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Tauwetter zwischen Bern und Brüssel im Steuerstreit

Finanzminister Hans-Rudolf Merz sorgt für Entspannung im Steuerstreit. Keystone

Im Steuerstreit mit der EU hat der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz einen Ausweg skizziert, der europapolitisch gangbar, aber innenpolitisch brisant ist. Die Signale der Entspannung häufen sich.

Das Begehren der EU-Kommission für Gespräche ist nun in Bern eingetroffen. Das Wort «Verhandlungen» taucht darin nicht auf.

Anders als das Verhandlungsmandat der EU-Staaten, nimmt das Schreiben nicht Bezug auf die von der EU kritisierten Verletzung des bilateralen Freihandelsabkommens.

Vorläufig verlangt Brüssel, Treffen auf der Ebene von Fachdiplomaten vorzubereiten – und kommt damit der Schweizer Regierung entgegen, die Verhandlungen strikt ablehnt und nur Bereitschaft für klärende Gespräche äusserte.

Diese sollten «so bald wie möglich» stattfinden, hiess es seitens der EU-Kommission unter Verweis auf das Mandat.

Zu verdanken ist das Tauwetter in erster Linie Bundesrat Hans-Rudolf Merz, der Ende April in Zeitungsinterviews laut über einen Ausweg nachgedacht hat, der für beide Seiten akzeptabel sein könnte.

Die Lösung deutete Merz bewusst nur an, aber im Kern ist die Botschaft an die Adresse Brüssels klar: Die Schweiz wird mit der EU kein Abkommen abschliessen, signalisiert aber, dass sie die kritisierten kantonalen Steuerregime in den kommenden Jahren autonom abschaffen will. In der Sache würde sie also einlenken, obwohl sie die Rechtsauffassung der EU nicht anerkennt.

Bern zeigt sich flexibel

Letzteres bleibt wichtig, weil Brüssel die Behauptung, dass die Steuerprivilegien für Holdings und ähnliche Firmen den bilateralen Handel verfälschen, bisher in keiner Weise belegen konnte.

Den Entscheid der EU-Kommission von Mitte Februar, wonach diese kantonalen Steuerregime ein Verstoss gegen das bilaterale Freihandelsabkommen von 1972 sind, weist Bern zu Recht als juristisch unhaltbar zurück.

Die flexiblere Haltung Berns macht dennoch Sinn, weil die Schweiz den Steuerstreit langfristig nur schwer gewinnen könnte. So nützt eine solide juristische Argumentation der Schweiz in der Praxis nicht viel, weil es kein unabhängiges Gericht gibt, das Streitfragen zum Freihandelsabkommen klären könnte.

Anders als in der Debatte um das Bankgeheimnis fand Bern im Steuerstreit bisher keine echten Verbündeten unter den EU-Staaten. Der Grund ist: Auch EU-Staaten wie Luxemburg oder Belgien müssen vergleichbare Steuerpraktiken in den kommenden Jahren abschaffen – weil Brüssel sie dazu zwingt.

Handelskrieg käme teuer zu stehen

Vor allem aber müsste die Schweiz, falls sie hart bleiben wollte, bereit sein, notfalls auch einen Handelskrieg mit der EU durchzufechten. Ein solcher Konflikt könnte die Schweiz wirtschaftlich deutlich mehr kosten, als die Steuerpraktiken ihr einbringen.

Die Gefahr dürfte nun gebannt sein: So lange Bern eine gewisse Beweglichkeit signalisiert, werden die EU-Staaten der EU-Kommission kaum grünes Licht für Handelssanktionen gegen die Schweiz erteilen.

Falls die Schweiz den Stein des Anstosses in der Beziehung zur EU tatsächlich freiwillig aus dem Weg räumen sollte, würde sie immerhin die Kontrolle über den Fahrplan behalten.

Dies ist wichtig, weil der von Merz skizzierte Weg innenpolitisch brisant ist: Die Steuersenkung für Firmen, die ihm vorschwebt, würde Steuerausfälle in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Ob dies akzeptabel ist, muss sich erst noch zeigen.

Es ist zwar sachlich einleuchtend, dass man die Steuern für alle Firmen senkt, wenn man die bisherigen Sonderkonditionen für Holdings und ähnliche Gesellschaften abschafft. Über das Ausmass der Steuersenkung wird man in der Schweiz aber vermutlich lange streiten – dies ist in einer Demokratie normal.

Es braucht oft auch mehr als einen Anlauf, bis eine Steuerreform mehrheitsfähig ist. «Mit guten Partnern sind wir immer sehr geduldig», beteuerte EU-Aussenkommissarin Ferrero-Waldner – darauf wird Bern sie behaften müssen.

swissinfo und Simon Thönen, Brüssel

Diskutieren Sie mit im Dialog-Blog. Wie soll sich die Schweiz im Steuerstreit verhalten?

Im September 2005 beanstandet die EU-Kommission in einem Brief die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz.

Im Juli 2006 verschärft Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Ton: Die Steuerpraxis einiger Kantone verstosse gegen die Regeln des EU-Binnenmarktes.

Im November 2006, nach der Zustimmung des Schweizer Volkes zur Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Staaten, droht der Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EU, die Kommission werde ein Dokument an alle EU-Staaten verschicken, das die Schweiz auffordert, sich den EU-Regeln anzupassen.

Im März 2007 wirft Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey der EU schlechten Stil und inakzeptable Forderungen im Steuerstreit vor.

Ende April 2007 kündigt Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine Reform der Unternehmensbesteuerung an, mit dem Ziel, die Gewinnsteuern zu senken.

Am 24. April 2007 einigen sich die Fachdiplomaten der EU auf ein Verhandlungsmandat für die EU-Kommission, das der Ministerrat am 14. Mai offiziell verabschiedet.

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