Über 100’000 Arbeitslose in der Schweiz
Die anhaltende Wirtschaftsflaute schlägt auf den Schweizer Arbeitsmarkt durch. Die Zahl der Arbeitslosen hat im September die psychologisch heikle Marke von 100'000 überschritten.
Letztmals war dies im April 1999 der Fall.
Ende September waren 101’889 Menschen ohne Arbeit, 5527 mehr als im August. Dies teilte das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) am Freitag mit. Die Arbeitslosenquote stieg innert Monatsfrist um 0,1 Prozentpunkte auf 2,8 Prozent.
Die Zahl der Stellensuchenden stieg um 6301 auf 151’503, wie das seco weiter mitteilte. Gleichzeitig verringerte sich die Zahl der gemeldeten offenen Stellen um 613 auf 8267.
Der Blick auf die Entwicklung in den Kantonen zeigt, dass die Arbeitslosenzahlen in allen Kantonen mit Ausnahme der beiden Appenzell stiegen. Die höchsten Arbeitslosenquoten weisen weiterhin Genf und Jura mit 5,6 beziehungsweise 3,8 Prozent auf. In der Deutschschweiz ist Zürich mit 3,4 Prozent am stärksten betroffen.
Saisonale und konjunkturelle Gründe
Jean-Luc Nordmann, Leiter der Direktion Arbeit beim seco, begründete den Anstieg der Arbeitslosigkeit mit dem verzögerten konjunkturellen Aufschwung, der von saisonalen Momenten überlagert werde. Diese Entwicklung werde in den kommenden Monaten andauern.
Das seco rechnet im laufenden Jahr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von rund 100’000. Mit einer saisonal bedingten Entlastung sei erst ab Januar oder Februar 2003 zu rechnen, sagte Nordmann.
Eine kurzfristige Entlastung des Arbeitsmarkts erhofft sich Nordmann von der Freigabe der Arbeitsbeschaffungs-Reserven in Höhe von 350 Mio. Franken, die ab Mitte Oktober wirksam werden dürfte. Auch die Verlängerung der Kurzarbeitsentschädigung von 12 auf 18 Monate dürfte es vielen Unternehmen ermöglichen, die Durststrecke ohne Entlassungen zu überstehen.
Anstieg überrascht nicht
Der jüngste Anstieg war vom seco, Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Ökonomen erwartet worden. Er sei sogar «überraschend moderat» ausgefallen, sagte Peter Hasler, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands. Mit einer Arbeitslosenquote von 2,8 Prozent herrsche in der Schweiz praktisch Vollbeschäftigung.
«Von der Krise der 90er-Jahre, als die Arbeitslosigkeit deutlich über 5 Prozent stieg, sind wir noch entfernt», sagte Hasler.
Dagegen warnte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) vor einer «bedrohlichen Zunahme» der Erwerbslosigkeit in nächster Zeit.
Senkung der ALV-Prämien angestrebt
Die Zunahme der Arbeitslosigkeit hat auch höhere Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung (ALV) zur Folge. Nordmann geht dennoch davon aus, dass der ALV-Ausgleichsfonds bis Ende Jahr von Schulden befreit sein wird. Um einen Rückfall in die Schuldenwirtschaft zu verhindern, müsse das revidierte Arbeitslosenversicherungs-Gesetz in der Referendumsabstimmung vom 24. November angenommen werden.
Ein Ja zur Vorlage sei auch die Voraussetzung dafür, dass der Beitragssatz bereits auf Anfang 2003 von gegenwärtig 3 Prozent auf 2,5 Prozent gesenkt werden könnte.
Das Gesetz sieht eine Reduktion auf 2 Prozent per Mitte 2003 vor. Mit einer vorzeitigen Senkung könnte die Konjunktur stimuliert werden. Ein halber Prozentpunkt entspricht laut Nordmann einem Betrag von einer Milliarde Franken.
Abstimmungskampf voll entbrannt
Arbeitgeber- und Gewerbeverband beantragten sogar bereits eine vollumfängliche Senkung des Satzes auf 2 Prozent auf Anfang Jahr, wie Hasler sagte. Die Zustimmung zum revidierten Gesetz sei aber auch nötig, weil grundsätzlich «billiger und besser» sei. Die Leistungen würden zwar etwas eingeschränkt, gleichzeitig würde aber auch der Arbeitslosen-Tourismus aus der EU verhindert.
Die Gewerkschaften bewerteten die Zahlen anders: Die 100’000 Arbeitslosen seien 100’000 Gründe gegen die Revision des Gesetzes. In der jetzigen Situation dürfe die Arbeitslosenversicherung nicht verschlechtert werden, warnte der SGB. Dies steht auch in einem offenen Brief an Bundesrat Pascal Couchepin, den die Gewerkschaften am Freitagmorgen beim seco in Bern deponierten.
swissinfo und Agenturen
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