Tessiner Bergbahnen: Kein klares Konzept
Trotz über 100 Millionen Investionen in die Bergbahnen sieht die Zukunft des Wintertourismus im Tessin nicht rosig aus. Neue Anlagen allein genügen nicht.
Orlando Nosetti von der Universität der italienischen Schweiz bringt es auf den Punkt: «Es ist eine Illusion zu glauben, dass man einfach ein Netz erstellt und darin einige Touristen hängen bleiben.»
Doch genau nach dieser Illusion hat das Tessin im vergangenen Jahrzehnt seine Wintersportanlagen ausgebaut. Hier 19 Millionen für Bosco Gurin, dort 41 Millionen für Airolo; Cardada ob Locarno, Nara und Campo Blenio im Bleniotal sowie den Monte Lema und Monte Tamaro bedachte man ebenfalls grosszügig.
Über 110 Mio. Franken
Beeindruckende 114,3 Millionen Franken wurden seit 1993 in all diese Projekte investiert, wie die Geschäfts- und Finanzprüfungskommission des Tessiner Grossen Rates kürzlich errechnete. 70 Prozent finanzierte die öffentliche Hand. Das Investitionshilfegesetz für Berggemeinden und das Tourismusgesetz standen Pate.
Doch der Investitions-Euphorie ist Ernüchterung gefolgt. Grosse Früchte hat der finanzielle Auwand und der persönlichen Einsatz der Protagonisten nicht abgeworfen. Einige Bergbahnen kämpfen gegen ihren Ruin an. Die Funivie del San Gottardo in Airolo riskieren den Kollaps – die Krise dürfte sich je nach Dauer der Sperrung des Gotthardstrassentunnels noch verschärfen.
Im Rahmen der kürzlich erfolgten Notmassnahmen in Folge des Tunnel-Unglücks hat der Kanton die Sanierungskredite für Airolo (zusammen mit dem Monte Lema) in Höhe von 9,3 Mio. Franken vorgezogen, um einen Konkurs zu vermeiden. Dabei ist der Zulauf an Skifahrern in Airolo-Pesciüm rein zahlenmässig nicht einmal schlecht. Viele Schulklassen, Gruppen und Jugendliche kommen: Aber diese zahlen bekanntlich keine vollen Preise.
Kündigungen ohne Schnee
Kritisch sieht es auch bei der Monte Tamaro SA aus. Dem Personal flatterte bereits die vorsorglichen Kündigungen ins Haus. Die Gesellschaft will die Löhne nur bezahlen, wenn Schnee fällt. Jahrelang und durch alle Rechtsinstanzen hat sich der Besitzer, Öl-Millionär Egidio Catteneo, für den Bau von Schneekanonen eingesetzt. Er hatte Erfolg, aber jetzt fehlt das nötige Geld.
Besser hat es da Bosco Gurin, das gerade eine Million Franken vom Grossen Rat für eine Beschneiungsanlage zugesprochen bekam. Im hochgelegenen Walserort, in dem in den letzten Jahren neue Skianlagen, ein Hotel und eine Jugendherberge realisiert wurden, kann die Skisaison somit am 1.Dezember beginnen.
Frau Holle statt Schneekanonen
Destinationen wie Cardada oder Carì (oberhalb von Faido) haben hingegen, wie die Monte Lema SA, keine Mittel. Dort bleibt nichts anderes übrig, als auf Frau Holle zu hoffen. Und ob es diese mit dem Tessin künftig so gut meint wie im vergangenen Winter?
Sicher ist nämlich, dass sich der Schnee in den niederen Lagen wegen der generelle Erwärmung des Alpenraums immer rarer macht. Und viele Tessiner Skistationen liegen tief. Sie werden erste Opfer des veränderten Klimas sein, wie eine Studie der Hochschule St. Gallen festgestellt hat. Investitionen in diese Skigebiete halten nicht nur Umweltschützer für pure Geldverschwendung.
Fehlendes Marketing
Den Bergbahnen fehlt auch ein qualifiziertes Marketing. Mit Krediten und Erneuerungen ist es nicht getan, Gäste müssen angeworben werden. Zu lange hat der Kanton diese Aufgabe den einzelnen Betreibergesellschaften beziehungsweise Orten überlassen. Sie waren dazu kaum in der Lage und machten sich zudem noch gegenseitig Konkurrenz. Jetzt ist man sich bewusst, dass es ein kantonal-regionales Marketing braucht. Der Tessiner Verkehrsverein muss dieses Paket erarbeiten – und zwar möglichst schnell.
Derweil bittet FDP-Finanzdirektorin Marina Masoni um Nachsicht, wenn nicht jeder investierte Franken in einen Gewinn mutiert. Sie sieht die Investitionen in die Bergbahnen auch als Ausgleichsinstrument für wirtschaftsschwache Berggebiete.
Mehr Promotion fürs Tessin
Tessin Tourismus hat sein Marketing im benachbarten Italien intensiviert. Der Blick nach Süden drängte sich auf, nachdem der Gotthard-Strassentunnel in Folge des Brandunfalls vom 24. Oktober geschlossen war.
Ab Dezember wird auch in der Deutschen Schweiz und Deutschland gezielt geworben, um einen winterlichen Aufenthalt im Südkanton schmackhaft zu machen. Ticino Turismo wird eine Grüne Nummer einrichten, welche speziell über die möglichen Verkehrsverbindungen informiert. Mit den SBB und der Crossair hat man zudem die Pakete «rail & drive» sowie «fly & drive» geschnürt, um Interessenten zur einer Anreise per Bahn oder Flugzeug, gekoppelt mit einem Mietfahrzeug, zu bewegen.
Gerhard Lob
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