Passanten von ihrer guten Laune und ihrem grossem Arbeitseifer abbringen.

Gut vorbereitet – auf alles gefasst

Eine Terre des hommes-Mitarbeiterin hat die Klasse vor ein paar Wochen in ihrer Schulstube besucht. Mit Dias und weiteren Informationen hat sie das Interesse, aber auch das Mitgefühl der Kinder geweckt. Die Schülerinnen und Schüler sind gut vorbereitet und informiert. So dass sie die meisten Fragen ihrer Kundschaft leicht beantworten können.

Die meisten Kunden sind den Kindern gegenüber aufgeschlossen und erfreut darüber, dass diese sich so engagieren.

Nur wenige können der Aktion nichts Positives abgewinnen. Einer sagt den Kindern, das Geld, das sie sammelten, werde nicht zu den Strassenkindern in der Dritten Welt gelangen. Die Leute vom Hilfswerk würden die Spenden für sich behalten. Ein anderer wischt sich mit dem Prospekt provokativ den Hintern.

Verschiedene Geschäftszweige

Strassenkinder in der Dritten Welt können sich nicht durch den Verkauf von Lebensmitteln, die sie sich nicht leisten können, über Wasser halten. Die 7.-Klässler der Solothurner Rudolf Steiner-Schule wissen das natürlich auch.

Aus diesem Grund haben sie ihr «Geschäftsfeld» ausgeweitet. Eine Gruppe packt Kundinnen und Kunden eines Warenhauses die Einkäufe in Säcke und Taschen und versucht gleichzeitig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Andere warten bei Tankstellen auf «Kundschaft». Dort werden verschmutzte Autoscheiben und Schweinwerfergläser blitzblank geputzt.

Andrea, Rahel und Hanna geben sich enorme Mühe, die Scheiben streifenfrei sauber zu bekommen, was ihnen auch gelingt. Es ist rasch feststellbar, dass die drei normalerweise keine solche Arbeiten verrichten. «Wenn ich überleben müsste, würde ich auch regelmässig solche Arbeiten machen,» so Andrea.

Wer arbeitet, muss auch essen!

Die Jungen, die an anderen Tankstellen ihren «Dienst» verrichten, berichten begeistert von ihrer Arbeit. Bereits um halb zwölf Uhr zwingt sie jedoch ein Bären-Hunger, Pause zu machen. Genussvoll werden Schinken-Sandwiches, Pommes Chips und andere Köstlichkeiten zu Tage gefördert und verschlungen. Arbeit macht Appetit!

«Die Strassenkinder in Brasilien haben natürlich nicht so feines Essen wie wir. Sie müssen froh sein, einmal pro Tag etwas essen zu können», bemerkt einer, mit vollen Backen.

Enorme Standfestigkeit

Eine Mädchengruppe hat einen Ausdauer-Rekord erzielt. Sie befand sich von acht Uhr am Morgen bis um sieben Uhr am Abend im Dauer-Einsatz.

Eigentlich hätten sich die «Solothurner Strassenkinder» gerne als Schuhputzer betätigt, wie das von ihren Altersgenossen in der Dritten Welt oft gemacht wird. Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund haben dies die Stadt-Behörden jedoch verboten.

Auf die Frage, ob es denn einen speziellen Kinderrechtstag brauche, antworten die Kinder vor dem Bieltor: «Strassenkinder werden meistens auf die Strasse zum Sammeln und Geldverdienen geschickt. Viele Erwachsene verdienen Geld an den Kindern. Das ist nicht recht. Deshalb braucht es einen solchen Tag.»

Die beteiligten Kinder ziehen eine durchaus positive Bilanz. Die Arbeit hat ihnen Spass bereitet, sie haben ein gutes Werk getan und sich und den anderen bewiesen, dass mit Willen selbst das lange Ausharren in der Kälte zu ertragen ist.

Die positive Bilanz zeigt sich auch an den Einnahmen der Aktion. Die Kinder haben rund 4’620 Franken erwirtschaftet. Mit dem Erlös eines im Herbst durchgeführten Erntedanktisches werden sie Terre des hommes in den nächsten Tagen 5’500 Franken überweisen.

swissinfo, Etienne Strebel

Rund 4500 Schweizer Kinder haben den UNO-Tag der Rechte des Kindes mit freiwilliger Strassen-Arbeit verbracht.
Der Erlös wird Strassenkinder-Projekten der Kinderhilfs-Organisation Terre des hommes gespendet.

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